„Impact“ ohne Publikationen

Der Erlanger Nachlass

Ein Professor steht im Hörsaal vor seinen Studenten und schärft ihnen ein, dass sie zwei Eigenschaften während ihres Medizinstudiums erwerben sollten, um gute Ärzte zu werden: erstens eine gute Beobachtungsgabe und zweitens die Fähigkeit, vor nichts Ekel oder Abscheu zu haben. Er erläutert dies an einer Urinprobe: „Die alten Ärzte haben den Zuckergehalt mit dem Finger an der Zunge erprobt!“ Er führt diese Untersuchung praktisch vor und lässt es nacheinander alle Studenten ihm nachmachen. Danach äußert er sich zufrieden über ihre redlichen Bemühungen, den Ekel zu unterdrücken, fügt aber dann hinzu: „Leider fehlt Ihnen aber noch gänzlich die Beobachtungsgabe, sonst hätten Sie bemerkt, dass ich mit dem zweiten Finger der rechten Hand in das Glas hineinfuhr, aber am dritten geleckt habe!“ [1].
Dieser Professor war Johann Lukas Schönlein (1793–1864). Die Anekdote stellt ihn in der Situation dar, die er am meisten liebte, beim klinischen Unterricht im Hörsaal und am Krankenbett (Abb. 1, Tab. 1).

Hier konnte er mit seinem Wissen, seinem rhetorischen Talent und seinem gelegentlich auch derben Humor die Studenten begeistern; hier feierte er seine größten Erfolge. Dem Schreiben war er nicht sehr zugetan, zumindest nicht, was das Verfassen wissenschaftlicher Publikationen anging. Außer seiner Dissertation existieren ganze zwei medizinische Veröffentlichungen, die man vom Umfang her heute eher in die Kategorie Leserbriefe einordnen würde. So ist es aus heutiger Sicht nicht ganz einfach nachzuvollziehen, wie er zu einem der wichtigsten und einflussreichsten deutschen Mediziner in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden konnte [2].
In Ermangelung gedruckter Zeugnisse seiner Tätigkeit ist zur Beurteilung von Schönleins Bedeutung für die frühe Entwicklung der wissenschaftlichen Medizin neben den Arbeiten seiner Schüler vor allem auch sein handschriftlicher Briefwechsel von großer Bedeutung. Hier konnte nun durch die Wiederentdeckung eines großen Teils seiner privaten Korres­pondenz ein großer Schritt vorwärts getan werden. Im Jahr 2017 fanden sich im Nachlass des ehemaligen Erlanger Lehrstuhlinhabers für Hygiene und Bakteriologie, Maximilian Knorr (1895–1985),  über 1.000 verloren geglaubte Briefe von zeitgenössischen Kollegen und Wissenschaftlern, aber auch von Patienten, Insti­tutionen, Familienangehörigen und Freunden [3, 4]. Der Umfang dieses Briefkonvolutes beträgt ein Vielfaches der bis dahin bekannten Korrespondenz und erlaubt nun einen viel umfassenderen Blick auf das Vermächtnis dieses Arztes und Hochschullehrers sowie auf seinen „Impact“ für die Medizin des frühen 19. Jahrhunderts, auch ohne Publikationen. Derzeit werden diese Briefe einer systematischen Auswertung unterzogen. Der vorliegende Artikel kann zum aktuellen Zeitpunkt allenfalls einen kursorischen und sporadischen Einblick in die Vielfalt dieses Materials ermöglichen.

