CRISPR/Cas9 revolutioniert die Gentechnik!
Immunologie leicht gemacht
Mit zahlreichen renommierten Preisen wurden Jennifer Doudna und Emanuelle Charpentier für ihr CRISPR/Cas9-System bereits geehrt. Eigentlich haben viele erwartet, dass die beiden Wissenschaftlerinnen auch schon längst für den Nobelpreis nominiert sind, schließlich ist die Methode mittlerweile genauso wenig aus gentechnischen Laboratorien wegzudenken wie die Polymerasekettenreaktion. Nur wenige Jahre nach den ersten Artikeln über das neue Werkzeug für die Genmanipulation gehen die ersten klinischen Studien mit dieser Technologie an den Start. Bei Tieren und Pflanzen gibt es bereits interessante Erfolge, allerdings ist die Akzeptanz in der Gesellschaft eher gering.
Das „Immunsystem“ der Bakterien
Wie stolz und glücklich sind doch wir höheren Organismen über unser ausgeklügeltes Immunsystem! Zum einen haben wir mit z. B. den Makrophagen und dem Komplementsystem eine erste schnelle Eingreiftruppe, deren Vertreter sehr unspezifisch Eindringlinge direkt bekämpfen können. Zum anderen erkennen B- und T-Zellen mithilfe ihrer Oberflächenrezeptoren exakte Strukturen von Pathogenen und können sie gezielt eliminieren. Über die Differenzierung zu B- und T-Gedächtniszellen wird zudem eine Art Rufbereitschaft bereitgestellt, die bei einer erneuten Infektion mit dem gleichen Pathogen sehr schnell spezifisch den Eindringling bekämpfen kann.
Umso bemerkenswerter war die Entdeckung, dass auch Bakterien über Möglichkeiten verfügen, die in ihrer Funktionalität sehr unserem komplexen Immunsystem ähneln. Vergleichbar mit unserem „unspezifischen“ Immunsystem verfügen Bakterien über Restriktionsendonukleasen, die eingedrungene (Phagen-)DNA zerschneiden, da diese – anders als das eigene bakterielle Genom – nicht an bestimmten Basen methyliert und dadurch vor dem Abbau geschützt ist. Für die Entdeckung dieser Enzyme und ihre Anwendung in der molekularen Genetik erhielten die Wissenschaftler Werner Arber, Daniel Nathans und Hamilton O. Smith 1978 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.
Die Basis für CRISPR/Cas9 wurde 1987 zunächst in Escherichia coli [1], und später auch in anderen Bakterien entdeckt, aber damals noch keineswegs verstanden. Diese Art spezifisches/adaptives Immunsystem kommt bei ungefähr 90% der Archaebakterien und bei ca. 50% der Eubakterien vor und ermöglicht den Prokaryonten eine sehr effiziente Zerstörung der Nukleinsäuren spezifischer Bakteriophagen [2].
Die Funktionsweise von CRISPR/Cas
Das Kürzel CRISPR leitet sich von „Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats” ab, also von Wiederholungseinheiten (Repeats) aus 29 Nukleotiden, zwischen denen sich immer eine Platzhalter-Sequenz (Spacer) von 32 Nukleotiden befindet (Abb. 1). Diese Spacer-Sequenzen wiederum stammen ursprünglich von Bakteriophagen und wurden nach einer Infektion von bakteriellen Enzymen aus der Phagen-DNA geschnitten und zwischen zwei Repeats in das Bakterien-Genom integriert (Abb. 1A) – quasi als immunologisches Gedächtnis. Als Markierung für die DNA-Schnitte der Bakterien-Enzyme dient ein kurzes Motiv auf der Phagen-DNA, die als protospacer adjacent motifs (PAMs) bezeichnet wird. Bei jeder Infektion mit einem neuen Phagen wächst also die CRISPR-Region. Außerdem wird diese Art „immunologisches Gedächtnis“ bei jeder DNA-Replikation und Zellteilung auf die Nachkommenschaft weitergegeben – ein Punkt, den die Bakterien uns mit unserem spezifischen Immunsystem voraushaben [3].
