Schlüsselwörter: Thrombose, Krebs, Pädiatrie, ALL, Liquid Biopsy, L-Asparaginase.
Thrombose oft als erstes Zeichen einer Tumorerkrankung
Da Tumorleiden vor allem in frühen Stadien häufig keine oder eine sehr unspezifische Symptomatik zeigen, gestaltet sich die Früherkennung der Krankheit schwierig. Weil die Prognose aber häufig vom Stadium des Malignoms abhängt, ist es besonders wichtig, auf Frühsymptome zu achten und bei ihrem Auftreten eine gezielte Diagnostik einzuleiten. Ein thromboembolisches Ereignis ist bei Erwachsenen relativ häufig, aber auch bei Kindern gar nicht so selten die Erstmanifestation einer zugrunde liegenden Krebserkrankung. Es ist davon auszugehen, dass 15–20% der Patienten, die an einer venösen Thrombose erkranken, gleichzeitig ein Malignom haben [1]. Die weiterführende Diagnostik im Falle einer Thrombose ist beim erwachsenen Patienten in Leitlinien festgelegt. In der Kinderheilkunde hingegen ist derzeit noch kein einheitliches Protokoll etabliert, sodass die Frühdiagnostik einer malignen Erkrankung nach Erstmanifestation einer Thrombose noch nicht optimiert ist.
1. Inzidenz
Thromboembolische Ereignisse fordern allein in Deutschland geschätzte 40.000–100.000 Todesfälle jährlich. Bei etwa 18% der Betroffenen entstanden diese Ereignisse auf dem Boden einer malignen Neoplasie [2, 3], weshalb Thrombosen die zweithäufigste Todesursache bei Krebserkrankungen darstellen [2, 4]. Bei erwachsenen Patienten liegt die jährliche Rate an thromboembolischen Ereignissen bei 0,017–0,117% [5]. Bei pädiatrischen Patienten ist die Thrombose-Inzidenz mit 0,0007–0,0014% um den Faktor 25 geringer [6–8]. Dieser Prozentsatz steigt allerdings mit der stationären Aufnahme ins Krankenhaus beträchtlich an, wo die Inzidenz mit bis zu 0,05% um etwa das 50-Fache höher ist [5, 7, 8]. Grund dafür sind unter anderem Immobilisierung, operative Eingriffe und Katheter sowie Nebenwirkungen von Medikamenten. Auch hier ist ein deutlicher Zusammenhang mit malignen Erkrankungen erkennbar: Verschiedene Studien zeigen eine Häufigkeit symptomatischer Thrombosen von bis zu 16% bei an Krebs erkrankten Kindern [5, 8–11]. Asymptomatische Thrombosen sind weitaus häufiger: Ihre Inzidenz wird in diesem Patientengut auf bis zu 40% geschätzt [5, 8, 9]. Damit sind durchschnittlich 25–40% der Thrombosen im Kindesalter mit einer Krebserkrankung assoziiert [9, 12–14]. Daraus folgt außerdem, dass das Risiko, eine Thrombose zu entwickeln, für pädiatrische Krebspatienten um das etwa 600-Fache höher ist als bei Kindern ohne maligne Grunderkrankung [13].
Die deutlichen Diskrepanzen bezüglich der Inzidenzwerte aus verschiedenen Studien kommen vor allem dadurch zustande, dass Diagnostik und Therapie der venösen Thrombose bei Kindern nicht standardisiert durchgeführt werden. Die Dunkelziffer ist daher vermutlich höher einzuschätzen.
Am häufigsten (ca. 50%) treten venöse Thrombosen bei Kindern in den oberen und unteren Extremitäten auf [8, 9, 15]. Aber auch Thrombose-Lokalisationen, die mit einem höheren Mortalitätsrisiko einhergehen, wie eine Sinusvenenthrombose mit einer Prävalenz von 6,2% bei Kindern mit akuter lymphatischer Leukämie (ALL), kommen nicht selten vor [16]. Athale et al. zeigen in ihrer Studie zu Epidemiologie und prädisponierenden klinischen Risikofaktoren für Thromboembolien bei Kindern mit Krebs außerdem, dass bei circa 25% der Patienten mehrere Lokalisationen (auch gleichzeitig) von einem thromboembolischen Ereignis betroffen sein können [9]. Außerdem werden bei 24% der Patienten rezidivierende Thrombosen beobachtet [6].
Ein deutlicher Zusammenhang zeigt sich außerdem, wenn Kinder während des stationären Aufenthalts via zentralen Venenkatheter (ZVK) versorgt werden: 75% der pädiatrisch-onkologischen Patienten mit venöser Thrombose hatten einen oder mehrere zentrale Venenkatheter [11].
