LOINC und zlog: Starkes Tandem

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2023.01.01

Um die Digitalisierung der Medizin zu forcieren, müssen vor allem quantitative Laborwerte standardisiert eingebunden werden. LOINC und zlog heißen die beiden Kürzel, mit denen das in etwa zwei Jahren gelingen soll.

Schlüsselwörter: Labordatenstandardisierung, ePA, MIO, LOINC, zlog

Die gute Nachricht zuerst: Seit dem 01.01.2021 stellen in Deutschland alle knapp 100 gesetzlichen Krankenkassen ihren insgesamt 74 Millionen Versicherten eine elektronische Patienten­akte (ePA) zur Verfügung.

Damit besteht grundsätzlich die Möglichkeit, neben Impf- und Mutterpass, Medikationsplan und Bonusheft auch die Laborwerte von Millionen Menschen elektronisch zusammenzuführen. Blutbilder, Tumormarker, Lipid-, Gerinnungs- und Hormonwerte etc.  sind damit lebenslang an jedem Ort mit Internetzugang auf Knopfdruck verfügbar und werden nicht mehr verstreut zu Hause, in Arztpraxen und Krankenhäusern aufbewahrt (wo man sie im Zweifelsfall nie mehr wiederfindet).

Und nun die schlechte Nachricht: Über zwei Jahre nach ihrer Einführung besitzen nur 600.000 Deutsche eine ePA. Das entspricht nicht einmal einem Prozent der Bevölkerung. Die wenigsten wissen, dass es so etwas überhaupt gibt, und wer sich tatsächlich durch die – von Kasse zu Kasse unterschiedlichen – Antragsformalitäten gekämpft hat, stellt enttäuscht fest, dass seine Laborbefunde keineswegs automatisch gespeichert werden. Die aktuell einfachste Lösung besteht darin, den Papierbefund einzuscannen und als PDF hochzuladen. Das ist allemal besser als Zettelwirtschaft, aber auch nicht wirklich E-Health.

Ein dickes Brett

Der Fairness halber muss allerdings hinzugefügt werden, dass mit dem E-Health-Projekt ein besonders dickes Brett zu bohren ist. Allein schon wegen der extremen Heterogenität der Daten und der hohen Anforderungen an den Datenschutz stellt es eine wesentlich größere Herausforderung dar als beispielsweise die Erfassung von LKW-Mautgebühren im Toll-Collect-Projekt, das gern zum Vergleich zitiert wird.

Einige IT-affine Länder sind in Sachen ePA schon weiter. Als europäischer Klassenprimus gilt Estland, wo man Labordaten tatsächlich bereits über die „Datenautobahn“ X-Road auf eine landesweite E-Health-Plattform laden kann. Aber dieses Land hat nicht einmal halb so viele Einwohner wie Berlin und konnte sein digitales Gesundheitssystem im Jahr 2003 quasi auf der grünen Wiese entwickeln, während der Flächenstaat Deutschland Entscheidungsstrukturen berücksichtigen muss, die über Jahrzehnte gewachsen sind.

Verteilte Verantwortungslosigkeit

Zu diesen gewachsenen Strukturen gehört eine typisch deutsche Form der Gewaltenteilung, die von Kritikern unseres Systems auch spöttisch als „verteilte Verantwortungslosigkeit“ bezeichnet wird.

Die Datenautobahn des deutschen Gesundheitswesens ist die Telematik (zusammengesetzt aus Telekommunikation und Informatik)-Infrastruktur (abgekürzt TI). Für deren Konzeption ist die Betreibergesellschaft Gematik zuständig – eine GmbH, an der das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mit einer Mehrheit von 51 % beteiligt ist. Das wirkliche Sagen bei der Umsetzung der dort definierten Strukturen und Inhalte hat jedoch der Gemeinsame Bundesausschuss der Selbstverwaltung (G-BA): Er verfügt über das Geld und damit die Macht, bei jeder vorgeschlagenen technischen oder organisatorischen Maßnahme zu entscheiden, ob sie „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ ist. So kann es vorkommen, dass technisch sinnvolle Vorschläge der Gematik nicht im Sinne des G-BA sind und umgekehrt. Dies führt notwendigerweise zu zeitintensiven Abstimmungsprozessen.