Im Bakterium wird die gesamte CRISPR-Region zunächst in eine lange RNA transkribiert, die dann mithilfe einer kurzen trans-aktivierenden CRISPR-RNA (tracrRNA) und weiterer Enzyme in die sogenannten crRNAs zerschnitten werden. Jede crRNA besteht aus einer Spacer- und einer Repeat-Sequenz, die ihrerseits mit der tracrRNA basenpaaren kann. In der Nähe der CRISPR-Region befinden sich Gene für CRISPR-assoziierte Proteine (Cas), von denen Cas9 zusammen mit dem Dimer aus crRNA und tacrRNA eine Art „Wächterkomplex“ innerhalb der Zelle bildet, der bei einer erneuten Infektion mit demselben Phagen aktiv wird: Die crRNA bindet an die eingedrungene Phagen-DNA und Cas9 schneidet den Duplexstrang. Dadurch wird die Infektion abgewehrt (Abb. 1C) [3].
CRISPR/Cas als Methode zur Genom-Editierung
Die Möglichkeiten, die hinter diesem System stecken, blieben zunächst völlig unerkannt. Erst vor wenigen Jahren zeigten die beiden Wissenschaftlerinnen Jennifer Doudna und Emanuelle Charpentier, dass die Endonuklease Cas9 immer dort aktiv wird, wo eine crRNA an ihre komplementäre doppelsträngige DNA bindet und ein kurzes Erkennungsmotiv vorliegt [4, 5]. Dieses Wissen lässt sich zu einem molekulargenetischen Baukasten entwickeln, der in der einfachsten Form aus nur zwei Komponenten besteht: der Endonuklease Cas9 und einem RNA-Fusionsmolekül aus crRNA und tracrRNA (single guide RNA, sgRNA). Beide Moleküle können entweder direkt oder über den Umweg einer Transfektion mit Plasmid-DNA in die Zelle eingeschleust werden (Abb. 2). Das Plasmid trägt die Information für beide Komponenten und wird in der Zelle transkribiert und translatiert. Dabei wird die Sequenz für die sgRNA so konzipiert, dass der crRNA-Teil an einen Bereich innerhalb eines bestimmten Ziel-Gens bindet, der in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer PAM-Sequenz liegt. Die PAM-Sequenz besteht nur aus den drei Nukleotiden NGG (N: beliebiges Nukleotid).
In der Zielzelle bindet die crRNA an ihr passendes Gen und positioniert zusammen mit der tracrRNA-Sequenz Cas9 zum Doppelstrangschnitt auf der DNA. Das Ergebnis ist zunächst ein ganz normaler kompletter Schnitt im Genom, der allerdings möglichst schnell wieder repariert werden muss.
Für die Reparatur stehen zwei wesentliche Mechanismen zur Verfügung (Abb. 3):
• Beide Enden werden einfach enzymatisch über non-homologous end-joining (NHEJ) verknüpft, wobei jedoch meist kleine Fehler passieren, d. h. es werden entweder ein paar Nukleotide eingefügt (Insertion), oder aber ein paar Nukleotide gehen verloren (Deletion), weshalb diese Sequenzveränderungen auch als InDels bezeichnet werden. Üblicherweise führt NHEJ zu einer Inaktivierung des betroffenen Gens.
• Ist eine intakte Kopie des Gens vorhanden – entweder das zweite Allel in der diploiden Zelle oder eine mit transfizierte DNA – kann die Lücke über homologe Rekombination (homology-directed repair, HDR) korrekt geschlossen werden, wobei es zu einer Genreparatur kommt.
Anbieter molekularbiologischer Werkzeuge haben Cas9-Enzyme und geeignete Plasmide zur Anwendung von CRISPR/Cas im Labor in ihrem Portfolio und verschiedene Internetseiten geben Hilfestellung bei der Konzeptionierung der passenden crRNA-Sequenz.
Man nehme: CRISPR/Cas9!
