Mit patientenindividuell hergestellten T-Lymphozyten, die einen chimären Antigenrezeptor (CAR-T-Zellen) gegen das CD19-Antigen auf lymphatischen Zellen tragen, ist zum ersten Mal eine Gentherapie zur Routinebehandlung von Patienten zugelassen worden. Die Zulassung gilt für pädiatrische Patienten und junge Erwachsene mit akuter lymphatischer Leukämie (ALL) und für Erwachsene mit diffus-großzelligem B-Zell-Lymphom (DLBCL); Voraussetzung ist bei beiden Indikationen, dass die Patienten mindestens zwei Rezidive nach systemischen Therapien – im Fall der ALL auch nach einer allogenen Stammzelltransplantation – erlitten haben oder refraktär gegen Standardtherapien sind.
Tisagenlecleucel (Kymriah®) ist die erste in Europa zugelassene Therapie mit CAR-T-Zellen, die in Deutschland zunächst schrittweise eingeführt wird – zunächst zur Behandlung der pädiatrischen ALL, anschließend für das DLBCL. Beide sind im rezidivierten oder refraktären (r/r) Stadium hochaggressive und komplexe Erkrankungen, die unbehandelt schnell zum Tod führen und für die es bisher nur limitierte Therapieoptionen gab. Mit der EU-Zulassung von Tisagenlecleucel erweitert sich das therapeutische Spektrum für diese beiden Patientengruppen um ein effektives und innovatives Verfahren.
Bei CAR-T-Zellen wie Tisagenlecleucel handelt es sich um umprogrammierte, patienteneigene T-Zellen, die in vitro gentechnisch modifiziert werden: Durch Einfügen eines chimären Antigenrezeptors (CAR) werden die Zellen in die Lage versetzt, Tumorzellen mit einem spezifischen Oberflächenmarker zu erkennen, an sie zu binden und sie in der Folge zu eliminieren. Die CAR-T-Zellen werden für jeden Patienten in einem aufwendigen Verfahren individuell hergestellt, vervielfältigt und einmalig reinfundiert. Mithilfe der ko-stimulatorischen 4-1BB-Domäne des chimären Antigen-Rezeptors werden Expansion und Persistenz der Zellen gesteigert. Deren Herstellung erfolgt für die klinische Routinebehandlung derzeit in den USA; vor allem für klinische Studien gibt es auch eine Facility am Fraunhofer Institut in Leipzig.
ELIANA: Lang anhaltende Remissionsraten bei r/r B-Zell-ALL
Prof. Dr. Peter Bader, Hauptprüfer in der Zulassungsstudie ELIANA und Transplantationsspezialist an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universität Frankfurt/Main, berichtete über die aktuellen Ergebnisse der ELIANA-Studie [1]. Darin hatten von 75 Kindern und jungen Erwachsenen mit r/r B-Zell-ALL drei Monate nach einer einmaligen Infusion mit Tisagenlecleucel 81% eine komplette Remission mit (60%) oder ohne vollständige Wiederherstellung des hämatopoetischen Systems (21%) erreicht (95%-Konfidenzintervall 71%–89%). Bei keinem diese Patienten konnte noch eine minimale Resterkrankung (MRD) nachgewiesen werden. Die Gesamtüberlebensrate lag nach sechs Monaten bei 90% (95%-KI 81%–95%), nach zwölf Monaten bei 76% (95%-KI 63%–86%).
„Die CAR-T-Zelltherapie stellt ein noch nie dagewesenes, äußerst effektives Therapieprinzip dar“, so Bader. „Man könnte vom Beginn einer neuen Ära sprechen.“ Den wahren Stellenwert der Therapie werde erst die Zukunft zeigen, aber seiner Meinung nach bietet sie eine Heilungschance für viele Patienten, die zurzeit nicht erfolgreich behandelt werden können.
JULIET: Durchbruch in der Behandlungvon Patienten mit r/r DLBCL
Prof. Dr. Peter Borchmann von der Universität Köln, Leiter der klinischen Prüfung in der JULIET-Studie, erläuterte, dass man bei Patienten mit r/r DLBCL, die bereits zwei oder mehr Therapielinien erhalten haben, mit konventionellen Therapien nur in 8% der Fälle eine Komplettremission und eine mediane Gesamtüberlebenszeit von lediglich 4,4 Monaten erreicht. Mit den Follow-up-Daten der
JULIET-Studie konnte Borchmann zeigen, dass von den 111 Patienten, die Tisagenlecleucel erhalten hatten, 52% ansprachen (95%-KI 41%–62%), davon 40% mit einer kompletten und 12% mit einer partiellen Remission [2]. Nach zwölf Monaten betrug die Gesamtüberlebensrate 49% (95%-KI 38,5%–59%) und die rezidivfreie Überlebensrate der Patienten in kompletter Remission 78,5%. Prognostisch wichtig scheint eine Remission nach drei Monaten zu sein, da von den Patienten, die zu diesem Zeitpunkt mindestens eine partielle Remission erreicht hatten, 83% auch nach zwölf Monaten noch progressionsfrei waren. Initial partielle Remissionen gingen im weiteren Verlauf in 54% der Fälle in eine komplette Remission über.
Günstiges Nutzen-Risiko-Profil in beiden Studien
In beiden Studien zeigte die Therapie mit Tisagenlecleucel ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil: Nebenwirkungen traten meist innerhalb von acht Wochen nach Infusion auf und waren in der Regel gut handhabbar. Unerwünschte Ereignisse von besonderem Interesse waren unter anderem ein Zytokin-Sturm (Cytokine-release syndrome, ELIANA: 77%,
JULIET: 58%) sowie neurologische Ereignisse (40% bzw. 21%). Es traten keine durch die Therapie bedingten Todesfälle auf.
PD Dr. Udo Holtick, Köln, wies darauf hin, dass die CAR-T-Zelltherapie mit Tisagenlecleucel nur an ausgewiesenen Zentren erfolgen sollte, die über die erforderliche Expertise und Infrastruktur für diesen komplexen Eingriff verfügen. Die Etablierung eines CAR-T-Koordinators könne dazu beitragen, die hohen Qualitätsansprüche optimal umzusetzen.
Josef Gulden
Pressekonferenz “Tisagenlecleucel – Die Zeit der Immunzelltherapie beginnt jetzt!” am 25.07.2018 in Köln, veranstaltet von Novartis, Nürnberg.