Bedeutung als akademischer Lehrer

Schönlein war, wie bereits eingangs dargestellt, ein leidenschaftlicher universitärer Lehrer. Er begeisterte die Studenten durch seine Vorlesungen, die er nicht in lateinischer Sprache, sondern auf Deutsch hielt, und noch mehr durch den Anschauungsunterricht während seiner Visiten. So beschreibt einer seiner Schüler: „Er that dies in kräftiger farbenreicher Sprache, die auch die derberen, populären Ausdrücke des Süddeutschen, wo sie am Platze waren, nicht verschmähte. […] Alles schien er mir damals zu wissen, Alles am Krankenbette zu können!“ [5].
Die Medizin stand am Anfang des 19. Jahrhunderts vor einem großen Umbruch, was Rudolf Virchow (1821–1902) später folgendermaßen beschreibt: „Es war der Wendepunkt zwischen alter und neuer Medicin in Deutschland gekommen; es sollte sich entscheiden, ob die Medicin durch die Beobachtung oder durch die Speculation, ob sie naturwissenschaftlich oder philosophisch aufzubauen sei.“ [6]. Während sich in Schönleins eigener Dissertationsarbeit noch naturphilosophische Anklänge finden, wird er bald darauf als junger, charismatischer Professor und Leiter des Würzburger Juliusspitals zur Keimzelle einer neuen Schule, später die „naturhistorische“ genannt, die sich ausschließlich auf das objektiv Beobachtbare als Fundament ihrer Medizin gründete [7]. Er führte die Auskultation und Perkussion, die in Paris und Wien entwickelt worden waren, als Standardmethoden an seiner Klinik ein, ebenso wie die chemische und mikroskopische Untersuchung der verschiedenen Körperflüssigkeiten [8, 9]. Auch erfasste er erstmals systematisch die in seiner Klinik behandelten Erkrankungen und deren Verläufe. Diese zumindest in Deutschland gänzlich neue Art, Medizin zu betreiben, lockte Medizinstudenten aus ganz Europa an. Deren Zahl steigt während seiner 13-jährigen Lehrtätigkeit in Würzburg kontinuierlich bis auf mehr als 250 Studierende im Semester an, und reduzierte sich in den Jahren nach seiner Abberufung auf weniger als die Hälfte. Es berichtet wiederum einer seiner Schüler: „Hat er nicht Würzburg zum Wallfahrtsort für deutsche Aerzte gemacht, wie es Rom für die Künstler ist! [...] Keine Schriften hinterläßt Schönlein, aber sein Wort wird unsterblich bleiben.“ [10].
Die allermeisten der von ihm ausgebildeten Ärzte blieben ihrem Meister auch später in dankbarer Verehrung verbunden, wie 150 der neu entdeckten Briefe seiner Schüler aus dem Erlanger Nachlass belegen. Darin richten einige auch eindringliche Appelle an ihn, endlich seine wissenschaftlichen Erkenntnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, denn Lehrbücher mit detaillierten Beschreibungen einzelner Krankheitsbilder gab es damals praktisch noch nicht. Auch stand Schönlein in dieser Absicht schon mit verschiedenen Verlagshäusern in brieflichem Kontakt, aber letztendlich scheiterte eine Pu­blikation seiner Krankheits­lehre daran, dass er selbst seine Theorien für noch nicht ausgereift genug erachtete [11]. Am eindrucksvollsten lässt sich die Bedeutung der Schönlein‘schen Schule durch die Tatsache untermauern, dass dreißig der von ihm in Würzburg, Zürich oder Berlin ausgebildeten Studenten Professuren an siebzehn verschiedenen deutschsprachigen Universitäten erhielten. Die wohl bekanntesten davon stammen aus seiner Berliner Zeit. Es seien hier nur exemplarisch genannt: der Chirurg Theodor Billroth (1829–1894), der Histologe Carl Bruch (1819–1884), der Internist Ernst von Leyden (1832–1910), der Physiologe Emil du Bois-Reymond (1818–1896), der Physiker und Physiologe Hermann von Helmholtz (1821–1894) und der Ophthalmologe Albrecht von Graefe (1828–1870). Von seinem wohl berühmtesten Schüler und Assistenten Rudolf Virchow wird im Weiteren noch die Rede sein.
Am bekanntesten ist der Name Schönlein dem Mediziner wohl durch die nach ihm benannte Krankheit, die Purpura Schönlein-Henoch (Abb. 2). 

