Molekulare Ursachen von Autoimmun­erkrankungen und mögliche Therapieansätze

Aus der Klinischen Forschung

Autoimmunerkrankungen (AIE) beim Menschen lassen sich entweder als organspezifische oder systemische Immuno­pathie subklassifizieren. Viele dieser Erkrankungen sind nicht bis ins Detail verstanden und können z. T. sehr gut, aber nur symptomatisch behandelt werden. Aufgrund der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse im letzten Jahrzehnt hat sich gezeigt, dass es neben einer erblichen, genetischen Disposition (SNPs, MHCs, verantwortlich für ca. 20% aller AIEs) nur wenige weitere Variablen gibt. Darunter fallen chronische Entzündungsprozesse, die z. B. durch fehlerhafte Antikörper oder eine Dysbiose im gastro-intestinalen Trakt hervorgerufen werden können. Deshalb sollte bei der Behandlung von AIE (Gelenke, Haut, ZNS, Darm und innere Organe) in erster Linie dieser inflammatorische Grundmechanismus adressiert werden.
Schlüsselwörter: Autoimmunerkrankung, TH17-Zellen, IL17/23R-Hemmung

Einleitung

Unser Bild zur Immunologie im menschlichen Körper unterliegt einem ständigen Wandel. Unser Immunsystem kann grob in drei verschiedene Einheiten untergliedert werden: das angeborene Immunsystem, bestehend aus verschiedenen Granulozyten, Monozyten/Makro­phagen und natürlichen Killerzellen (NK), das adaptive Immunsystem, bestehend aus spezialisierten Antigen-präsentierenden Zellen (APZ) sowie B- und T-Zellen, und das angeborene lymphoide Zellsystem (Innate Lymphoid Cells, ILCs), welches Gewebe-resident in Reaktion auf das Vorhandensein spezifischer Pathogene oder Parasiten die anderen beiden Systeme entweder aktivieren oder reprimieren kann. Das angeborene Immunsystem ist präferenziell auf Bakterien und Parasiten spezialisiert, während das adaptive Immunsystem auf virale und bakterielle Antigene reagiert. Beide Systeme sind dazu in der Lage, sich lebenslang zu erneuern – mit Ausnahme der T-Zellen, die während der gesamten Kindheit im Knochenmark entstehen und durch eine Thymuspassage körperkompatibel gemacht werden. Das hämatopoetische System produziert täglich ca. 2 x 1011 neue Zellen, um dieses komplexe System aufrechtzuerhalten.
Unser Immunsystem ist dafür gedacht, sich alltäglich mit Pathogenen auseinanderzusetzen. Dies geschieht normalerweise an den drei wichtigen Barrie­ren unsere Körpers: Haut, Respirationstrakt und gastrointestinaler Trakt. Letzterer ist – bedingt durch unsere tägliche Nahrungsaufnahme – der Hauptort fast aller immunologischen Aktivitäten. Deshalb steht dieser Teil unseres Körpers in den letzten Jahren auch immer mehr im Fokus, denn ein intaktes Darm-Mikro­biom ist essenziell für unsere Gesundheit. Es sind bereits einzelne Bakterien identifiziert worden, die im Darm zu chronischen Entzündungen führen. Beispiele dafür sind Fusobacter- und Porphyromonas-Arten, die man vorwiegend bei Dickdarmkrebs-Patienten nachweisen kann [1]. Der Grund dafür ist deren Fähigkeit, direkten Kontakt mit der Darmschleimhaut herzustellen und dort eine lokale Entzündung auszulösen. Umgekehrt fehlen bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen bestimmte Bakterien, wie z. B. Faecalibacterium prausnitzii [2]. Von diesem und weiteren Bakterien (z. B. Bacteroides fragilis) ist bekannt, dass sie entzündungshemmend wirken, indem sie die Bildung suppressiver T-Zel­len (Tregs) fördern. Eine falsche Ernährung oder häufige Antibiotika-Einnahme kann deshalb zu krankhaften Veränderungen in der Zusammensetzung der verschiedenen Bakterienarten führen (Dysbiose). Erstaunlicherweise mehren sich die Hinweise, dass viele AIEs mit Dysbiosen (Haut, GI-Trakt) assoziiert sein können.
Woher kommen Dysbiosen? Die Antwort darauf liegt an unseren persönlichen Lebensumständen: (1) eine superhygienische Lebensweise pervertiert das Immunsystem mehr als es Nutzen bringt; (2) eine möglichst diverse Ernährung fördert ein ausgewogenes Mikro­biom; (3) Antibiotika-Konsum kann ein gesundes Mikro­biom massiv stören. Im Folgenden soll deshalb auf die Erkenntnisse eingegangen werden, die uns erklären, wie wir Menschen autoimmun erkranken können.