Das Thromboserisiko von an Krebs erkrankten Kindern scheint dabei von einigen beeinflussbaren sowie auch unbeeinflussbaren Faktoren abhängig zu sein. Zu den determinierenden Risikofaktoren gehören vor allem die Art des Malignoms, die Chemotherapie und das Vorhandensein eines zentralen Venenkatheters. Die Evidenz für diese Zusammenhänge wird im Folgenden erläutert.
2. Risikofaktoren
2.1 Art des Malignoms
In verschiedenen Studien wurde bereits gezeigt, dass die Inzidenzrate für Thrombosen mit der Art des Malignoms variiert. Walter et al. zeigen mit ihrer umfangreichen Studie, dass besonders Leukämie-, Lymphom- und Sarkomerkankungen mit einem höheren Thromboserisiko einhergehen als andere maligne Tumoren [17]. Ein klarer Zusammenhang zwischen venöser Thrombose im Kindesalter und maligner Erkrankung zeigt sich bei der akuten lymphatischen Leukämie (ALL). Diese ist zudem die häufigste maligne Erkrankung im Kindesalter [12]. Im Kollektiv machen die Thromboseerscheinungen bei Kindern mit ALL 40% der krebsassoziierten Thrombosen aus [13]. In dieser Kohorte zeigt eine Metaanalyse eine durchschnittliche Prävalenz symptomatischer Thrombosen von 5,2% [18]. Die hier mit einbezogenen Studien berichten allerdings Prävalenzen im Rahmen von 1,1–36,7% [15]. Studien, die Screeningverfahren zur Diagnostik asymptomatischer Thrombosen bei Kindern mit ALL verwendet haben, ergeben eine größere Häufigkeit von bis zu 73% [19]. Die große Variabilität dieser Angaben zeigt, dass die Diagnose der Thrombose im Kindesalter derzeit nicht standardisiert abläuft. Vielmehr variieren die Kriterien der Diagnosesicherung sowie auch die Ansichten bezüglich von Screeningverfahren von Zentrum zu Zentrum. Auch Studiendesign und Chemotherapie-Schemata nehmen Einfluss auf diese Daten. Die Pathogenese von venösen Thromboembolien bei Kindern mit ALL ist derzeit nicht vollständig geklärt. Verschiedene Publikationen zeigen jedoch, dass die Krankheit mit einer erhöhten Thrombin-Aktivität und -Produktion einhergeht [10, 20].
Etwa in der gleichen Größenordnung zeigt sich das Risiko einer Thromboseentwicklung bei Kindern mit Sarkom-Leiden. Thromboseereignisse in diesem Patientenkollektiv machen circa 15–20% der krebsassoziierten Thrombosen aus [14]. Die Studienergebnisse sind bezüglich der Prävalenz (zwischen 10,8% und 14,3%) sehr unterschiedlich [13, 17]. Die höchste Prävalenz (19,1 %) zeigt sich dabei bei meist älteren Kindern mit Tumoren der Ewing-Sarkom-Familie [13]. Zu dem höheren Risiko trägt bei, dass im Rahmen der Pubertät ein zweiter Gipfel der Thrombosehäufigkeit im Kindes- und Jugendalter auftritt. Außerdem werden diese Tumoren als besonders aggressiv beschrieben und sind mit erhöhten Spiegeln des Plasminogen-Aktivator-Inhibitors 1 assoziiert [21]. Interessanterweise unterscheiden sich diese Zahlen von denen bei erwachsenen Patienten: Hier werden viel niedrigere Häufigkeiten von lediglich 0,36% berichtet [22]. Die pathophysiologischen Gründe dafür sind derzeit nicht geklärt. Man geht jedoch davon aus, dass die unterschiedliche Dignität der Krankheit im Kindes- und Erwachsenenalter sowie auch die Chemotherapie einen Einfluss haben. Bei Sarkomen als soliden Tumoren kommt es häufig zur frühen hämatogenen Metastasierung. Athale et al. zeigen, dass 23% der Patienten mit Metastasen eine Thrombose entwickeln, im Gegensatz zu nur 11% derer ohne Metastasen [13]. Auch Paz-Priel et al. zeigen diesen Trend: 80% des Studienkollektivs hatten bei Diagnose einer venösen Thrombembolie bereits Metastasen. Damit haben pädiatrische Patienten mit metastasierten Sarkomen ein 2,5-fach höheres Thromboserisiko als Patienten ohne Metastasen [14]. Ein naheliegender Grund dafür ist die Hyperkoagulabilität, die mit metastasierten Tumoren einhergeht. Bei Kindern mit Sarkom-Leiden kommt ein weiterer Risikofaktor der Thromboseentwicklung hinzu, nämlich die operative Sanierung. Es zeigt sich, dass 4,1% der Patienten mit Sarkom eine Thrombose nach einem operativen Eingriff entwickeln [23]. Im Gegensatz dazu steht die wesentlich geringere Inzidenzrate von 0,06% bei Kindern ohne Tumorleiden und orthopädisch-chirurgischem Eingriff [24].