Wenn man die wissenschaftliche Literatur jedoch kritisch durchforstet, muss man auch hier feststellen: Schönlein selbst hat nie etwas zu diesem Krankheitsbild veröffentlicht. Allerdings existieren zahlreiche von anonymen Hörern seiner Vorlesungen herausgegebene Mitschriften, die wiederholt aufgelegt und auch in andere Sprachen übersetzt wurden. Diese Vorlesungsmanuskripte, die die Bemühungen Schönleins um eine wissenschaftliche Klassifikation der Krankheiten analog zu der Linné’schen Nomenklatur der Botanik widerspiegeln, wurden von ihm jedoch nie offiziell anerkannt, ja er ging zeitweise sogar gerichtlich gegen deren Publikation vor. Bereits in der zweiten Auflage aus dem Jahr 1832 findet sich unter der Zuordnung „2. Klasse: Hämatosen; V. Familie: Cyanosen, 1. Gattung: Peliosis [synonym: Purpura]“ eine Beschreibung der „Form: Peliosis rheumatica“. Hier werden die Hauterscheinungen, Gelenk- und Nierenbeteiligung der Purpura Schönlein-Henoch (heute auch: IgA-Vaskulitis) bereits exakt beschrieben [12]. Über 30 Jahre später steuerte dann Schönleins Berliner Schüler, der Pädiater Eduard Henoch (1820–1910), die Beobachtung bei, dass bei dieser Erkrankung auch die Schleimhaut des Magen-Darm-Traktes befallen sein kann [13].
Weniger bekannt sind andere wissenschaftliche Leistungen Schönleins, die für die Medizin des frühen 19. Jahrhunderts von Bedeutung waren: So war er der erste, der begriff, dass Fieber keine eigenständige Krankheit, sondern eine Reaktionsweise des Organismus, ein Symptom, darstellt [14]. Auch erkannte er den Zusammenhang der hirsekorngroßen Tuberkelknötchen zur Lungenschwindsucht und prägte den Begriff der Tuberkulose [15]. Aber die wohl bedeutendste Erkenntnis Schönleins steckt in einer seiner beiden einzigen Veröffentlichungen, ursprünglich einem Brief an seinen späteren Berliner Kollegen Johannes Müller (1801–1858), den dieser als halbseitige Mitteilung in seinem „Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medizin“ abdruckte. Er schreibt darin in Analogie zu der kurz vorher beschriebenen Genese der Seidenraupen-Krankheit (Abb. 3): „Dadurch wurde ich dann wieder an meine Ansicht von der pflanzlichen Natur mancher Impetigines erinnert […] so machte ich mich an die nähere Untersuchung, und gleich die ersten Versuche ließen keinen Zweifel über die Pilz-Natur der sogenannten Pusteln.“ [16].

Damit erbringt Schönlein erstmals den mikro­skopischen Nachweis von Pilzmyzelien als Erreger einer familiär gehäuft auftretenden Dermatomykose des Menschen, der Tinea favosa („Erbgrind“), was ihn zu einem Wegbereiter der medizinischen Mikrobiologie macht. Der Erreger, Trichophyton schoenleinii (früher Achorion schoenleinii), trägt noch heute seinen Namen [17, 18].

Bedeutung als Arzt

Einen ähnlich großen Effekt wie auf seine Studenten hatte Schönleins charismatische Persönlichkeit auch auf seine Patienten. Vor allem während seiner Züricher Zeit entwickelte er sich zu einem bevorzugten Ansprechpartner für alle Arten von gesundheitlichen Problemen bei der gehobenen schweizer und internationalen Gesellschaft. Bei etwa einem Drittel der Korrespondenz im Erlanger Nachlass handelt es sich um konkrete medizinische Fragestellungen von Patienten, deren Angehörigen oder behandelnden Ärzten. Hierunter finden sich Briefe des Leibarztes von Louis Napoleon Bonaparte III. (1808–1873) und der holländischen Königin Hortense de Beauharnais (1783–1837), genauso wie von zahlreichen Mitgliedern anderer deutscher, österreichischer und russischer Adelshäuser oder deren Ärzten.
Am Ende des Jahres 1834 wurde Schönlein von König Leopold I. (1790–1865) die Stelle eines Leibarztes am belgischen Hofe angeboten. Es stand die Geburt des zweiten Thronfolgers bevor, und man hoffte auf seine medizinische Expertise, da das erste Kind von Königin Louise (1812–1850) schon bald nach der Geburt verstorben war. Schönlein reiste nach Brüssel und half, den späteren Leopold II. (1835–1909) zur Welt zu bringen; aber das sehr lukrative Stellenangebot lehnte er ab, da er seine Berufung in der zum universitären Lehrer erkannt hatte, eine Tätigkeit, die er nicht aufgeben wollte. Auf die Nachfrage des Königs, was er ihm denn noch anbieten könne, um ihn in Brüssel zu halten, antwortete er nur: „Den Züricher See!“ [19]. Von Belgien aus reiste er nach London und Paris, um sich dort Universitäten und Hospitäler anzuschauen; dabei begleitete ihn sein ehemaliger Schüler, der englische Arzt und Schriftsteller Thomas L. Beddoes (1803–1849), der diese Absage folgendermaßen kommentierte: „Schönlein wird nimmermehr in Brüssel bleiben, denn er ist wohl der Mann, der sich einen Leibkönig halten kann, nie aber der Leibarzt eines Königs werden kann.“ [20].
Doch da sollte er sich geirrt haben, denn nur kurz nach seiner Berufung als Professor an die Berliner Universität durch Friedrich Wilhelm III. (1770–1840), bestimmt ihn dessen Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861) nicht nur zum „Vortragenden Geheimen Obermedizinalrat im Ministerium für Geistliche-, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten“, sondern auch zu seinem Leibarzt. In dieser Funktion behandelte er neben den Angehörigen des Hauses Hohenzollern auch zahlreiche andere Adlige aus ganz Europa und viele politische und geistliche Würdenträger [21].
Andere berühmte Patienten Schönleins waren Georg Büchner (1813–1837) [22], die Gebrüder Jacob (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859) [23], und auch Alexander von Humboldt (1769–1859) nahm gerne seine ärztlichen Dienste in Anspruch: „Theurer hülfreicher Freund, ich komme mit einer großen Bitte, meinem Hause durch den hippocratischen Zauber, der Ihnen innewohnt, etwas Trost zu geben.“ [24]. Dass er durch die Einnahmen aus all diesen Konsultationen durchaus in der Lage war, seiner fünfköpfigen Familie einen gehobenen Lebensstil zu ermöglichen, zeigt eine Abbildung ihres Wohnhauses vor den Toren Berlins (Abb. 4) [25].