Autoimmunerkrankungen – Genetik

Wir kennen heute ca. 100 verschiedenen AIEs, die wir nach Lokalisation im Köper oder Organ unterscheiden können (Gelenke, Haut, ZNS, Darm und innere Organe). Durch die neuen Möglichkeiten der Genomsequenzierung sind in den letzten Jahren umfangreiche Erkenntnisse zu genetischen Dispositionen dieser Krankheitsbilder generiert worden [3]. Neben bestimmten Assoziationen von MHC-Allelen (beispielhaft sei B27 bei M. Bechterew oder Psoriasis genannt) sind auch erste, interessante Genmutatio­nen entdeckt worden. SNPs im CTLA4-Gen (reprimierender Rezeptor bei T-Zellen) wurden im Zusammenhang mit Typ-I-Diabetes, Rheumatoide Arthritis und Zöliakie beschrieben. Missens-Mutationen im PTPN22-Gen (R620W) wurden bei Juveniler Idiopathischer Arthritis, Systemischem Lupus Erythematodes und entzündlichen Darmerkrankungen gefunden. Interessanterweise gibt es auch protektive Mutationen (z. B. R381N im IL23R-Gen), die vor entzündlichen Darmerkrankungen, Psoriasis und M. Bechterew schützen können [4]. Die meisten anderen genetischen Ursachen sind als mögliche Assoziation beschrieben worden.

Autoimmunerkrankungen – Antikörper und Gewebsentzündung

Neben den oben genannten genetischen Faktoren gibt es noch drei weitere Mechanismen, die relevant sein können. Auf fehlerhaft modifizierte Antikörper ist man bei Autoimmunpatienten gestoßen – und gleichzeitig auf eine simple Therapie (intravenöse Gabe von Hochdosis-IgG). Anscheinend fehlt den Antikörpern von autoimmun-erkrankten Menschen an der einzigen Glykosylierungsstelle (Asn-297) der IgG-Antikörper entweder eine Fucose der Seitenkette oder die beiden Sialinsäurereste am Ende der einfach verzweigten Zuckerkette. Beides führt dazu, dass diese Antikörper nicht – oder nur sehr schlecht – an den inhibitorischen Fcγ-Rezeptor (FcγIIb, CD32B) der angeborenen Immunzellen binden können, und sie deshalb vermehrt die pro-inflammatorischen Zytokine IL1, IL6 und TNFα bilden [5].
Der zweite Mechanismus besteht in der unphysiologischen Aktivierung von TH17-Zellen [6, 7]. Diese T-Zellpopulation entsteht normalerweise nur dann in unserem Körper, wenn wir uns mit lebensbedrohlichen Pathogenen konfrontieren (z. B. Mycobacterium tuberculosis, Klebsiella pneumoniae). TH17-Zellen entstehen durch die ungewöhnliche Kombination von TGFβ mit pro-inflammatorischen Zytokinen (IL1β oder IL6). In dieser Situation entstehen aus TH-Zellen anstatt der erwünschten regulatorischen T-Zellen (Tregs) die hochaggressiven TH17-Zellen (siehe Abb. 1). Aus diesen stark inflammatorisch wirkenden TH17-Zellen können durch zusätzliches IL23 der angeborenen Immunzellen TH17-Effektorzellen werden, die dann über die Zeit körpereigenes Gewebe attackieren und zerstören.
Als Drittes sind die regulatorischen T-Zellen zu nennen, die normalerweise als große Population eine äußerst wichtige Rolle einnehmen. Regulatorische T-Zellen entstehen durch Immunreaktionen und modulieren diese. Regulatorische T-Zellen entstehen auch durch parasitäre Wurmerkrankungen. Sinkt die Zahl dieser wichtigen T-Zellpopulation im Laufe des Lebens unter einen kritischen Wert, so kann es vermehrt zu unkontrollierten Immunreaktionen gegen körpereigenes Gewebe kommen.