Bei erwachsenen Patienten mit Gehirntumoren zeigt sich eine relativ hohe Thrombose-Inzidenz von 36% [25]. Bei Kindern allerdings konnte dieser Zusammenhang nicht nachgewiesen werden, obwohl Gehirntumoren die häufigsten soliden Tumoren im Kindesalter sind [26]. Tabori et al. zeigen eine niedrige Prävalenz von 0,64% [27]. Vergleichbar damit sind auch Berichte aus anderen Studien [8, 25]. Einer der häufigeren Formen von Gehirntumoren im Erwachsenenalter, das Glioblastoma multiforme, ist bei pädiatrischen Patienten sehr selten [28]. Dieser Umstand könnte die niedrige Thrombose-Inzidenz bei Kindern mit Gehirntumoren erklären.
Die verschiedenen Malignom-Formen variieren außerdem in der Lokalisation des Thrombosegeschehens. Nur bei Kindern mit ALL beobachtet man einen hohen Anteil an Thrombosen im zentralen Nervensystem (ZNS) mit 53,8–65% [18, 20]. ZNS-Thrombosen sind meist symptomatisch, nur etwa 3,4% bleiben klinisch asymptomatisch [12]. Im Gegensatz dazu zeigen Malignome wie Sarkome und Lymphome einen höheren Anteil an Lungenembolien [8, 14]. Eine klinische Studie zur Häufigkeit von thromboembolischen Ereignissen bei Kindern und jungen Erwachsenen mit Sarkomen zeigte eine Inzidenz von 22% für Lungenembolien [8]. Bei Lymphomen ist die tiefe Armvenenthrombose die häufigste Lokalisation mit 75% [29].
2.2 Chemotherapie
Eine kanadische Studie zu Kindern mit ALL zeigt drei signifikante Risikofaktoren für die Entwicklung einer Thrombose: Alter, eine andere Blutgruppe als 0 und eine Asparaginase-Therapie [30]. Das Enzym Asparaginase verwendet Asparagin als Substrat und konvertiert die Aminosäure in Asparaginsäure und Ammonium. Lymphoblasten besitzen keine eigene Asparaginase, sodass ihre Integrität von exogener Asparagin-Zufuhr abhängig ist, welche durch die Chemotherapie mit L-Asparaginase unterbunden wird [31]. Es kommt dadurch zum Zelltod der malignen Blasten und zur Remission der Krankheit. L-Asparaginase (ASP) hemmt auch die Proteinsynthese in der Leber, wo unter anderem Asparagin-abhängig antikoagulatorische Proteine gebildet werden [32, 33]. Dabei wird vor allem die Bildung des antikoagulatorischen Faktors Antithrombin vermindert, dessen Spiegel während der Chemotherapie bei allen Patienten merklich unter den Normwert sinkt [34]. Die Korrelation zwischen Asparaginase-Therapie und Thrombose wird deutlich, wenn man den zeitlichen Zusammenhang betrachtet: Die meisten Thrombose-Ereignisse treten in der Induktionsphase der Chemotherapie auf [12]. Andere prothrombotische Faktoren, die durch die Chemotherapie verursacht werden, sind endotheliale Schäden, Infektionen und Immunsuppression [8].
Zusätzlich zur ASP werden leitliniengemäß Steroide gegeben. Vor allem bei der Behandlung mit Prednisolon werden erhöhte Spiegel von Faktor VIII und von-Willebrand-Faktor beobachtet, welche beide prokoagulatorisch wirken und somit das Thromboserisiko erhöhen [35]. Es wird außerdem beobachtet, dass das Thromboserisiko bei Einzeltherapie mit Steroiden oder Asparaginase acht- bis zehnmal geringer ist als bei der Kombination, die momentan Goldstandard ist [12]. Dieser Zusammenhang zeigt sich besonders beim Vergleich verschiedener Therapieprotokolle: Bei der Chemotherapie nach BFM-Protokoll (Berlin-Frankfurt-Münster) wurden Asparaginase und Steroide parallel verabreicht, während beim COALL-Protokoll (Co-Operative Acute Lymphoblastic Leukemia) eine zeitliche Trennung der beiden Medikamente stattfand. Das BFM-Protokoll resultierte in einem Thromboserisiko von 11%, während Studien mit COALL-Protokoll über ein niedrigeres Risiko von 1,5% berichten [36]. Dexamethason ist ein stärker wirksames Glukokortikoid als Prednisolon und hat bei der kombinierten Therapie mit Asparaginase einen verminderten Einfluss auf die Hämostase [37].
