Abhängig von den Umweltbedingungen besiedeln verschiedenste Mikroorganismen (Mikrobiota) den Darm, dazu zählen Bakterien, Archaea (Urbakterien), Viren, Protozoen (einzellige tierische Organismen) sowie Pilze [1]. Die Gesamtheit aller Gene, die in der Mikrobiota enthalten ist, wird als Mikrobiom bezeichnet. Die Mikrobiota beeinflusst viele wichtige Vorgänge in unserem Körper und sorgt im Normalfall für einen gesunden Darm: Sie verbessert den Abbau von Nährstoffen wie zum Beispiel von komplexen Kohlenhydraten und unterstützt damit die Verdauung, sie bildet Vitamine wie Vitamin K und B12, sie baut Schadstoffe ab, sie reguliert die Entwicklung und den Erhalt des Immunsystems, regt die Darmbewegung an, sie hemmt die Ausbreitung von Krankheitserregern, und sie kommuniziert über viele Wege mit anderen Organen, zum Beispiel über die Darm-Hirn-Achse mit dem Gehirn.
Nach heutigem Verständnis ist der Darm ein offenes Ökosystem, in das Mikroben regelmäßig ein- aber auch wieder auswandern können. Welche Mikroben sich gegenüber den anderen Mikroorganismen durchsetzen und sich dauerhaft ansiedeln können, hängt unter anderem davon ab, welche pH- und Sauerstoffbedingungen im Darm vorherrschen sowie welche Nährstoff- und Energiequellen der betreffende Mensch über seine Ernährung liefert [2]. Welche Zusammensetzung des Mikrobioms nun gesundheitsförderlich ist und welche Krankheiten Vorschub leistet, ist jedoch noch weitgehend unerforscht. Bekannt sei aber bereits, dass eine Dysbiose – also ein geschädigtes Mikrobiom – einen Verlust der Mikrobiotavielfalt und damit eine geringere Anzahl von anaeroben Kommensalbakterien sowie eine Überwucherung durch spezielle Pathobionten (z.B. Enterococcus) bedeutet, wie Dr. Erik Thiele Orberg, Regensburg, beim Onkologischen Symposium 2024 in München erklärte [3].
Mikrobiom: ein Biomarker für Immuntherapieerfolg
Dies ist laut dem Hämatologen und Onkologen besonders bedeutsam bei Krebspatienten nach einer allogenen Stammzelltransplantation (alloSZT). Die Dysbiose wird in dieser Situation begünstigt aufgrund der konditionellen Chemotherapie und/oder einer Bestrahlung, einer GvHD (Graft-versus-Host-Disease), einer Mukositis oder einer Infektion zum Beispiel durch das Bakterium Clostridioides difficile – allen voran aber aufgrund einer antibiotischen Therapie, die häufig bei Patienten nach alloSZT aufgrund einer Neutropenie nötig ist. „Durch die Dysbiose kommt es zu einer Abnahme der Integrität der Darmbarriere und zu einer gestörten Regulation des Immunsystems mit dem Ergebnis, dass das Gesamtüberleben (OS) der Patienten reduziert ist“, sagte Thiele Orberg. So zeigte sich in einer internationalen, multizentrischen Studie, dass eine hohe bakterielle Diversität des Mikrobioms prädiktiv für ein besseres OS (Hazard Ratio [HR] für Tod 0,71; 95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 0,55–0,92) und für eine geringere transplantatassoziierte Mortalität (HR 0,63; 95%-KI 0,44–0,89) beziehungsweise das Auftreten von immunvermittelten Komplikationen wie für das Auftreten der GvHD ist [4]. Die Vielfalt des Mikrobioms korreliere demnach mit dem OS nach alloSZT und sei deshalb ein wichtiger Biomarker für den Erfolg dieser Immuntherapie, folgerte er.
Zudem könne die Zusammensetzung des Mikrobioms auch als Biomarker bei der Immuncheckpointblockade (ICB) fungieren. „In Studien aus dem Jahr 2018 war ein vielfältiges Mikrobiom mit einem besseren progressionsfreien Überleben (PFS) unter ICB beim fortgeschrittenen Melanom assoziiert“, wusste Thiele Orberg [5, 6]. In einer prospektiven Studie mit 338 Patienten mit einem nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) im Stadium IV konnte sogar ein Bakterium identifiziert werden, dessen Vorhandensein prädiktiv für das Therapieergebnis war: Akkermansia muciniphila. Die Behandelten sprachen besser auf eine PD-1-Inhibition in erster oder zweiter Linie an und erreichten ein längeres PFS, wenn ihr Darm mit A. muciniphila besiedelt war [7].
