Lungentumoren: Neuer Erstlinien-Standard beim fortgeschrittenen NSCLC
Eine der aufsehenerregendsten Präsentationen bei diesem Kongress gab es zur Erstlinientherapie des NSCLC: Hier hatten sich die PD-1-Inhibitoren Nivolumab und Pembrolizumab in den letzten beiden Jahren zum Standard in der Rezidivsituation emporgearbeitet. Dabei hatte sich angedeutet, dass die Wirksamkeit – zumindest beim Nicht-Plattenepithelkarzinom – umso besser ist, je mehr Zellen im Tumorgewebe den PD-1-Liganden PD-L1 exprimieren [1, 2]. In die Phase-III-Studie KEYNOTE-024, deren zweite Interimsanalyse Martin Reck, Großhanßdorf, in Kopenhagen vorstellen konnte, wurden deshalb nur Patienten mit fortgeschrittenem, nicht vorbehandeltem NSCLC eingeschlossen, die einen Tumor Proportion Score (TPS) von mindestens 50% aufwiesen, d. h. in deren Tumoren mindestens die Hälfte der Zellen in der Immunhistochemie mit einem von der FDA zugelassenen Antikörper für PD-L1 positiv gefärbt wurden [3]. In 142 Zentren in 16 Ländern wurden 305 Patienten im medianen Alter von etwa 65 Jahren randomisiert, entweder über zwei Jahre alle drei Wochen 200 mg Pembrolizumab i. v. oder vier bis sechs Zyklen einer platinbasierten Zweierkombination zu erhalten. Zulässig waren Cisplatin oder Carboplatin und als Kombinationspartner Pemetrexed (bei Nicht-Plattenepithelkarzinomen), Paclitaxel oder Gemcitabin. Die Patienten im Kontrollarm konnten bei Progression ihrer Erkrankung ebenfalls Pembrolizumab erhalten.
Primärer Endpunkt ist das progressionsfreie Überleben, und bereits hier zeigte sich eine hochsignifikante Überlegenheit von Pembrolizumab mit median 10,3 versus 6,0 Monaten (Hazard Ratio 0,50; p < 0,001; Abb. 1a). Nach sechs Monaten waren im Verumarm 62%, im Kontrollarm 50% der Patienten progressionsfrei am Leben, nach einem Jahr war der Unterschied mit 48% gegenüber 15% noch sehr viel ausgeprägter.
Noch bemerkenswerter ist aber die Differenz beim sekundären Endpunkt Gesamtüberleben: Der Medianwert ist in beiden Armen noch nicht erreicht, aber der Unterschied mit 80% versus 72% nach sechs und 70% versus 54% nach zwölf Monaten bereits zu diesem frühen Zeitpunkt signifikant (HR 0,60; p = 0,005; Abb. 1b) – und das, obwohl die Hälfte der Patienten im Kontrollarm aufgrund einer Progression ihrer Erkrankung später ebenfalls einen PD-1-
Inhibitor erhalten hatte. Aus diesem Grund empfahl das unabhängige Kontrollkomitee, die Studie zu beenden
Auch beim Ansprechen war Pembrolizumab mit 45% versus 28% überlegen; bei sechs Patienten unter der Immuntherapie wurde sogar eine Komplettremission beobachtet.
Der Vorteil für Pembrolizumab beim progressionsfreien Überleben war in allen untersuchten Subgruppen zu sehen, und er wurde auch nicht durch mehr Toxizität erkauft: Vielmehr waren unerwünschte Nebenwirkungen hier sogar deutlich seltener – insgesamt (73% vs. 90%) und solche vom Grad 3 oder 4 (26% vs. 51%). Immunvermittelte Toxizitäten wie Schilddrüsenstörungen, Pneumonitis, Infusionsreaktionen usw. wurden unter dem PD-1-Inhibitor bei 29% der Patienten beobachtet, waren aber lediglich bei 10% vom Grad 3 oder 4; es gab keine dadurch ausgelösten Todesfälle.
Pembrolizumab, so Reck, hat sich damit unzweifelhaft als ein neuer Standard für die Erstlinienbehandlung des fortgeschrittenen NSCLC mit hoher PD-L1-Expression – das ist etwa ein Drittel aller Patienten – qualifiziert. Zulassungsanträge dafür sind bereits eingereicht. Parallel zur Präsentation beim Kongress wurden die Daten auch publiziert [4].
PD-1-Antikörper mono oder mit Chemotherapie?
