Immundefizienz und Autoinflammation

Editorial

Die Entschlüsselung des humanen Genoms und die rasante Entwicklung molekulargenetischer Methoden, insbesondere des Next Generation Sequencing, haben die immunologische Forschung revolutioniert, und nicht nur zur Aufklärung zahlreicher monogen bedingter Defekte des Immunsystems geführt, sondern damit auch wesentlich zu unserem heutigen Verständnis der zellulären und molekularen Basis von Immunität beigetragen. Bereits in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, und damit mehr als zehn Jahre vor Erfindung der DNA-Sequenzierung durch Frederick Sanger, hatte der Immunologe Robert Alan Good – basierend auf seinen bahnbrechenden Erkenntnissen zur Rolle des Thymus für die Entwicklung des Immunsystems – die Agammaglobulinämie Bruton als Experiment der Natur bezeichnet. In der Tat haben klinische Beobachtungen an immundefizienten Patienten sowie die Identifizierung ursächlicher Genmutationen mittels Exom-Sequenzierung gegenwärtig einen wichtigen Stellenwert bei der Aufklärung pathogenetischer Zusammenhänge. Insofern besitzt die Aussage von Robert Good nach wie vor hohe Relevanz. Die Erkenntnisse der letzten Jahre haben aber auch gezeigt, dass ein und dieselbe Mutation nicht nur eine Immundefizienz verursachen, sondern auch mit Autoinflammation oder Autoimmunität einhergehen kann.
Die klassische Definition von Autoinflammation als sterile Inflammation ohne Autoimmunität oder Infektneigung auf der einen Seite und von Autoimmunität durch Antigen-spezifische Autoantikörper oder autoreaktive T-Zellen auf der anderen Seite basierte unter anderem auf der Entdeckung der genetischen Grundlagen des familiären Mittelmeerfiebers sowie der NLRP3- und TNFRSF1A-assoziierten autoinflammatorischen Syndrome. Diese dichotome Betrachtungsweise diente lange zur Klassifizierung von Auto­inflammation als primäre Störung des angeborenen Immunsystems und von Autoimmunität als primäre Störung des adaptiven Immunsystems.
Jüngste Erkenntnisse über die komplexe Regulation des Immunsystems haben uns hingegen gelehrt, dass Fehlsteuerungen des angeborenen und des adaptiven Immunsystems sich keineswegs gegenseitig ausschließen, sondern sich auch gegenseitig bedingen können. Während die Assoziation von Immundefizienz im Sinne einer pathologischen Infektneigung mit Autoimmunität schon länger bekannt ist, wie beispielsweise beim Omenn-Syndrom oder beim autoimmun-lymphoproliferativen Syndrom (ALPS), ist unser Verständnis von Krankheiten, bei denen Autoinflammation mit Autoimmunität oder Infektneigung als Folge einer monogen bedingten Immundysregulation auftritt, noch vergleichsweise jung. Wichtige Beispiele hierfür sind die HOIL-Defizienz sowie einige Formen der Typ-1-Interferono­pathien, bei denen primäre Störungen des angeborenen Immunsystems vorliegen.
Während die Aufklärung der genetischen Ursachen von Immundysregulation bei Patienten wichtige Einblicke in die Funktionen des Immunsystems geliefert haben, haben umgekehrt zahlreiche Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung ihren Weg zurück zum Patienten gefunden. Hierzu zählt nicht nur die Knochenmarkstransplantation für die Therapie von Immundefekten, sondern auch ein immer größer werdendes Arsenal an Biologika, die sich beispielsweise gezielt gegen Il-1β oder TNF-α richten und mittlerweile etablierte therapeutische Strategien für Patienten mit Autoinflammation darstellen. Darüber hinaus haben molekulare Erkenntnisse über seltene monogene Immundysregulationssyndrome auch Bedeutung für häufige multifaktorielle Erkrankungen und finden vermehrt Eingang in die Therapie komplexer Auto­immunerkrankungen. Beispiel hierfür ist der Einsatz von CTLA4-Fc bei besonderen Formen der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung.
Die nachfolgenden Artikel sollen einen Überblick über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über Erkrankungen des Immunsystems im Spannungsfeld zwischen Immundefizienz, Autoimmunität und Autoinflammation geben.

Autoren
Prof. Dr. Bodo Grimbacher
Prof. Dr. med. Min Ae Lee-Kirsch