Genom-Modifikationen mit Insertion einer intakten Gen-Kopie in die DNA der Zellen werden bei etlichen Erkrankungen, die z. B. durch Gendefekte, wie sie bei der schweren kombinierten Immundefizienz vorliegen, hervorgerufen werden, als effiziente Therapie betrachtet. Allerdings besteht dabei immer die Gefahr einer unspezifischen Insertionsmutagenese. Sehr viel effizienter gelingt der zielgerichtete Einbau eines Gens an einer Stelle, an der vorher ein Doppelstrangbruch stattgefunden hatte und von der man mit Sicherheit weiß, dass dabei kein wesentliches Gen zerstört und womöglich sogar eine Entartung der Zelle induziert wird. Inzwischen sind ein paar Klassen von Designer-Nukleasen bekannt, die Sequenz-spezifisch DNA schneiden können, um genau dort das neue Gen zu inserieren: die sogenannten Meganukleasen, die Zinkfingernukleasen und die transcription activator-like effector nucleases (TALENs). Der Nachteil dieser Enzyme ist, dass die Sequenzspezifität jeweils durch die Interaktion zwischen Protein und DNA zustande kommt. Demgegenüber sorgt bei CRISPR/Cas9 eine kurze RNA für die genaue Platzierung der Nuklease. Je nach Zielstruktur kann davon ausgegangen werden, dass die Effizienz der Genom-Editierung über CRISPR/Cas9 bei 80% oder sogar noch höher liegt [6].
Genom-Editierung am Menschen
Anhand der beiden Reparaturmechanismen, non-homologous end-joining (NHEJ) und homology-directed repair (HDR), lassen sich verschiedene Anwendungsmöglichkeiten in der Humanmedizin ableiten. NHEJ könnte z. B. zur Adressierung von Tumorerkrankungen und Infektionskrankheiten verwendet werden. In der weltweit ersten klinischen Studie, in der CRISPR/Cas9 angewendet wird, soll das Gen für den Programmed-Death-1 (PD-1)-Rezeptor über NHEJ ausgeschaltet werden. Dafür werden T-Zellen aus Patienten isoliert, mit CRISPR/Cas9 modifiziert und anschließend in den Patienten reinfundiert [7]. Vier Phase-I-Studien mit einem entsprechenden Ansatz bei verschiedenen Tumorerkrankungen, unter anderem das metastasierende, nicht-kleinzellige Lungenkarzinom, sind in der Datenbank für klinische Studien bei den U. S. National Institutes of Health aufgeführt. Alle vier Studien sind in China geplant. Dass das Prinzip vermutlich funktioniert, ist am erfolgreichen Einsatz der PD-1-Inhibitoren Nivolumab und Pembrolizumab bei verschiedenen Tumorerkrankungen im fortgeschrittenen Stadium zu sehen. Statt den PD-1-Rezeptor mit Antikörpern zu inhibieren, versuchen also chinesische Wissenschaftler, ihn auf Gen-Ebene über CRISPR/Cas9 auszuschalten. Ob das allerdings der bessere Ansatz ist, kann durchaus infrage gestellt werden.
Daneben können prinzipiell noch weitere Zielgene angesteuert werden, die – ausgeschaltet – die Tumortherapie verbessern würden: Man denke hier nur an dominante Onkogene wie KRAS oder aber an Gene, die eine Wirkstoff-Resistenz vermitteln. Andere Ideen, CRISPR/Cas9 mit NHEJ bei Tumoren anzuwenden, zielen beispielsweise auf assoziierte Viren. In Krebszelllinien, die durch humane Papillomviren entartet sind, kann über die Genom-Editierung ein Doppelstrangbruch in die Gene für die relevanten E6- und E7-Proteine eingeführt werden. Durch die entstehenden InDels fällt somit auch ein wesentliches tumorigenes Prinzip weg.