Bedeutung als Naturwissenschaftler

Zahlreiche berühmte Ärzte des 19. Jahrhunderts waren nicht nur auf medizinischem Gebiet tätig, bei vielen erstreckten sich die Forschungstätigkeiten auch auf verschiedenste Gebiete der Geologie, Ethnologie, Biologie, Chemie und andere Naturwissenschaften. Dies gilt in ganz besonderem Maße auch für Schönlein, der neben seiner ärztlichen Tätigkeit und seinen Lehrverpflichtungen immer auch die Zeit und Muße fand, sich intensiv mit unterschiedlichsten nicht-medizinischen Forschungsgebieten zu beschäftigen.
Ein Hauptinteresse galt der Paläobotanik [26, 27]. Schon während seiner Schulzeit begann er Versteinerungen von Pflanzen im fränkischen Jura zu sammeln. Im Erlanger Nachlass beschäftigen sich über 50 Briefe mit dem Erwerb oder Tausch, der Klassifikation und der wissenschaftlichen Erfassung von fossilen Pflanzen, je eine Farn- und eine Schachtelhalmspezies wurden nach ihm benannt. Die in seinem Auftrag angefertigten wissenschaftlichen Zeichnungen wurden in dem reich bebilderten Werk „Abbildungen von fossilen Pflanzen aus dem Keuper Frankens“ veröffentlicht, das posthum in Schönleins Namen von August Schenk (1815–1891) herausgegeben wurde [28].
Eine weitere große Leidenschaft Schönleins war die Erforschung von Flora und Fauna in den damals noch wenig bekannten Regionen Asiens, Amerikas und Afrikas. Er selbst hegte zeitweise den Wunsch, als Naturforscher im Ausland tätig zu werden [29], musste diesen Traum aber wegen seiner raschen Berufung auf den Würzburger Lehrstuhl begraben. Er gab seine Motivation aber an einige seiner Schüler weiter, die nach Abschluss ihres Studiums als Ärzte in den holländischen Überseedienst eintraten [30]. Diese versorgten dann ihren Lehrer in der Heimat mit umfangreichen Sendungen von „Naturalien“, wie die Sammlungen verschiedenster Präparate menschlichen, tierischen und pflanzlichen Ursprungs bezeichnet wurden. Ein Beispiel hierfür gibt eine Auflistung im Brief eines Würzburger Schülers aus der damaligen niederländischen Kolonie Guyana, heute Surinam: „Verzeichnis der nat.[ur] h.[istorischen] Gegenst.[ände] In der Kiste; Vögel: 24 der schönsten Kolibris. 68 Vögel mittlerer Sorte. 27 große Vögel. – der größte ist selbst den Ureinwohnern fremd. – Einige Spielereyen, u. and. ein Jori Jori womit die Neger ihre Tänze accompagnen. Einige Früchte, worunter die große, rothe von außerord. gutem Geschmack. Im Faße: Ein Neger Kopf der am Trismus [Tetanus] gestorben. Einige Faulthiere, ohngefähr 50 Schlangen, Eine Beutelratte mit 2 Jungen; Ein Ameisenfreßer; einige Kröten, mehrere Affen, Kaimane, Eidechsen, Eine Klapperschlange. Eine Poppa oder Abgottschlange.“ [31].
Schönleins Aufgabe war dann die Sichtung, wissenschaftliche Klassifizierung und anschließende Weiterverteilung der Präparate an universitäre Institute, Museen und Kabinette oder private Sammler. Hierzu hatte er ein ausgedehntes Netzwerk von Naturforschern an der Hand, was wiederum durch eine umfangreiche Korres­pondenz mit mehr als einhundert Briefen zu dieser Thematik belegt wird. Einen besonders regen Austausch pflegte er mit Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied (1782–1867), der wegen seiner Forschungsreisen auch als der „Humboldt Nordamerikas“ bezeichnet wird. In einem Brief kündigt dieser ein Paket an: „Ich lasse jetzt eine Kiste für Ew. Wohlgeboren packen, worin sich befinden 1) ein Rakuhn (Procyon lotor) [Racoon, Waschbär] 2) das virginische Beutelthier (gute frische Exemplare). 3) der weibliche wilde Truthahn. 4) Procellaria capensis. [Kapsturmvogel] 5) das Chaja. [Halsband-Wehrvogel] 6) eine kleine Sammlung von Ohio-Muscheln.“ [32]. Kurz darauf muss er wohl die Antwortsendung Schönleins erhalten haben, denn er schreibt: „Ew. Wohlgeboren sage ich meinen verbindlichsten Dank für das schöne und ansehnliche Crocodil, welches wohlbehalten bei mir angekommen, und schon in der Sammlung aufgestellt ist.“ [33].