Auch nach diesen beeindruckenden Ergebnissen bleiben viele offene Fragen: So profitieren den Phase-I/II-Daten zufolge jedenfalls auch Patienten mit geringerer PD-L1-Expression im Tumor von der Anti-PD-1-Therapie. Das muss ebenso Gegenstand weiterer Studien sein wie die Frage, ob man die Chemotherapie wie in KEYNOTE-024 durch den PD-1-Inhibitor ersetzen oder aber beides kombinieren sollte. Eine Kombination wurde in der KEYNOTE-021-Studie in einer Kohorte von Patienten mit neu diagnostiziertem NSCLC mit der alleinigen Chemotherapie verglichen. Wie Corey Langer, Philadelphia, berichtete, erhielten die 123 Patienten mit Nicht-Plattenepithelkarzinomen Carboplatin und Pemetrexed und danach eine Pemetrexed-Erhaltungstherapie bis zum Auftreten einer Progression [5, 6]. Die Hälfte der Patienten bekam darüber hinaus parallel zur Chemotherapie vier Zyklen Pembrolizumab und danach für zwei Jahre den Antikörper zur Erhaltung.
Primärer Endpunkt war hier die Gesamtansprechrate, die durch Pembrolizumab von 29% auf 55% beinahe verdoppelt wurde (p = 0,0016), was in etwa mit den Ergebnissen von KEYNOTE-024 übereinstimmt. Beim progressionsfreien Überleben war die Immunchemotherapie mit median 13,0 versus 8,9 Monaten ebenfalls signifikant überlegen (HR 0,53; p = 0,0102), während beim Gesamtüberleben bislang noch Gleichstand zwischen beiden Therapien herrscht, wobei auch hier berücksichtigt werden muss, dass bis zum Auswertungszeitpunkt die Hälfte der Patienten im Kontrollarm ebenfalls bereits einen PD-1-Antikörper erhalten hatte. Immunvermittelte Nebenwirkungen waren unter der Kombinationstherapie nicht häufiger als man das von einer Pembrolizumab-Monotherapie kennt, so Langer.
Warum ist Nivolumab in der Erstlinie nicht besser als die
Chemotherapie?
Eine weitere Immuntherapiestudie zur Erstlinienbehandlung des NSCLC, die in Kopenhagen präsentiert wurde, fiel aus bislang nicht ganz geklärten Gründen negativ aus: Die Phase-III-Studie CheckMate-026, so Mark Socinski, Pittsburgh, hatte nach vielversprechenden Phase-I-Daten 541 Patienten mit nicht vorbehandeltem NSCLC, die keine EGFR- und ALK-Mutationen, aber eine PD-L1-Expression auf mindestens 1% der Zellen aufwiesen, randomisiert, entweder eine Chemotherapie-Doublette oder den PD-1-Inhibitor Nivolumab (3 mg/kg alle zwei Wochen) zu erhalten [7]. Primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben bei Patienten mit einer Tumor-PD-L1-Expression ≥ 5%, und hier war das Ergebnis mit median 4,2 Monaten für Nivolumab und 5,9 Monaten für den Chemotherapie-Arm enttäuschend, so Socinski. Das tendenziell schlechtere Abschneiden von Nivolumab beschränkte sich weitgehend auf die ersten sechs Monate, nach einem Jahr waren die progressionsfreien Überlebensraten mit 23,6% bzw. 23,2% identisch (HR 1,15; p = 0,2511).
Die Gesamtüberlebenskurven für die Patienten mit ≥ 5% PD-L1-positiven Zellen waren praktisch deckungsgleich mit Medianwerten von 14,4 vs. 13,2 Monaten und 1-Jahres-Raten von 56,3% vs. 53,6% (HR 1,02), die gegenüber historischen Kontrollen sehr gut ausfielen. Bemerkenswert war auch, dass im Chemotherapie-Arm 60,4% der Patienten eine nachfolgende Nivolumab-Therapie erhalten hatten. Exploratorische Subgruppenanalysen stimmten weitgehend mit den Gesamtanalysen überein; es schienen vor allem Patienten mit Nicht-Plattenepithelkarzinomen unter Nivolumab schlechter abzuschneiden, während bei denen mit Plattenepithelkarzinomen ein leichter Vorteil für den Checkpoint-Inhibitor möglich scheint.
Dieses unerwartete Ergebnis lässt mit großer Spannung auf die Resultate einer weiteren Phase-III-Studie warten – CheckMate-227 – in der wiederum Patienten mit nicht vorbehandeltem NSCLC ohne EGFR- oder ALK-Mutationen nach dem Ausmaß der PD-L1-Expression stratifiziert werden [8]: Bei Expression in ≥ 1% der Zellen erhalten sie randomisiert entweder eine Chemotherapie oder Nivolumab oder Nivolumab plus Ipilimumab, diejenigen mit < 1% werden auf Chemotherapie, Chemotherapie plus Nivolumab oder Nivolumab plus Ipilimumab randomisiert. Koprimäre Endpunkte sind Gesamt- und progressionsfreies Überleben.