Generell lassen sich virale Infektionen – auch die, die nicht mit einer Tumorentstehung assoziiert sind – natürlich ebenfalls mit CRISPR/Cas9 bekämpfen. In einer Zelllinie aus einem Patienten mit Burkitt-Lymphom konnte das Genom des Epstein-Barr-Virus gezielt mit zwei sgRNAs gegen den Promotorbereich inaktiviert werden – und das sogar ganz ohne Off-target-Schnitte [8]. Spannend sind auch die verschiedenen Ideen, einer HIV-Infektion mit CRISPR/Cas9 entgegenzutreten, wobei Ansatzpunkte sowohl vor als auch nach der Integration der DNA ins Wirtszellgenom bestehen. Würde man, analog zur Zerstörung des PD1-Rezeptors, über CRISPR/Cas9 die Corezeptoren CXCR4 und CCR5, die HIV auf den T-Helferzellen zum Eindringen in die Wirtszelle benötigt, zerstören, könnten HI-Viren keine Zellen mehr infizieren. Etwas später im Infektionszyklus kann CRISPR/Cas9 mit geeigneten sgRNAs gegen bestimmte Bereiche des HIV-Genoms sowohl die noch nicht integrierte cDNA als auch die Provirus-DNA innerhalb des Wirtszellgenoms attackieren [9]. Damit wäre es eventuell tatsächlich dereinst möglich, eine HIV-Infektion zu heilen und nicht nur in Schach zu halten.
Eine andere Kategorie gefährlicher Infektionen wird durch antibiotikaresistente Staphylococcus-aureus-Zellen hervorgerufen, die durch einen besonderen Ansatz mit CRISPR/Cas9 therapiert werden könnte. Werden spezifische Phagen mit einem Cas9-Gen und Genen für single guide RNAs ausgestattet, die die bakteriellen Virulenzgene adressieren, werden genau diese DNA-Bereiche in den Bakterienzellen zerstört, und Staphylococcus aureus verliert seine wichtigsten Waffen [10].
Anhand der vorgestellten Beispiele lässt sich erahnen, wie vielfältig und relativ einfach CRISPR/Cas9 zur Zerstörung von Genen durch NHEJ eingesetzt werden kann. Etwas schwieriger, aber ebenfalls sehr variabel gestaltet sich im Vergleich zum NHEJ der Ansatz, durch homologe Rekombination (HDR) intakte Gene in Zellen einzubringen. Auch hier waren chinesische Wissenschaftler die Vorreiter, um CRISPR/Cas9 das erste Mal an humanen Embryonen zu testen [11]. Sie adressierten über entsprechende sgRNAs verschiedene Bereiche im menschlichen β-Hämoglobin-Gen nicht lebensfähiger menschlicher Zygoten, um die Effizienz einer Genreparatur durch HDR im Vergleich zu einer Verknüpfung über NHEJ zu ermitteln. In diesen Versuchen fand tatsächlich in 25% der Fälle eine homologe Rekombination statt, was nicht ganz schlecht aber eben auch nicht besonders hoch ist.
Über die homologe Rekombination können im Prinzip alle möglichen Erkrankungen, die durch den Defekt in nur einem Gen hervorgerufen werden, geheilt werden, sei es die Mukoviszidose durch Reparatur des Gens für den Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator (CFTR), die Duchenne’schen Muskeldystrophie durch Reparatur des Dystrophin-Gens oder die Chorea Huntington durch Reparatur des Huntingtin-Gens. Auch andere Erkrankungen wie die Hämophilien A und B, die Beta-Thalassämie, die Sichelzellenanämie oder die Tyrosinämie könnten geheilt werden, indem das jeweilig defekte Gen korrigiert wird. In Maus-Modellen wurden bei diesen Erbkrankheiten bereits erstaunliche Erfolge erzielt. Allerdings ist nach wie vor die Effizienz der homologen Rekombination zu gering und die Angst vor Off-target-Effekten von CRISPR/Cas9 immer noch zu groß.
Wissenschaftler in Dresden zeigten, wie man das CRISPR/Cas9-System mit HDR für die Heilung von Tumoren nutzen könnte. Dafür integrierten sie 13 verschiedene Onkogene in HeLa-Zellen und testeten dann, inwieweit spezifische sgRNAs die Onkogene adressieren und durch homologe Rekombination in die harmlosen Wildtypsequenzen umwandeln können. Das Ergebnis war im Prinzip erfreulich und auch spezifisch. Jedoch blieben immer noch unveränderte Krebszellen zurück, was bei einer Tumorerkrankung nicht akzeptabel wäre. Außerdem wurden bei diesen Experimenten auch Off-target-Schnitte beobachtet, deren Auswirkungen nicht vorhersehbar sind [12].