Verantwortungsvoller Umgang mit Antibiotika
Breitspektrumantibiotika müssen häufig im Laufe einer alloSZT eingesetzt werden, um infektiöse Komplikationen zu beherrschen. Das Problem dabei ist, dass diese das Mikrobiom zerstören – und das nicht ohne Folgen. „Wir haben in einer retrospektiven Studie zeigen können, dass sich der frühe Einsatz von Breitspektrumantibiotika zum Zeitpunkt vor der alloSZT besonders ungünstig auf die Therapieergebnisse auswirkt“, berichtete Thiele Orberg [8]. „Antibiotika, die hier besonders schlecht sind, sind genau die, die wir in der Erstlinie einsetzen: Piperacillin/Tazobactam oder Carbapeneme. Diese sind mit einer hohen Rate an transplantationsassoziierten Komplikationen wie der GvHD assoziiert“, klärte er auf [9].
Der ungünstige Effekt von Breitspektrumantibiotika ist nicht nur bei der alloSZT sondern auch bei der ICB nachweisbar. In einer großen Metaanalyse stand die Gabe von Antibiotika laut Thiele Orberg besonders vor der Initiierung der ICB oder kurz danach mit einem schlechteren Ansprechen in Verbindung [10]. Zwar gebe es nur eine begrenzte Reproduzierbarkeit der Mikrobiomsignaturen in verschiedenen Kohorten, nichtsdestotrotz habe ein Maschine-Learning-Algorithmus den Zusammenhang zwischen dem Mikrobiom und den Ansprechraten unter ICB bestätigt [11], meinte der Forscher.
„Auch die CAR-T-Zell-Therapie ist antibiotikaabhängig“, ergänzte er. Denn die Exposition mit Breitspektrumantibiotika während einer CAR-T-Zell-Therapie sei in verschiedenen Studien mit einer reduzierten Wirksamkeit und einer erhöhten Rate an immunvermittelten Nebenwirkungen verbunden gewesen [12, 13].
„Wir kommen in der Onkologie nicht um den Einsatz von Antibiotika herum, allerdings kann man sich die Indikation zur Antibiose klinisch genau überlegen und die Dauer abwägen“, mahnte Thiele Orberg.
Mikrobiomsignatur: Welche mikrobiellen Metabolite sind protektiv?
„Die Diversität des Mikrobioms ist ein Prädiktor für das Überleben nach einer Immuntherapie, aber es bleibt unklar, welche Mikrobiota dafür relevant sind und wodurch dieser Effekt erzielt wird. Das Ziel der Forschung ist es deshalb, mikrobielle Metabolite zu identifizieren, die als Bindeglied zwischen dem Mikrobiom, dem Epithel und dem Immunsystem wirken könnten“, erläuterte Thiele Orberg. In einer multizentrischen Mikrobiomstudie fand sein Team heraus, dass mikrobielle Metabolite während einer alloSZT drastisch abnehmen. „Aus den fünf wichtigsten und aussagekräftigsten immunmodulatorischen Metaboliten haben wir ein Immunmodulatory Metabolite Risk-Index (IMM-RI) gebildet“, so der Forscher [14]. „Patienten mit Low-risk-IMM-RI hatten hohe Stuhl-Metabolitenwerte, wohingegen jene mit High-Risk-IMM-RI niedrige Werte aufwiesen“, berichtete er. „Der Index war prognostisch, extrem relevant und konnte in dieser Kohorte das 2-Jahres-OS sehr gut vorauszeigen“, fasste er zusammen.
Mikrobiombasierte Therapien in der Onkologie
Thiele Orberg nannte drei Levels, an denen das Mikrobiom moduliert werden kann: Diät und Präbiotika, Probiotika sowie Postbiotika (nicht lebende Mikroorganismen und deren gesundheitsfördernde Stoffwechselprodukte). Zudem kann beim fäkalen Mikrobiotatransfer (FMT), auch Stuhltransplantation genannt, ein Teil des Stuhls eines gesunden Spenders in den Darm einer erkrankten Person übertragen werden.