Erste Phase-III-Daten mit PD-L1-Antikörper
Die PD-1-PD-L1-Immun-Checkpoint-Achse lässt sich außer mit PD-1-
Antikörpern auch mit solchen gegen PD-L1 hemmen. Theoretisch haben sie den Vorteil, dass damit nicht die Interaktion zwischen PD-1 und einem weiteren Liganden, PD-L2, gehemmt wird, die die Tumorabwehr eher stimuliert. Der PD-L1-Antikörper, der sich am weitesten in der klinischen Entwicklung befindet, ist Atezolizumab, und in Kopenhagen stellte Fabrice Barlesi, Marseille, die Ergebnisse der Phase-III-Studie OAK vor, in der 1.225 Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem und mit mindestens einer Chemotherapie vorbehandeltem NSCLC randomisiert entweder Docetaxel oder Atezolizumab
(1.200 mg i. v. alle drei Wochen) bis zum Eintritt einer Krankheitsprogression erhalten sollten [9]. Als primärer Endpunkt war hier das Gesamtüberleben der ersten 850 Patienten der ITT-Population sowie bei Patienten mit einer PD-L1-Expression in ≥ 1% der Tumorzellen oder ≥ 1% Tumor-infiltrierender Immunzellen definiert, und damit war die Studie auf Anhieb erfolgreich, so Barlesi:
In der ITT-Population war der Antikörper der Chemotherapie mit median 13,8 versus 9,6 Monaten überlegen (HR 0,73; p = 0,0003) – ähnlich wie zuvor in der Phase-II-Studie POPLAR (12,6 vs. 9,7 Monate; HR 0,69; [10]); nach zwölf Monaten lagen die Überlebensraten für Atezolizumab bei 55% und für Docetaxel bei 41%, nach 18 Monaten waren es 40% bzw. 27%. Erstaunlicherweise war diese Überlegenheit auch bei den Patienten mit PD-L1-Expression auf < 1% der Zellen (ca. 45% aller Patienten) zu sehen mit Medianwerten von 12,6 versus 8,9 Monaten (HR 0,75; p = 0,0205; Abb. 2). Deutlicher ausgeprägt war sie allerdings, wenn mindestens die Hälfte der Tumor- oder mindestens 10% der Immunzellen PD-L1 auf der Oberfläche trugen: Dann führte Nivolumab zu einer medianen Überlebenszeit von 20,5 Monaten gegenüber 8,9 Monaten unter Docetaxel (HR 0,41; p < 0,0001); diese Patienten machten in der Studie 16% der Gesamtpopulation aus (Abb. 2). Weitere Subgruppenanalysen ergaben, dass zum Beispiel Nicht-Plattenepithelkarzinome auf beide Therapien deutlich besser reagierten (median 15,6 vs. 11,2 Monate; HR 0,73; p = 0,0015) als Plattenepithelkarzinome (median 8,9 vs. 7,7 Monate; HR 0,73; p = 0,0383). Die Patienten profitierten von Atezolizumab auch unabhängig vom Vorhandensein von Hirnmetastasen, und im Gegensatz zu manchen anderen Therapien hatten auch Niemals-Raucher einen Vorteil davon (HR 0,71).
Der Überlebensvorteil war zu sehen, obwohl mehr als dreimal so viele Patienten im Docetaxel-Arm anschließend eine Immuntherapie erhalten hatten als im Atezolizumab-Arm (17% vs. 5%; in 14% bzw. 4% der Fälle Nivolumab). Interessanterweise profitierten hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens nur Patienten mit starker PD-L1-Expression – im Gesamtkollektiv war hier kein Unterschied zu erkennen (HR 0,95; p = 0,4928; Abb. 2); Ähnliches galt für das Ansprechen.
Auch hier waren unter der Immuntherapie weniger therapiebedingte Grad-3/4-Nebenwirkungen zu sehen als unter der Chemotherapie (15% vs. 43%); gerade einmal 0,7% der Patienten erlitten unter dem Antikörper eine Grad-3/4-Pneumonitis, 0,3% eine Hepatitis dieser Schwergrade.