Dazu kommt, dass auch die Datenschützer (BfDI, BSI) ihr Veto einlegen können. Dies geschieht aktuell beispielsweise bei der Spezifikation der sog. „Digitalen Identität“, die den elektronischen Zugang zur ePA per Smartphone vereinfachen soll. Der deutsche Datenschutz verlangt, dass der Zugang zur TI nur mithilfe einer physikalischen Karte (elektronische Gesundheitskarte oder Personalausweis) möglich sein soll – ein Mittel gegen massenweisen Datenklau durch Hacker, das aber die Einführung einer „hardwarefreien TI 2.0“ behindert, mit der die Gematik eine vollständig digitale Infrastruktur ohne Plastikkarten und Lesegeräte schaffen möchte.

Zu den komplizierten Entscheidungsstrukturen kamen in der Startphase technische Probleme, zum Beispiel bei den sog. TI-Konnektoren, die in Arztpraxen und anderen leistungserbringenden Stellen den Datenaustausch zwischen Kartenlese­geräten, lokalen IT-Systemen und den Diensten der TI vermitteln. Mehrfache Hardware- und Softwareupdates verur­sachten Kosten und Frustration bei allen Beteiligten, was nicht zur Akzeptanz der Digitalisierungsbemühungen beitrug.

Beispiel Österreich

Trotzdem gibt es keinen Grund, an der Sinnhaftigkeit oder technischen Machbarkeit eines digitalen Gesundheits­wesens in Deutschland zu zweifeln. Dass es grundsätzlich geht, zeigt das Beispiel der elektronischen Gesundheitsakte ELGA in Österreich: Die Vorbereitungen dauerten von 2006 bis 2012, und seit nunmehr zehn Jahren regelt das ELGA-Gesetz den flächendeckenden Zugriff auf alle elektronisch gespeicherten Gesundheitsdaten. Im Unterschied zu Deutschland haben unsere Nachbarn eine Opt-out-Lösung gewählt, bei der grundsätzlich für alle Versicherten zunächst einmal eine Gesundheitsakte bereitgestellt wird. Wer sie nicht nutzen möchte, kann sich aktiv abmelden. Nur etwa 3 % der Bevölkerung machen von dieser Möglichkeit Gebrauch.

Eine solche Opt-out-Lösung ist auch im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundes­regierung vorgesehen, um das Anlegen der ePA zu vereinfachen und einen ähnlich hohen Verbreitungsgrad zu erreichen wie in Österreich. Eine hohe Akzeptanz ist letztlich die Voraussetzung für die flächendeckende Speicherung von Labordaten in elektronischer Form.

MIO Laborbefund

Die inhaltlichen Voraussetzungen werden derzeit von der MIO42 GmbH, einer Tochter­gesellschaft der KBV, gemeinsam mit Fachleuten der Labordiagnostik (ALM, BDL, DGKL u. v. a.) erarbeitet. Die Abkürzung MIO steht dabei für Medizinische Informationsobjekte; das sind definierte Bausteine der Informationsverarbeitung in der Telematik-Infrastruktur, die die syntaktische und semantische Interoperabilität aller beteiligten Informationssysteme (PVS, LIS, KIS usw.) sicherstellen (Abb. 1).

MIOs gibt es für die verschiedensten Gesundheitsanwendungen. Einige wie etwa das MIO Impf- oder Mutterpass sind bereits fertig, andere wie das MIO E-Rezept stehen kurz vor der Einführung. Das MIO Laborbefund befindet sich am Übergang von der Projektphase I zu II: Es ist in seiner Datenstruktur spezifiziert und hat im Sommer 2022 eine öffentliche Kommentierung absolviert, an der sich auch die Autoren dieses Beitrags beteiligten.

In der nächsten Phase erhalten zahlreiche an der TI Beteiligte vom BMG über die Spitzenverbände der Selbstverwaltung bis zu den Fachgesellschaften und Verbänden Gelegenheit, Kommentare abzugeben und Einsprüche geltend zu machen. Nach der endgültigen Beschlussfassung wird die KBV in Phase III „die Festlegung veröffentlichen und eine Aufnahme in das Inter­operabilitätsverzeichnis nach § 384 SGB V veranlassen“. Mit dieser Veröffentlichung erlangen die Festlegungen dann – voraussichtlich Mitte 2024 – Verbindlichkeit. Der jeweils aktuellste Stand des Prozesses ist unter mio.kbv.de/display/LAB1X0X0 einsehbar.