Bedeutung als Homo politicus

Der Beginn von Schönleins akademischer Laufbahn war geprägt durch die reaktionäre Politik der deutschen Landesfürsten in der post-napoleonischen Ära, als infolge der Karlsbader Beschlüsse von 1819 insbesondere auch die Universitäten Zensur und Repressalien unterworfen waren. Schönlein hingegen war fortschrittlich und demokratisch eingestellt. Wenn von ihm zwar selbst keine politischen Aktivitäten ausgingen, so traf er sich doch regelmäßig zum Stammtisch mit anderen gleichgesinnten Bürgern Würzburgs. Als 1832 beim Hambacher Fest die liberale Studentenbewegung ihre Forderungen nach einer Republik und der Einheit Deutschlands formuliert hatte, antwortete die Staatsgewalt mit der sogenannten „Demagogenverfolgung“, was eine Welle von Denunziationen und Verhaftungen nach sich zog. Dieser fielen auch Schönlein und seine Freunde zum Opfer. Er und einige andere Professoren verloren ihre Stellung, zwei seiner Stammtischgenossen wurden sogar zu langer Kerkerhaft verurteilt.
Nach dem Verlust seiner Professur wurde Schönlein Ende des Jahres 1832 zum Kreismedizinalrat nach Passau abgeordnet. Zu seinem Glück erhielt er zeitgleich den Ruf als Professor für spezielle Pathologie und Therapie an der neugegründeten Hochschule Zürich, verbunden mit der Leitung des dortigen Hospitals. Daher trat er die Stelle in Passau nicht an und reiste umgehend an seine neue Wirkstätte in die Schweiz. Als er im April 1833 nochmals nach Würzburg reisen will, um seine Frau abzuholen und den Hausstand aufzulösen, gerät er in die Wirren des als „Frankfurter Wachensturm“ bekannt gewordenen repu­blikanischen Aufstandes, wird nun erst recht der Beteiligung an revolutionären Umtrieben verdächtigt und muss zurück nach Zürich fliehen [34, 35].
Dort sorgt er erneut für einen starken Zustrom von Studenten aus ganz Europa. Aber nicht nur der Ruf seiner Vorlesungen lockt vor allem junge deutsche Mediziner nach Zürich, obwohl ihnen eine Ausbildung in der Schweiz eigentlich verboten ist. Die Schönlein'sche Klinik wird auch zum Zufluchtsort für politisch Verfolgte. So schreibt etwa der Kirchenrat Gampert aus Regensburg über seinen Sohn: „Das Kreis- und Stadtgericht des Untermainkreises bezichtigt ihn der thätigen Theilnahme an den blutigen Meutereien, die sich ein kleiner Haufe unbesonnener, überspannter Jünglinge am 3ten April d. J. in Frankfurt a/M. erlaubte. [...] Kann er, der thätigen Theilnahme daran Verdächtigte, auf der Universität Zürich bleiben, ohne den ihn aufsuchenden teutschen Gerichten ausgeliefert zu werden?“ [36]. Oder Sophie Jäger, die Witwe eines Stuttgarter Obermedizinalrates, über den ihrigen „Mein Sohn Wilhelm Jäger [...] hat sich seit einigen Tagen von Tübingen, wo er Medicin studirte entfernt, um Untersuchungen politischer Art zu entgehen, allen Vermu­thungen nach ist er in die Schweiz, wahrscheinlich nach Zürich gegangen.“ [37].