Anwendungen bei Tieren und Pflanzen
CRISPR/Cas9 bei Tieren oder Pflanzen einzusetzen, scheint ebenfalls vielversprechend. Vor zwei Jahren machten Infektionen mit Zika-Viren in Lateinamerika und Florida von sich reden, und die Malaria ist eine permanente Bedrohung. Um diesen, von Vektoren übertragenen Krankheiten Herr zu werden, wird darüber diskutiert, inwieweit sich die Vektoren mittels CRISPR/Cas9-basiertem Gene-Drive bekämpfen ließen. Dabei steht weniger die Ausrottung der Mücken im Vordergrund als vielmehr ihre genetische Veränderung. Ziel ist dabei, eine Vermehrung der Parasiten zu verhindern. Letztlich könnte das eventuell sogar zur Ausrottung der Parasiten führen. Wie funktioniert das?
Über den sogenannten Gene-Drive kommt es zu einer dramatischen Beschleunigung der Vererbung einer Eigenschaft auf die Nachkommen. Während bei der klassischen Genetik eine bestimmte Eigenschaft gemäß den Mendelschen Regeln nur in 50% der Fälle an die Folgegeneration weitergegeben wird, werden über die sogenannte Mutagenese-Kettenreaktion (mutagenic chain reaction, MCR) 100% der Nachkommen genetisch verändert (Abb. 4) [13]. Um dies umzusetzen, wird ein Expressionsplasmid entwickelt, das die genetischen Informationen für Cas9 und eine Ziel-Gen-spezifische sgRNA, eingerahmt von zwei ca. 1000 bp langen homologen Sequenzen des Ziel-Gens (Homologie-Arm, HA1 und 2), trägt. Nach Einbringen in die Zelle und Expression von Cas9 und sgRNA kommt es zu einem Schnitt innerhalb des Ziel-Gens, wobei genau die den Homologie-Armen HA1 und HA2 entsprechenden Stücke entstehen. Die Reparatur des Doppelstrangbruchs würde anschließend unter Mithilfe der Plasmid-DNA erfolgen, sodass letztlich die komplette Expressionskassette in das Genom integriert. Für das zweite Allel würde der gleiche Prozess ablaufen, wobei Allel 1 als Vorlage zur Verfügung steht (Abb. 5). Codiert das Ziel-Gen für ein für den Parasiten lebensnotwendiges Protein, können sich die Pathogene nicht mehr vermehren. Dass das Prinzip funktioniert, wurde mit Anopheles-Mücken bereits erfolgreich in einem geschlossenen System demonstriert [14]. Diese Mücken waren durch die genetische Manipulation nicht mehr in der Lage, Plasmodien zu übertragen.
Für die Eradikation von Zika und Malaria und anderen vektorübertragenen Erkrankungen bietet sich daraus die Option, dass die jeweiligen Vektoren so ausgestattet werden, dass die Plasmodien oder Zika-Viren die Fähigkeit verlieren, sich in den Stechmücken zu vermehren. Als Folge könnten somit auch keine Pathogene mehr übertragen werden. Ausgewildert in den betroffenen Gebieten, würden sich die genetisch veränderten Mücken mit ihren Wildtyp-Verwandten paaren und den Gendefekt zu 100% an ihre Nachkommen weitergeben. Binnen weniger Generationen wäre die gesamte Population an Mücken nicht mehr mit dem jeweiligen Pathogen infizierbar. Ob Malaria, Zika, Gelbfieber, Dengue oder irgendeine andere durch die Mücken übertragene Krankheit – es bestünde keinerlei Gefahr mehr für den Menschen. Und das ganz ohne den Einsatz giftiger Insektizide.