Auch Anthrazykline gehören zur Standardtherapie bei Kindern mit ALL. Bei Anwendung dieser Zytostatika ist die Thrombose-Inzidenz signifikant höher (6,1%) als bei Patienten ohne Anthrazyklin-Gabe (2,7%). Ein Unterschied in der Häufigkeit bei Anwendung verschiedener Vertreter dieser pharmakologischen Gruppe konnte nicht beobachtet werden [18].
Einen Einfluss auf das Thromboserisiko scheint auch die Herkunft der Asparaginase zu haben. Pharmazeutisch zugelassene Asparaginase-Präparate werden aus Escherichia Coli (E. coli) oder Erwinia chrysanthemi isoliert [31]. Vergleicht man die beiden, so zeigt sich, dass Asparaginase aus Erwinia im Gegensatz zu der aus E. coli einen wesentlich geringeren Einfluss auf Protein C-, Antithrombin- und Plasminogenspiegel hat [16, 18, 20]. Nowak-Göttl et al. zeigen, dass Asparaginase medac® und Crasnitin Bayer®, welche beide aus E. coli isoliert werden, unterschiedliche Einflüsse auf die Synthese anti- und prokoagulatorischer Proteine haben: Asparaginase medac® zeigt eine höhere Asparaginase-Aktivität und beeinflusste die Hämostase mehr als Crasnitin Bayer® [38]. In einer Studie zum Vergleich der lymphotoxischen Wirkung verschiedener Asparaginase-Präparate wird beobachtet, dass auch Erwinase-Asparaginase eine geringere Asparaginase-Aktivität zeigt als E.-coli-Asparaginase, wodurch sich dieses Pharmazeutikum als vorteilhafter in der ALL-Therapie zeigt [39]. Dies spricht dafür, dass die Asparaginase-Aktivität mit dem Potenzial korreliert, die Hämostase zu beeinflussen [35].
2.3 Zentraler Venenkatheter
Zentrale Venenkatheter (ZVK) werden bei Krebserkrankten vor allem während der Chemotherapie verwendet, um die Administration der Medikamente zu vereinfachen und die Lebensqualität zu verbessern. Gerade bei Kindern, bei denen das Legen von Zugängen durch die anatomische Schwierigkeit kleinlumiger Blutgefäße und angstbedingte Abwehr/Verweigerung erschwert ist, sind ZVKs von großem Vorteil und notwendig. Dennoch ist ein zentraler Venenkatheter bei krebskranken Kindern der größte Risikofaktor für die Entwicklung einer Thrombose [5].
Die Inzidenz von ZVK-assoziierten Thrombosen des tiefen Venensystems bei Kindern mit Malignom-Erkrankung liegt bei 0,13 per 1.000 Katheter-Tage, wobei der ZVK im Median 144 Tage liegt [40]. Symptomatische Thrombosen als Komplikation eines zentralen Venenkatheters werden bei 2,6 bis 36,7% der Kinder beschrieben. Auch hier ist die Prävalenz der asymptomatischen Thrombosen mit 5,9 bis 43% höher [41, 42]. Damit sind circa 30% der Thrombosen mit einem ZVK assoziiert [8]. Athale et al. zeigen in einer Studie mit an Sarkomen erkrankten Kindern, dass das Risiko einer Thrombose bei ZVK-Dysfunktion fast siebenmal höher ist als bei Kindern ohne Fehlfunktion des ZVK [13]. Allerdings wird eingeräumt, dass nicht klar ist, ob die Thrombose eine Folge oder ein Grund der ZVK-Dysfunktion ist. Komplikationen wie die Dysfunktion des ZVKs, Okklusionen oder Infektionen sind häufig mit bis zu 65% des pädiatrisch onkologischen Patientenkollektivs. Infektionen können mit Antibiotika, und Katheterverlegungen meist mit Thrombolytika behandelt werden; dennoch führen diese in bis zu 30% der Fälle dazu, dass der ZVK explantiert und dann neu gelegt werden muss [42]. Das Neulegen eines ZVKs zeigt sich als unabhängiger Risikofaktor, da es zur vermehrten Endothel-Reizung kommt, welche wiederum ein erhöhtes Thromboserisiko darstellt. Ebenfalls im Zusammenhang mit Endothel-Reizungen steht das Lumen des Katheters. Farinasso et al. zeigen, dass großlumige Katheter mit einem signifikant höheren Risiko einer Thrombembolie einhergehen [43]. Diese Angabe ist allerdings mit Vorsicht zu betrachten, da größere Katheter meistens anatomisch bedingt bei älteren pädiatrischen Patienten eingesetzt werden, die wie im Weiteren beschrieben ein von Grund auf höheres Thromboserisiko haben.