Als Schönlein später in Berlin die Stellung des Leibarztes des preußischen Königs angetragen wird, hält er es für seine Pflicht, diesen über seine politische Einstellung zu informieren: „Majestät, ich fühle mich in meinem Gewissen bedrängt, Ihnen mitzutheilen, daß ich im Prinzip Republikaner bin.“, worauf Friedrich Wilhelm IV. entgegnete: „Das ist mir sehr angenehm, lieber Schönlein, jetzt wird Humboldt nicht mehr der einzige am Hofe sein.“ [21]. Auch während seiner Berliner Zeit pflegt er weiter den Kontakt zu liberalen Denkern, wie etwa dem Vormärz-Dichter Georg Herwegh (1817–1875). Während der Revolutionstage im März 1848 allerdings verhilft Schönlein dem Thronfolger, dem späteren Kaiser Wilhelm I. (1797–1888), zur Flucht von Berlin nach Potsdam in seiner Doktorkutsche [25]. Zur gleichen Zeit kämpft Schönleins Assistent Rudolf Virchow für die Revolution auf den Berliner Straßenbarrikaden. Virchow selbst erinnert sich hierzu an eine ironische Bemerkung seines Professors während einer gemeinsam durchgeführten Obduktion: „wie er einstmals im Jahre 1848, als ich in einem Falle, wo er eine hämorrhagische Apoplexie erwartet hatte, eine Embolie der Hirnarterien nachwies, halb ärgerlich und halb freundlich ausrief: „Sie sehen auch überall Barrikaden.“ [6].

Bedeutung als Mäzen

Nach seiner Emeritierung in Berlin zog sich Schönlein in seine Vaterstadt Bamberg zurück, mit der er zeitlebens in enger Verbindung gestanden hatte. Nun hatte er die Muße, seine vielfältigen Sammlungen zu ordnen und in gute Hände abzugeben. Seinen Besitz an über 25.000 historischen Buchbänden vermachte er der dortigen Staatsbibliothek, die Würzburger Universitätsbibliothek erhielt etwa 3.500 von ihm zusammengetragene Werke zur Krankheits- und Seuchengeschichte. Das Bamberger Naturkundemuseum hatte er schon einige Jahrzehnte lang mit Exponaten aus der ganzen Welt versorgt, und der Historische Verein erhielt seine geliebte Sammlung von Münzen und Medaillen berühmter Mediziner und Naturforscher. Im Museum für Naturkunde in Berlin schließlich sind bis heute die von ihm zusammengetragenen Pflanzenversteinerungen zu sehen [38, 39].
So lässt sich abschließend feststellen, dass sich hinter dem Namen Johann Lukas Schönlein weit mehr verbirgt als die Beschreibung der nach ihm benannten Purpura. Er war wohl einer der einflussreichsten Ärzte und Naturwissenschaftler in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und Wegbereiter für die bald darauf folgende rasante Entwicklung der Infektiologie, Mikrobiologie und Immunologie. Sein berühmtester Schüler Virchow schreibt zu Recht über ihn: „In der langen Reihe ruhmvoller Namen, welche die Annalen dieser Hochschule während der ersten 50 Jahre ihres Bestehens zieren, ist der seinige einer der ruhmvollsten.“ [6].

Autor
Prof. Dr. med. Bernhard Manger
Medizinische Klinik 3 – Rheumatologie und Immunologie, Universitätsklinikum Erlangen
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
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