Ende des Schattendaseins
Es ist kaum zu glauben, dass ein altbekannter Blutgerinnungsfaktor nach über einem halben Jahrhundert noch wissenschaftliche Überraschungen bereithält, aber genau das ist beim Faktor XII der Fall. Im Labor löst er bei der Messung der aPTT die intrinsische Blutgerinnung aus; viele Menschen mit FXII-Defizienz haben deshalb eine hochpathologische aPTT. Da sie aber überraschenderweise keine Blutungsneigung aufweisen, hielt man FXII lange für klinisch bedeutungslos.
Prof. Thomas Renné vom UKE Hamburg berichtet hier über seine hochrangig publizierten Beobachtungen, die diese Einschätzung revidieren. Er konnte erstmals zeigen, dass FXII-defiziente Mäuse vor arteriellen Thrombosen und Schlaganfällen geschützt sind. Der Mechanismus ist noch Gegenstand intensiver Forschung, und klinische Studien müssen erst erweisen, inwieweit eine FXII-Verminderung auch Menschen vor kardiovaskulären Ereignissen schützt. Ein neues Register soll hier weiterhelfen: www.factor12.net.
Im positiven Fall zeichnen sich bedeutsame therapeutische Konsequenzen ab, denn FXII wird durch die aus Thrombozytengranula freigesetzten Polyphosphate aktiviert. Somit könnten Polyphosphatinhibitoren eine schützende FXII-Verminderung bewirken. So rückt FXII unvermittelt aus seinem Schattendasein ins Rampenlicht der klinischen Forschung. Wir werden mit Sicherheit noch viel von diesem Protein und seinen neuen Funktionen hören.
Prof. Dr. med. Ulrich Walter
Centrum für Thrombose und Hämostase
der Universitätsmedizin Mainz