Mitte Oktober 2016 wurde Atezolizumab in Nordamerika zur Behandlung von Patienten mit NSCLC, deren Tumoren PD-L1 exprimieren und die bereits eine platinbasierte Chemotherapie erhalten haben, zugelassen. Die Beschränkung hinsichtlich der PD-L1-Expression stellt sicherlich ein Problem dar, weil ganz offensichtlich auch Patienten ohne eine solche Expression von der Behandlung mit Atezolizumab profitieren können. Dringend erforderlich sind neue Biomarker, um diese Patienten einwandfrei zu identifizieren und sie von denen zu differenzieren, die keinen Nutzen von der Therapie haben.
Checkpoint-Inhibition auch
neoadjuvant?
Auch in der neoadjuvanten Situation werden die neuen Immuntherapien bereits erprobt: In einer Pilotstudie, die Patrick Forde, Baltimore, vorstellte [11], erhielten insgesamt 18 Patienten mit einem NSCLC im Stadium I-IIIA vier und zwei Wochen vor der geplanten Operation zwei Dosen à 3 mg/kg Nivolumab, während postoperativ eine adjuvante Standard-Chemotherapie gegeben werden sollte. 16 der 18 Patienten konnten tatsächlich operiert werden, und bei 15 von ihnen (80%) zeigte sich pathologisch ein Rückgang des Tumors, der bei sechs stark ausgeprägt war, d. h. es waren weniger als 10% des ursprünglich nachgewiesenen Tumors verblieben. Die Hälfte dieser sechs Patienten hatte nach radiologischen Kriterien nicht angesprochen, was die Problematik der herkömmlichen
RECIST-Kriterien bei Anwendung von Immuntherapien eindrucksvoll unterstreicht. In allen Resektaten fand sich eine ausgeprägte Infiltration mit T-Lymphozyten.
ALK-positives NSCLC: Zweitlinien-Wirksamkeit von Ceritinib bestätigt
Für Patienten mit NSCLC und einem Rearrangement des Gens für die anaplastische Lymphomkinase (ALK) gibt es seit einigen Jahren die Option einer Therapie mit spezifischen ALK-Inhibitoren. Der erste zugelassene dieser Inhibitoren, Crizotinib, zeigte gute Wirksamkeit, aber die meisten Patienten entwickeln irgendwann eine Resistenz, was sich in der Progression ihrer Erkrankung äußert. Für diese Patienten gibt es mittlerweile eine Zweitlinien-Option mit dem Zweitgenerations-ALK-Inhibitor Ceritinib, der aufgrund von Phase-II-Daten zugelassen wurde – unter der Bedingung, dass noch eine Phase-III-Studie durchgeführt würde. Die Ergebnisse dieser ASCEND-5-Studie konnte Giulio Scagliotti, Turin, jetzt beim ESMO-Kongress vorstellen [12]:
Die 231 eingeschlossenen Patienten, die wegen ihres ALK-positiven NSCLC bereits eine Chemotherapie und Crizotinib erhalten hatten, wurden randomisiert entweder mit einer Chemotherapie (Pemetrexed oder Docetaxel) oder mit Ceritinib (750 mg/d oral) behandelt. Nach median 16,5-monatiger Nachbeobachtungszeit war das mediane progressionsfreie Überleben im Ceritinib-Arm mit
5,4 Monaten mehr als dreimal so lang wie im Kontrollarm (1,6 Monate; HR 0,49; p < 0,001), die Ansprechrate mehr als fünfmal so hoch (39,1% vs. 6,9%). Beim Gesamtüberleben zeigte sich mit median 18,1 versus 20,1 Monaten erwartungsgemäß kein Vorteil, weil 75 der 116 in den Chemotherapie-Arm randomisierten Patienten nach Eintritt einer Krankheitsprogression von der angebotenen Option eines Cross-overs zu Ceritinib Gebrauch gemacht hatten. Mit diesen Resultaten sind die zulassungsrelevanten Ergebnisse der Phase II voll bestätigt.
Josef Gulden
Literatur
1. Garon EB et al. N Engl J Med 2015; 372: 2018-28.
2. Herbst RS et al. Lancet 2016; 387: 1540-50.
3. Reck M et al. ESMO 2016, Abstract #LBA8.
4. Reck M et al. N Engl J Med 2016; 375: 1823-33.
5. Langer CJ et al. ESMO 2016, Abstract # LBA46_PR.
6. Langer CJ et al. Lancet Oncol 2016; 17: 1497-508.
7. Socinski M et al. ESMO 2016, Abstract #LBA9_PR.
8. ClinicalTrials.gov: NCT02477826.
9. Barlesi F et al. ESMO 2016, Abstract #LBA44_PR.
10. Fehrenbacher L et al. Lancet 2016; 387: 1837-46.
11. Forde P et al. ESMO 2016, Abstract #LBA41_PR.
12. Scagliotti G et al. ESMO 2016, Abstract #LBA42_PR.