Obgleich es beim MIO Laborbefund aus datentechnischer Sicht „nur“ um die Übertragung und Speicherung einzelner Datenfelder geht, ist es aus rechtlichen Gründen wichtig, den jeweiligen Datensatz in seiner Gesamtheit als ärztlich validierten Befundbericht zu betrachten, der neben administrativen Angaben (Name, Datum etc.) die Ergebnisse der Untersuchungen im medizinischen Kontext enthält. Tab. 1 zeigt einen Ausschnitt aus dem Unterpunkt 6, in dem es um die standardisierte Dokumentation des eigentlichen Messergebnisses, bestehend aus Name des Analyten, Messwert, Einheit und Interpretationshilfen, geht.

Tab. 1:  Ausgewählte Datenfelder im MIO Laborbefund. Die jeweiligen Seiten auf der Website sind unter mio.kbv.de/pages/viewpage.action?pageId=xxx aufrufbar.

Nummer, Inhalt

Seite xxx

Kurzbeschreibung, Beispiele

6.3.3

Spezifikation

145359001

eindeutige Identifikation des Analyten (Name, ggf. Methode, Gerät, Freitext usw.) über LOINC

6.3.4

Status

145359004

z. B. final, vorläufig, fehlerhaft, korrigiert

6.3.11

Messergebnis

145359028

quantitativ (z. B. Zahl mit Einheit, Titerstufe) oder

qualitativ (z. B. positiv oder E. coli)

6.3.13

Richtgrenzen

145359031

Referenzgrenzen, Entscheidungsgrenzen, Konsensuswerte, therapeutische Bereiche

6.3.14

zlog-Wert

145359038

standardisierter Relativwert zwischen -10 und +10  mit einheitlichem Referenzintervall -1,96 bis +1,96

6.3.15

Interpretation

145359039

Kürzel (z. B. L für low) oder Freitext

Standardisierung mit LOINC und zlog

Auch wenn in den Informationen zum MIO Laborbefund der Laborbereich als „einer der am stärksten standardisierten Bereiche der Medizin“ bezeichnet wird, darf man sich nicht täuschen lassen: Vieles erscheint nur standardisiert, ist aber für Computer der pure Wildwuchs. So klingen Analytnamen wie GPT, ALT und ALAT verschieden, stehen aber für dieselbe Transaminase, während man sehr gut unterscheiden muss, ob der jeweilige Test für dieses Enzym mit oder ohne Zusatz von Pyridoxalphosphat durchgeführt wurde.

Für die Standardisierung der Testbezeichnungen sorgt die einheitliche Verwendung der LOINC-Nomenklatur, die für quantitative Laboruntersuchungen eindeutige Codeziffern vergibt. So steht der Code 1742-6 für „Alanine aminotransferase [Enzymatic activity/volume] in Serum or Plasma“, ein Synonym für die obigen drei Abkürzungen. Mit den Ziffern 1744-2 und 1743-4 werden Messungen dieses Enzyms ohne bzw. mit Pyridoxalphosphat kodiert.

Verwirrung stiftet auch regelmäßig die Verwendung unterschiedlicher Einheiten für ein und denselben Analyten, etwa mg/dl und mmol/l für Glukose. Abhilfe schafft im MIO Laborbefund die Einführung eines Datenfeldes für den zlog-Wert, der die Interpretation der Messwerte unabhängig von Einheiten, Messmethoden und vielen anderen Unwägbarkeiten macht, solange man die (leitliniengerecht bestimmte) Unter- und Obergrenze des jeweiligen Referenzintervalls kennt. Für den zlog-Wert sind die Referenzgrenzen einheitlich -1,96 bis +1,96, und stark pathologische Werte überschreiten praktisch nie die Grenzen von -10 nach unten bzw. +10 nach oben.

In der Kommentierungsphase wurde der Einwand geäußert, man müsse den zlog-Wert nicht speichern, da er aus den Referenzgrenzen berechnet werden kann. Dies ist nicht völlig korrekt, da die elektronisch gespeicherten Richtgrenzen (Tab. 1, Ziffer 6.3.13) nicht unbedingt Referenzgrenzen sein müssen. Die Berechnung des validierten zlog-Werts ist deshalb eine laborärztliche Leistung, die nicht an einen unkritisch eingesetzten Algorithmus delegiert werden kann. 

Autoren
Dr. med. Bernhard Wiegel (korrespondierender Autor)
Dr. med. Jakob Adler
Priv.-Doz. Dr. med. Matthias Orth
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