Therapie von Autoimmun­erkrankungen

Eingriffe in entzündliche Prozesse sind deshalb von hoher Bedeutung. Dies geschieht klassischerweise in der Akutphase durch Gabe von Steroiden. Bei Vaskulitiden kann dies durch die Gabe von Cyclosporin A begleitet sein. Eine konventionelle Erhaltungstherapie kann durch Gaben von niedrig-dosierten Cytostatika (Methotrexat, Azathioprin) erreicht werden. Bei Nierenbeteiligung bei SLE-Patienten kann auch mit Cyclophosphamid therapiert werden. Ein weiteres Beispiel ist die Gabe von Mycophenolat-Mofetil (MMF) bei der Behandlung der autoimmunen Hepatitis.
Alle diese immunsuppressiven Therapien bergen jedoch das Risiko von lebensbedrohlichen Infekten, Virämien oder Erkrankung durch Aktivierung latenter Viren (Polyoma, CMV, EBV) oder Bakterien (wie z. B. Tuberkulose). Unterschiedliche Immunsuppressiva zeigen dabei unterschiedliche Erfolge bei den z. T. sehr unterschiedlichen Autoimmunerkrankungen. Alternativ dazu kann bei autoimmun­erkrankten Personen eine IVIG-Therapie durchgeführt werden [8]. Nach Leitlinie sind das aber nur die Idiopathische Thrombozytopänie (ITP), das Guillain-Barré-Syndrom, Morbus Kawasaki und die chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathy. Im Off-Label Use wird sie aber auch für weitere Erkrankungen angewendet.
Eine deutlich bessere Therapie wäre natürlich der gezielte Eingriff in das obengenannte Geschehen durch therapeutische Antiköper [9]. Eine Reihe von anti-TNFα-Antikörpern und Antikörpern gegen IL17 und IL6 befinden sich bereits auf dem Markt. Zudem wurden anti-CTLA4- oder anti-CD20-Antikörper erfolgreich bei RA-Patienten angewendet. Einer der wichtigsten Antikörper, Ustekinumab, richtet sich gleichzeitig gegen den IL12R und den IL23R, da beide Rezeptoren eine gemeinsame Proteinkette besitzen (gp40). Damit hemmt dieser therapeutische Antikörper effektiv das „alpha“- und „omega“-Signal des TH17-Geschehens, weil durch eine Hemmung des IL12R-Primärsignals und dem dadurch bedingten Fehlen von IFNγ die pro-inflammatorischen Signale des angeborene Immunsystems blockiert werden. Die gleichzeitige Hemmung von IL23R sorgt dafür, dass es keine TH17-Effektorzellen geben kann, die Gewebe-destruktiv sind. Eine relativ gute klinische Wirksamkeit aller oben genannten Antikörper sowie Antikörper oder Fusionsproteine gegen IL1, IL6, IL17 und CTLA4 wurde bereits in klinischen Studien belegt (z. B. wirkt anti-TNFα sehr gut bei Patienten mit RA, JIA, Ps, PsA, MB und chronischen Darmleiden, anti-IL12R/23R sehr gut bei Patienten mit Ps, PsA, MB und chronischen Darmleiden, oder anti-IL6 bzw. anti-CTLA4 gegen RA und JIA etc.).

Zusammenfassung

Wissen aus der Grundlagenforschung hat dazu beigetragen, dass wir heute die enorme Vielfalt an AIEs besser verstehen können. Jede Einzelerkrankung hat natürlich ihre Besonderheiten, aber das TH17-System ist die zentrale Komponente der verschiedenen Erkrankungen und kann mit Mitteln, die uns heute zur Verfügung stehen, therapeutisch adressiert werden. Dies könnte in Zukunft auch die Kosten dieser molekularen Behandlungsmethoden weiter senken.



Abstract

Autoimmune disease (AID) in the human system have been subcategorized either as organ-specific or systemic immunpathies. Most of the underlying disease mechanisms are still unknown, but can be quite succesfully - but symptomatically treated - for some of these diseases. However, scientifc results from various sources in the last decade demonstrated that beside a genetic predisposition (SNPs, MHCs which account for aproximately 20% of all AIDs) most of these diseases are based on chronic inflammatory processes. They are caused e.g. by defects in the maturation of antibodies or gastro-intestinal dysbiosis. Therefore, any kind of modern treatment for these autoimmune diseases (joints, skin, CNS, GI-tract and inner organs) should in particular address the molecular mechanism(s) behind inflammatory processes.

Autoren
Prof. Dr. Rolf Marschalek
Goethe-Universität Frankfurt
Institut für Pharmazeutische Biologie Frankfurt am Main

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