Licht ins Dunkel
Klassische und virtuelle Koloskopie
Eine Gewissensfrage an alle Leser ab 55: Waren Sie schon bei der Vorsorgekoloskopie? Ohne die geschätzt etwa tausend angesprochenen Menschen persönlich zu kennen, kann man wohl behaupten, dass mindestens 800 mit nein antworten werden. Denn leider besagen das die Statistiken des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung.
Zugegeben, eine Darmspiegelung ist nichts, was man sich unbedingt zum 55. Geburtstag wünscht. Aber dank Analgosedierung erlebt man die Untersuchung im Dämmerschlaf, und die Risiken sind minimal (Nachblutungen und Kreislaufprobleme rund 0,2%, Perforationen 0,02%). Die Darmspiegelung ist somit weniger eingreifend als die bioptischen Verfahren, die zur Früherkennung anderer häufiger Tumoren (Prostata, Mamma, Lunge) zum Einsatz kommen. Und sie vereint Vorsorge, Früherkennung und manchmal sogar Therapie in einer Sitzung. Das gibt es sonst allenfalls noch beim Hautkrebs.
Wer das Risiko trotzdem scheut oder Nahrungskarenz und Abführmittel zur Reinigung des Darms als lästig empfindet, kann stattdessen alle zwei Jahre einen Guajak-Stuhltest auf Blut in Anspruch nehmen. Der ist allerdings weniger sensitiv und wiegt deshalb Patienten mit falsch negativem Ergebnis in trügerischer Sicherheit. Die Faktenlage ist klar: Mit der Koloskopie entdeckt man praktisch alle Karzinome und über 90% der großen Adenome; für den Guajak-Test liegen die Vergleichszahlen dagegen im Mittel bei nur 30 bzw. 15%. Und wenn mit dem Guajak-Test tatsächlich Blut im Stuhl nachgewiesen wird, schließt sich letztlich doch eine Koloskopie an.
Immerhin ist die geringe Akzeptanz der Koloskopie ein Stimulus für Wissenschaft und Industrie, nach weniger belastenden Alternativen zu suchen. Bei der CT- und MR-Kolonografie – auch als virtuelle Koloskopie bezeichnet – rekonstruiert ein Computerprogramm die Struktur der Darmoberfläche aus Schnittaufnahmen, die mit einem Spiral-CT bzw. einem Kernspintomografen erstellt wurden. Bei der Kapselenteroskopie schluckt der Patient dagegen ein miniaturisiertes System mit ein bis zwei Kameras, Beleuchtungseinheit und Sender.
Alle drei alternativen Verfahren kommen derzeit nur bei Spezialfragestellungen zum Einsatz, die mit einem herkömmlichen Endoskop nicht lösbar sind. So ist die Kapselenteroskopie in Deutschland seit Juli 2014 als Kassenleistung zur Diagnostik bei „obskuren Blutungen des Dünndarms“ zugelassen, nicht aber als Vorsorgeuntersuchung beim CRC. Die CT-Kolonografie fand bereits Eingang in amerikanische Leitlinien, ist aber in Deutschland wegen des Strahlenrisikos nicht zulässig.
Bleibt schließlich die derzeit viel diskutierte Frage, ob innovative Labortests – zum Beispiel auf krebstypische DNA-Mutationen im Stuhl[1] – die Koloskopie ersetzen könnten. Die Antwort ist Nein, denn selbst die leistungsfähigsten Biomarkerkombinationen liefern zu viele falsch negative und noch mehr falsch positive Resultate.
Aber da jeder positive Befund endoskopisch und gegebenenfalls histologisch abgesichert werden muss, fördern diese Tests die Bereitschaft zur Vorsorgekoloskopie zu gehen. Und das wäre durchaus ein Gewinn.
[1] Imperiale et al. Multitarget Stool DNA Testing for Colorectal-Cancer Screening. NEJM 2014;370:1287
Dr. med. Thomas Koch
Chefarzt Innere Medizin II
Marienhaus Klinikum Eifel Bitburg
thomas.koch[at]marienhaus[dot]de