Diskrepante Ergebnisse in der Allergiediagnostik
Auswertung von Ringversuchen
Die Bestimmung von spezifischem IgE spielt bei der Diagnostik von Nahrungsmittelallergien eine große Rolle. Ringversuchsergebnisse zeigen allerdings, dass die Kits unterschiedlicher Hersteller auch nach Jahren noch immer diskrepante Ergebnisse aufweisen, die zu verwirrenden Aussagen führen. Eine Standardisierung ist dringend erforderlich.
Schlüsselwörter: slgE-Bestimmung, Ringversuch, Nahrungsmittelallergie, Erdnuss
Lebensmittelallergien sind ein präsentes Thema in der Öffentlichkeit, nicht zuletzt wegen der hohen Gefahr eines anaphylaktischen Schocks. In den deutschsprachigen Ländern werden 15% der anaphylaktischen Reaktionen bei Erwachsenen und mehr als 50% dieser bei Kindern durch Lebensmittelallergien der Klasse 1 ausgelöst[1]. Die Sensibilisierung gegen diese Nahrungsmittel erfolgt zumeist durch hitzebeständige Strukturen über den Magendarmtrakt[2]. Die generelle Prävalenz einer Lebensmittelallergie liegt etwas unter 10%, wobei sie bei Kindern höher ist als bei Erwachsenen[3].
Der momentan einzige Goldstandard zur sicheren Diagnose einer Lebensmittelallergie ist der doppelblinde, placebo-kontrollierte Provokationstest (DBPCFC). Dieser ist nicht nur zeit- und kostenaufwendig, sondern birgt auch ein Risiko für den Patienten[4]. Vorteilhaft für die Diagnostik wäre folglich eine In-vitro-Methode mit möglichst hoher Sensitivität und Spezifität bezüglich der Vorhersage einer schweren, systemischen Reaktion.
Der Blick fiel schnell auf die allergenspezifischen IgE-Antikörper (sIgE) im Serum sensibilisierter Patienten. Neben der molekularen Komplexität der Erkrankung kommt in der diagnostischen Realität ein entscheidender Faktor bei der Ermittlung der Messwerte zum Tragen: die Verwendung unterschiedlicher Testsysteme von verschiedenen Herstellern.
Abb. 1: Ringversuchsergebnisse für die konzentrierte (a) und die verdünnte (b) Probe vom April 2016 für die Allergenquelle „Erdnuss". Das grüne Band zeigt die zentralen 50% aller Ergebnisse; die grünen Linien markieren die 10. und 90. Perzentilen. Die grauen „Boxes and Whiskers" symbolisieren die entsprechenden Ergebnisse für einzelne Hersteller. Kollektive mit weniger als fünf Teilnehmern wurden in der Gruppe „Andere" zusammengefasst.
Diskrepante Versuchsergebnisse
Die Gesellschaft zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien (INSTAND e. V.) publizierte bereits 2003 große herstellerabhängige Diskrepanzen der sIgE-Level für dieselbe Probe im Rahmen der durchgeführten Ringversuche (RV)[5]. Anfang 2017 stellten wir für Insektengift- und Birkenpollenallergene fest, dass in den letzten sechs Jahren keine wirkliche Angleichung dieser Variationen stattgefunden hat. Es wurden teilweise 8- bis 12-fache Unterschiede der Medianwerte einzelner Kollektive identifiziert[6].
Die Allergenquelle „Erdnuss" ist aufgrund der hohen Prävalenz einer schweren, systemischen Reaktion bei Kindern diagnostisch von enormer Bedeutung. Aus diesem Grund haben wir die semi-quantitativen RV-Daten dieses Allergens aus dem Zeitraum von Januar 2010 bis April 2016 untersucht. Die Reproduzierbarkeit der Messungen wurde anhand des Variationskoeffizienten der vier Hersteller analysiert, die über 80% der Allergie-RV-Teilnehmer beliefern. Die statistische Analyse der Daten erfolgte mithilfe des Programms SigmaPlot13 von Systat Software Inc. (Erkrath, Deutschland).
Die Teilnehmerzahl der RV wuchs im untersuchten Zeitraum von etwa 140 auf über 500 Labore an und die Bestehensquote stieg von etwa 60% auf fast 95%. Diese Ergebnisse werfen zunächst ein positives Licht auf die In-vitro-Diagnostik für die Erdnussallergie, doch sind diese hohen Quoten nur durch die Bildung von Herstellerkollektiven möglich.