Wie sieht das aber mit den gesamtökologischen Effekten aus? Bereits im Mai 2016 lud die Foundation for the National Institutes of Health zu einem Workshop ein, um über mögliche Probleme bei der Anwendung des Gene-Drive bei Stechmücken zu diskutieren [15]. Ob es tatsächlich soweit kommt, dass entsprechend genveränderte Mücken ausgewildert werden, ist fraglich und erst nach einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion möglich.
Interessant an Gene-Drive ist allerdings auch die relativ schnelle Verfügbarkeit von homozygot veränderten Organismen, seien es (Säuge-)Tiere oder Pflanzen. Neben den klassischen Labortieren wie Mäuse und Ratten, die sich durch eine recht kurze Generationszeit auszeichnen und deshalb gern als Modelle für verschiedene Krankheiten verwendet werden, sind Schweine eigentlich die besseren Vergleichsorganismen für humanrelevante Interventionen [16]. Schweine sind dem Menschen anatomisch und physiologisch recht ähnlich, weshalb man seit geraumer Zeit versucht, die Organe dieser Tiere für eine Xenotransplantation zu nutzen. Um solche Transplantate wirklich sicher verwenden zu können, sollten zum einen bestimmte Gene im Schweinegenom zerstört und zum anderen eventuell einige menschliche Gene in die Schweine eingebracht werden. Über CRISPR/Cas9 kann das sehr viel genauer, effizienter und schneller realisiert werden. Darüberhinaus wären Schweine im Vergleich zu Mäusen oder Ratten die deutlichen besseren Modellorganismen für Herz-Kreislauferkrankungen, Cystische Fibrose, metabolische Erkrankungen, neurodegenerative Erkrankungen etc. [16].
In Pflanzen ist CRISPR/Cas9 ebenfalls schon lange angekommen und verspricht eine deutliche Verbesserung hinsichtlich Effizienz und Sicherheit gegenüber den bisherigen Methoden zur Veränderung der Kulturpflanzen. Durch klassische Züchtungsmethoden lassen sich die gewünschten Ergebnisse nur zufällig, mit sehr geringer Frequenz und nach relativ langer Zeit erzielen. Bei den herkömmlichen gentechnischen Verfahren werden in der Regel auch zusätzliche genetische Elemente wie Antibiotikaresistenzen mit in die Pflanze eingebracht, was von den Verbrauchern mit großer Skepsis betrachtet wird.
Abgesehen von z. B. Herbizidresistenzen oder natürlichen Insektiziden, die sich mit der CRISPR/Cas9-Technologie relativ leicht in die Pflanzen einbringen lassen, ist auch die Herstellung gesünderer Lebensmittel vorstellbar. So denkt man beispielsweise darüber nach, einen Gluten-armen Weizen zu generieren, oder Kartoffeln dahingehend zu verändern, dass bei der Produktion von Kartoffelchips weniger Acrylamid entsteht [17]. Realität ist bereits eine modifizierte Champignon-Art, bei der das Gen für Polyphenol-Oxidase über CRISPR/Cas9 und NHEJ ausgeschaltet wurde, wodurch die Pilze nach der Ernte nicht mehr braun werden. Interessanterweise wurden diese Champignons vom US-amerikanischen Landwirtschaftsministerium nicht als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) eingestuft, da sich die Veränderung des Gens auch natürlicherweise hätte ereignen können und keine fremde DNA in den Pilz eingebracht wurde [18].