Präbiotika: ballaststoffreiche Ernährung essenziell
Präbiotika sind bestimmte Arten von Stärke und Ballaststoffen, die zwar für Menschen unverdaulich sind, aber Bakterien als Substrate für die Produktion von Metaboliten dienen. Einige Metabolite könnten sich beispielsweise auf intestinale Stammzellen oder auf T-Zell-Antworten auswirken, wusste der Arzt. Die kurzkettige Fettsäure Butyrat (Salz der Buttersäure) ist unter anderem eine wichtige Energiequelle für intestinale Epithelzellen. In einer Phase-II-Studie regte die Gabe von verkapselter Kartoffelstärke, einem Präbiotikum, die Butyratproduktion bei Patienten unter alloSZT an [15]. Ob dies auch mit einer niedrigeren GvHD-Rate assoziiert ist, wird derzeit in einer weiteren Phase-II-Studie evaluiert.
In einer Untersuchung bei Melanompatienten hing die Wirksamkeit einer ICB von Präbiotika ab. Behandelte mit einer hohen Ballaststoffzufuhr (>20g/Tag) erreichten ein längeres PFS als jene mit einer unzureichenden Aufnahme von Ballaststoffen [16]. Im klinischen Alltag sollte man demnach den Patienten eine ausgewogene, mediterrane Ernährung empfehlen, betonte Thiele Orberg.
Probiotika für alle?
Die bakterielle Butyratproduktion kann nicht nur über Ballaststoffe angeregt werden, es können auch direkt butyratproduzierende Bakterienkulturen als Probiotika verabreicht werden. In einer Phase-I-Studie mit dem butyratbildenden Clostridium butyricum MIYAIRI 588 (CBM588) in Kombination mit einer ICB (Nivolumab/Ipilimumab) als Erstlinientherapie beim Nierenzellkarzinom im Stadium I ergab sich durch die Zugabe des Probiotikums ein erhöhtes PFS im sekundären Endpunkt (12,7 vs. 2,5 Monate; HR 0,15; 95%-KI 0,05–0,47; p = 0,001) [17]. „Es sind noch frühe Daten, aber jetzt wissen Sie ein bisschen, wo die Reise hingeht“, folgerte Thiele Orberg.
Probiotika sind aber nicht per se hilfreich. „Es kommt auf das richtige Probiotikum und vor allem darauf an, was dieses Probiotikum möglicherweise an Metabolitproduktion aufweisen kann“, mahnte der Wissenschaftler. Denn in einem Melanom-Mausmodell hätte die Einnahme von handelsüblichen, auf Bifidobakterium- oder Lactobacillus-basierten Probiotika dazu beigetragen, dass sich die Wirksamkeit auf eine ICB sogar verschlechtert habe, gab er zu bedenken [16]. „Ich empfehle keine handelsüblichen, freiverkäuflichen Probiotika bei der alloSZT und bei der ICB“, folgerte er.
Stuhltransplantation: Option für bestimmte Patienten
In den USA ist bereits das FMT-Produkt SER-109 zur Therapie der refraktären Clostridioides-difficile-Kolitis zugelassen. In Deutschland gibt es bisher keine zugelassene FMT, diese ist aber laut Thiele Orberg als individueller Heilversuch möglich bei rezidivierenden Clostridioides-difficile-Infektionen und bei steroidrefraktärer GvHD nach alloSZT. In einer Phase-I-Studie wurde bereits die Sicherheit der FMT beim Melanom in Kombination mit einer PD-1-Inhibition bestätigt [18]. 65% der Patienten sprachen auf die Kombinationstherapie an, davon 20% mit einer kompletten Remission.
Fazit
„Mikrobiota und Metaboliten sind als Prädiktoren von klinischen Outcomes in der Immunonkologie sehr relevant. Für jede Modalität der Immuntherapie wird es jedoch einen unterschiedlichen Mix aus Mikrobiota und Metaboliten brauchen, sowohl als Biomarker aber auch als Therapeutikum“, konstatiert Thiele Orberg.