Abb. 1 zeigt die aktuelle herstellerabhängige Ergebnisverteilung der RV-Teilnehmer einer konzentrierten und einer verdünnten Probe. Es ist deutlich zu sehen, dass sich die mittleren 50% aller Messwerte über mehr als 30 kU/l erstrecken, und dass einzelne Herstellerkollektive erheblich nach unten oder oben abweichen (man beachte die logarithmische Skalierung). Die drei Herstellerkollektive mit den größten Teilnehmerzahlen (F7, F64 und F138) weisen einen 2- bis 9-fachen Unterschied ihrer Medianwerte auf. Bei der verdünnten Probe sind die Unterschiede sogar noch gravierender (5- bis 14-fach).
Die Betrachtung der RV-Ergebnisverteilung für den Zeitraum von 2010 bis 2016 zeigt, dass dies keine Momentaufnahme war (Abb. 2): Während das F7-Kollektiv (blau) stets unter einem Messwert von 10 kU/l bleibt, zeigen die Kollektive F48 (orange) und F138 (grün) eine starke Tendenz zu deutlich erhöhten Werten. Bei F64 (rot) ist eine Veränderung der Messwerteverteilung im untersuchten Zeitraum zu sehen: Von Januar 2010 bis Januar 2013 waren die Medianwerte noch mit denen von F7 vergleichbar, danach steigerten sie sich kontinuierlich, bis das Kollektiv im April 2016 sogar die Werte der F48-Gruppe deutlich überschritt. Auch bei weiteren Lebensmittelallergenen wie etwa Kuhmilcheiweiß und Haselnuss waren ähnlich große Messunterschiede zu beobachten; die Daten hierzu können auf der Seite von INSTAND e. V. eingesehen werden.
Abb. 2: Zeitliche Entwicklung der Ringversuchsergebnisse von 2010 bis 2016 für die Allergenquelle „Erdnuss" in der konzentrierten Probe. Die grauen Boxen zeigen die Verteilung aller Werte der jeweiligen Ringversuche. Die Verteilung der mittleren 80% der Werte für die einzelnen Hersteller wurden farbig hervorgehoben: F7 blau, F48 orange, F64 rot, F138 grün.
Mangelnde Reproduzierbarkeit
Die Ergebnisverteilungen deuten auf eine geringe Reproduzierbarkeit einiger Analysensysteme hin. Um dies weiter zu untersuchen, wurden die Variationskoeffizienten (VK) der Kollektive der konzentrierten Probe gebildet und verglichen. Die grüne Fläche kennzeichnet den von Schellenberg et al. publizierten akzeptablen Bereich für den VK (≤ 20%)[5].
F7 weist für beide Allergene in nahezu allen Ringversuchen VKs über 40% auf. Bei F64 sind die VKs in fünf von sieben untersuchten RVs im roten Bereich. Das Kollektiv lässt sich aber nochmals in zwei Gruppen aufteilen: Eine verwendet eine vierstufige Kalibrationskurve (F64-4, lila; bis 17,5 kU/l), während die andere sechs Kalibratoren verwendet (F64-6, braun; bis 100 kU/l). Werden diese Gruppen getrennt analysiert, so zeigt F64-4 keinen guten VK, während die VK von F64-6 nur bei vier von sieben RVs im Qualitätsrahmen liegen. F48 und F138 können sehr gute VKs, z. T. weit unter der 20%-Marke vorweisen. Die Unterschiede zwischen den Kollektiven sind unter anderem damit zu erklären, dass es sich bei F48 und F138 um vollautomatisierte Systeme handelt, während F7 und F64 auch manuelle Testsysteme anbieten.
Abb. 3: Entwicklung der Variationskoeffizienten der Herstellerkollektive für den Nachweis von sIgE gegen Erdnussallergene. Der grüne Bereich steht für akzeptable Variationskoeffizienten < 20% (nach Schellenberg et al. 2003), der rote Bereich liegt darüber. Untersucht wurden die Variationskoeffizienten der Herstellerkollektive F7, F48, F64 und F138 für Ringversuche im Zeitraum von Januar 2010 bis April 2016.