Mithilfe von aufgereinigten Cas9/sgRNA-Komplexen gelang es, ganz ohne irgendwelche Fremd-DNA Weintrauben und Äpfel so genetisch zu modifizieren, dass die Weinstöcke nicht mehr anfällig für Mehltau waren [19]. Anstelle von Fungiziden, die immer wieder auf die Weinstöcke verteilt werden müssen, um den Schlauchpilz Erysiphe necator fernzuhalten, reicht die Ausschaltung des Gens MLO-7 – die Winzer würden sich so nicht nur die Kosten und Arbeit für die Fungizid-Anwendung sparen, der Ertrag würde ebenfalls steigen, von der umweltschädlichen Wirkung des Fungizids ganz zu schweigen. Ähnlich verhält es sich mit dem Feuerbrand, der durch Erwinia amylovora bei Kernobstgewächsen ausgelöst wird. Durch geeignete sgRNAs konnten die Gene DIPM-1, DIPM-2 und DIPM-4 ausgeschaltet und somit die natürliche Resistenz gegen das Bakterium erhöht werden [19]. Eine kleine genetische Modifikation, die noch nicht einmal fremde DNA in den Organismus eingebracht hat,kann den Ertrag steigern und gleichzeitig sogar den Einsatz von Bakteriziden und Fungiziden dramatisch reduzieren! Kann man wirklich dagegen sein? Aber: Nach wie vor lehnen die Verbraucher, vor allem in Europa gentechnisch veränderte Organismen ab. Aber sind diese Organismen tatsächlich im klassischen Sinn GVOs?
Der ethische Aspekt
Diese Frage leitet über zu den ethischen Aspekten, die bei der CRISPR/Cas9-Technologie ganz besonders relevant erscheinen. Was darf gemacht werden, was soll gemacht werden oder was muss sogar gemacht werden? Gentechnik ist in Deutschland ein ganz heikles Thema und wird eigentlich überwiegend abgelehnt. Die einzige Ausnahme sind GVOs, die zur Herstellung von therapierelevanten Biologika benötigt werden, seien es Bakterien oder Hefezellen für die Insulinherstellung oder sogar transgene Ziegen für die Produktion von rekombinantem Antithrombin. Jedoch wird alles gentechnisch Veränderte, was irgendwie in die Nähe von Nahrungsmitteln kommt, strikt abgelehnt. Aber wäre nicht eine kleine gezielte Manipulation des genetischen Materials einer Kultursorte eine wesentlich bessere Maßnahme, um sie weniger anfällig für Pilze und andere Pathogene zu machen, als massenweise Pestizide zu versprühen?
Noch dominiert die Angst vor GVOs so sehr, dass – zumindest in Deutschland – derartige Optionen gesellschaftlich chancenlos erscheinen. Aber würde es sich bei derart modifizierten Pflanzen tatsächlich um GVOs handeln? In den USA ist das nicht so. Dort wird der Organismus nach dem Produkt eingeordnet und nicht nach dem Prozess der Herstellung. Handelt es sich nach Meinung der Behörde nicht um einen GVO, können die Pflanzen ohne besondere Genehmigung großflächig angebaut werden. Noch in diesem Jahr sollen die ersten Gen-editierten Pflanzen auf den US-amerikanischen Markt kommen. In Europa sieht die Welt etwas anders aus: Hier entscheidet der Herstellungsprozess, ob die veränderten Pflanzen unter die Gentechnik-Vorschriften fallen oder nicht. Bisher zumindest. Denn derzeit beschäftigt sich der Europäische Gerichtshof in Luxemburg mit der Frage (Az. C528/16), ob über CRISPR/Cas9 Genom-editierte Pflanzen unter die GVO-Richtlinie 2001/18EG fallen. Ein Urteil darüber wird noch in diesem Jahr fallen. Wie es in Deutschland danach aussehen wird, ist noch sehr vage. Im Koalitionsvertrag steht: „Im Anschluss an die noch ausstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu den neuen molekularbiologischen Züchtungstechnologien werden wir auf europäischer oder gegebenenfalls nationaler Ebene Regelungen vornehmen, die das Vorsorgeprinzip und die Wahlfreiheit gewährleisten.“
In diesem Zusammenhang ist die „Stellungnahme zur gentechnikrechtlichen Einordnung von neuen Pflanzenzüchtungstechniken, insbesondere ODM (Oligonucleotide Directed Mutagenesis) und CRISPR-Cas9“ des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit interessant, in der klargestellt wird [20]: „dass Pflanzen, die durch ODM- und CRISPR-Cas9-Techniken hervorgerufene Punktmutationen aufweisen, keine GVO im Sinne der Richtlinie (Anmerkung: Richtlinie 2001/18/EG über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates) sind. Denn maßgebend für die Einordnung als GVO ist nicht allein der Einsatz eines gentechnischen Verfahrens, sondern auch das dadurch entstehende Produkt. Dieses muss sich von Pflanzen unterscheiden, die auch durch herkömmliche Züchtungsmethoden entstehen könnten. Bei den hier einschlägigen Punktmutationen ist dies gerade nicht der Fall. Die genetischen Veränderungen könnten auch durch andere Mutagenese-Verfahren entstehen.“ Einige Wissenschaftler schlagen deshalb vor, eine Kennzeichnung der Pflanzen einzuführen, ob sie über eine gentechnische Methode manipuliert wurden (process-based GVO) und ob sie tatsächlich erkennbar neues genetisches Material erhalten haben (product-based GVO) [21]. Aber wird das dem Verbraucher tatsächlich helfen, wenn er im Supermarkt auf die Verpackung schaut?
