Kurze Wege zur Diagnose bei Seltenen Erkrankungen
Sieben Jahre vergehen im Durchschnitt, bis Patienten, die an einer Seltenen Erkrankung (SE) leiden, die richtige Diagnose erhalten. Diese lange Zeit möchte eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe um den Pädiater Prof. Lorenz Grigull1, den Informatiker Prof. Werner Lechner1 und den Statistiker Prof. Frank Klawonn2 durch einen Fragebogen abkürzen, der von einem Algorithmus ausgewertet wird. Geht das?
Ausgehend von der Hypothese, dass die Betroffenen außer der langen Zeit bis zur Diagnose noch weitere Gemeinsamkeiten aufweisen, wurden zunächst strukturierte Interviews geführt, um Erkenntnisse über die Phase von den ersten Symptomen bis zur Diagnosestellung zu gewinnen.
Daraus entstand dann mithilfe der in der Soziologie und Psychologie verbreiteten Colaizzi-Methode ein Modellansatz, aus dem 53 Fragen abgeleitet wurden, zum Beispiel Verzichten Sie auf Aktivitäten, die Ihnen eigentlich Freude machen? Diese wurden schließlich von über 1.000 Testpersonen beantwortet. Etwa zwei Drittel litten tatsächlich an einer SE, der Rest umfasste verschiedene somatische oder psychosomatische Leiden sowie nicht klassifizierbare Fälle, die es davon zu unterscheiden galt. Die Fragen konnten in vier Stufen von völlig falsch bis völlig richtig beantwortet werden.
Erwartungsgemäß ergab sich aus den über 60.000 Antworten keine einzelne Schlüsselfrage, die auf kürzestem Weg zur SE-Diagnose führte, aber aus dem Antwortmuster auf alle 53 Fragen ließ sich dieser Verdacht mithilfe verschiedener Data-Mining-Techniken erhärten (AUC in der ROC-Analyse 0,86 bis 0,95).
Der Fragebogen steht auf der MHH-Website zur Verfügung3, um nicht-spezialisierten Ärzten Zugang zur Expertise der Autoren zu verschaffen und die „diagnostische Odyssee“ der SE-Patienten zu verkürzen.
Prof. Dr. med. Georg Hoffmann
Mitglied der Redaktion