Klinische Interpretation
Was bedeuten diese stark divergenten Ergebnisse nun für die Klinik? Wie bereits eingangs erwähnt, wäre eine In-vitro-Methode wünschenswert, mit der die Wahrscheinlichkeit einer Anaphylaxie ohne Provokationstest sicher vorhergesagt werden kann. Vor diesem Hintergrund wurden in der Vergangenheit für die Erdnussallergie sIgE-Level von 5 kU/l[7] bis 15 kU/l[8] publiziert, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer klinischen Manifestation der Allergie über 95% liegt. Betrachtet man nun die Medianwerte der Kollektive des RV April 2016 für die Erdnuss (Abb. 4), so könnte es zu folgender Situation kommen: Ein Säugling leidet unter postprandialen Bauchschmerzen. Die Eltern gehen zum Hausarzt, der eine Blutprobe einschickt. Das Einsendelabor findet mit dem Analysesystem von Anbieter F64 ein sIgE deutlich über 15 kU/l gegen Erdnussallergene. Der Hausarzt warnt deshalb eindringlich davor, dem Kind erdnusshaltige Lebensmittel zu geben.
Die Eltern wenden sich daraufhin an einen Kinderarzt, der die Untersuchung selbst durchführt, allerdings mit dem System von Anbieter F7. Der neue Messwert liegt nur knapp über 5 kU/l, weshalb dieser Arzt die Eltern „beruhigen" – und damit letztlich eher verunsichern – würde: Sie können nun zwischen einer möglicherweise unnötigen Diät und der Angst um die Gesundheit ihres Kindes wählen.
Abb. 4: Vergleich der Medienmesswerte der einzelnen Herstellerkollektive für die Allergenquellen „Erdnuss, April 2016" mit publizierten sIgE-Werten, bei denen eine klinische Manifestation der Lebensmittelallergie mit einem PPV von 95% auftritt. Der grüne Bereich bei der Erdnuss kennzeichnet den von Bernard et al. publizierten Cut-off-Wert für die klinische Manifestation einer Erdnussallergie (5 kU/l) [7] und der gelbe Bereich kennzeichnet den von Sampson 2001 publizierten Wert von 15 kU/l [8].
Was ist zu tun?
Die beiden großen Probleme sind nach wie vor, dass es keine Richtlinien für die Standardisierung der in sIgE-Tests verwendeten Allergenextrakte gibt und dass der „wahre Wert" der Serumproben nicht bekannt ist. Solange es nicht möglich ist, letzteren zu ermitteln, wird es schwer sein, einzelne Hersteller von der Notwendigkeit einer Systemverbesserung zu überzeugen, denn die Ringversuche werden dank der Bildung herstellerbezogener Kollektive ja bestanden.
Um eine Vereinheitlichung der Messergebnisse zu erreichen, sehen wir zwei wichtige Ansatzpunkte. Zum einen sind Vorgaben zur Standardisierung der verwendeten Extrakte erforderlich. Die Hersteller müssen gewährleisten, dass klinisch relevante Allergene in physiologischen Mengen vorhanden und dass deren Bindungsepitope für Serumantikörper zugänglich sind. Wichtig ist dabei auch die Beachtung regionaler Unterschiede sowohl in der Proteinzusammensetzung als auch dem Sensibilisierungsprofil der Patienten.
Zum anderen müssen Kontrollproben geschaffen werden, bei denen die Menge der vorhandenen Antikörper und ihrer Spezifität genau bekannt ist. Eine Möglichkeit dafür wären artifizielle Proben, die beispielsweise mit chimeren Antikörpern gegen spezifische Allergene in definierten Mengen versehen werden können[9]. Ein ebenfalls Erfolg versprechender Ansatz ist die Generierung einer molekular genau charakterisierten Serumprobe, die nur sIgE gegen klinisch relevante Allergene enthält. Die Generierung und Charakterisierung einer solchen Probe mag zwar aufwendig sein, doch garantiert sie die größte Vergleichbarkeit mit den realen Proben in der Klinik. Auch bei der Generierung dieser Probe müssen geografische Unterschiede der Sensibilisierung beachtet werden.
Alles in allem ist eine Standardisierung der sIgE-Diagnostik unabdingbar, da die von uns beobachteten herstellerabhängigen Unterschiede klinisch nicht hinnehmbar sind: Vor allem bei Allergien mit hohem Risiko lebensbedrohlicher Reaktionen besteht akuter Handlungsbedarf.
INSTAND e. V. strebt zu dieser Thematik Gespräche mit Herstellern, Anwendern und wissenschaftlichen Fachgesellschaften an, um einen Konsens für eine verbesserte Diagnostik zu finden.