Pflanzen und Tiere sind die eine, Menschen aber eine ganz andere Seite. Schwerwiegende Krankheiten wie die Mukoviszidose oder Duchenne’sche Muskeldystrophie über einen zielgerichteten Genersatz heilen zu können, ist eine überaus verlockende Aussicht, die sich wahrscheinlich vor allem Eltern für ihre betroffenen Kinder wünschen. Kann man das den Patienten und Angehörigen tatsächlich verwehren?
Nach wie vor haben die Anwender von CRISPR/Cas9 mit einigen Unwägbarkeiten zu kämpfen, wobei die Off-target-Effekte das große Problem sind [22]. Vor allem in höheren Konzentrationen neigt die Wildtyp-Cas9 dazu, nicht nur an der eigentlichen Ziel-DNA, sondern auch an anderen Stellen im Genom zu schneiden, was dann zu unerwünschten Mutationen führen würde. Für einen zielgerichteten Genersatz ist ein Reparaturmechanismus über homologe Rekombination (HDR) nötig, was allerdings nur dann effizient funktioniert, wenn die Zelle ihre DNA für die Replikation entpackt, um anschließend eine Zellteilung durchzuführen. Bei ruhenden Zellen, die sich nicht gerade teilen, ist dagegen die homologe Rekombination weniger effizient, sodass vor allem NHEJ stattfindet – natürlich ohne den gewünschten Erfolg [22]. Um dieses Problem zu lösen, wird fieberhaft daran gearbeitet, CRISPR/Cas insgesamt zu verbessern, sei es die Endonuklease oder auch die Sequenz bzw. Länge der sgRNA [23]. Sollten diese Probleme aus dem Weg geräumt sein, steht einer noch größeren Zahl an Anwendungen von CRISPR/Cas9 nichts mehr im Wege. Es ist auch höchste Zeit, dass sich die Gesellschaften Gedanken darüber machen, was akzeptiert wird und wo Grenzen aufgezeigt werden müssen. Experimente, wie die von Liang et al. durchgeführten Manipulationen an humanen Zygoten [10], zeigen zwar die noch vorhandenen Schwierigkeiten, CRISPR/Cas9 effizient zu einer gezielten Veränderung humaner Embryonen anzuwenden. Sie zeigen jedoch auch, wohin die Reise gehen könnte, falls nicht rechtzeitig Regeln und Verbote aufgestellt werden.
Im September 2015 hat die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina zusammen mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften eine „Stellungnahme zu Chancen und Grenzen des genome editing“ herausgegeben [24]. Damit sollte die gesellschaftliche Diskussion angestoßen werden. Wollen wir in Deutschland mitreden, müssen wir anfangen, uns Gedanken zu machen, wie weit wir die Möglichkeiten nutzen und wo wir die Grenzen ziehen wollen.
Abstract
The two scientists Jennifer Doudna and Emanuelle Charpentier have already received numerous prestigious awards for their CRISPR/Cas9 system. Actually, many expected that the two scientists have long since been nominated for the Nobel Prize, since the method has become just as indispensable in genetic engineering laboratories as the polymerase chain reaction. Only a few years after the first articles on the new tool for genetic manipulation, the first clinical studies with this technology are launched. There have already been interesting successes with animals and plants, but the acceptance in society is rather low.