Breast cancer 1 early onset (BRCA) und homologe Rekombinationsdefizienz (HRD)
BRCA1 und BRCA2 sind Tumorsuppressor-Gene; BRCA1 wurde bereits 1994 als Gen entdeckt, das die Wahrscheinlichkeit beeinflusst, ein Mamma- oder Ovarialkarzinom zu entwickeln [1], BRCA2 [2] ein Jahr später. Ebenfalls 1994 wurde beschrieben, dass BRCA1 für ein aus 1.863 Aminosäuren bestehendes Protein, nämlich für einen Tumorsuppressor kodiert, der für die Reparatur beschädigter DNA-Fragmente zuständig ist [3]. Fast ebenso lang ist bekannt, dass in embryonalen Stammzellen von Mäusen mit einem BRCA1-Defekt keine intakte Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen über die homologe Rekombination (HR) stattfinden kann [4]. BRCA1 trägt somit zum Erhalt der genomischen Integrität bei, indem es die HR fördert und mutagene nicht-homologe Reparaturprozesse einschränkt [4]. BRCA1 befindet sich auf Chromosom 17, dort ist es Teil des Genlocus q21.31. Mutationen im BRCA1-Gen können dort 22 Exons betreffen.
Wie BRCA1 kodiert auch BRCA2 für ein an der DNA-Reparatur beteiligtes Tumorsuppressor-Protein. Mutationen am BRCA2-Gen können sich auf 27 Exons auf Chromosom 13q13.1 verteilen. Da die Proteine BRCA1 und BRCA2 im Ablauf der HR zur Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen eine kritische Rolle spielen, haben Mutationen der Gene von BRCA1 und/oder -2 Auswirkung auf die Funktionalität dieses Reparaturmechanismus, auf die Chromosomenstabilität und damit auf die Tumorsuppression. Mutationen der BRCA1- und BRCA2-Gene gehen mit einem stark erhöhten Risiko für verschiedene Tumorarten einher, insbesondere für Mamma-, Ovarial-, Prostata- und kolorektale Karzinome [5].
BRCA1/2-Mutationen bei verschiedenen Tumoren
Mammakarzinom
Keimbahnmutationen von BRCA1/2 erhöhen durch die Einschränkung der HR und die daraus resultierende genomische Instabilität das Brustkrebsrisiko. Frauen mit BRCA1- oder BRCA2-Mutation erkranken rund 20 Jahre früher als Frauen ohne familiäres Risiko; zudem haben sie ein lebenslanges Risiko von etwa 60 % bzw. 40 %, an einem Mammakarzinom bzw. kontralateralen Mammakarzinom zu erkranken [6]. Die Häufigkeit von BRCA-Keimbahnmutationen bei Mammakarzinom-Patientinnen liegt etwa bei 7 %. Somatische BRCA-Mutationen im Tumor liegen bei nur etwa 3 % aller Mammakarzinome vor [7]. Anders ausgedrückt: Von den beim Mammakarzinom nachgewiesenen BRCA-Mutationen sind etwa ein Drittel somatische Mutationen und zwei Drittel Keimbahnmutationen [8].
BRCA1-assoziierte Mammakarzinome weisen häufig einen charakteristischen histopathologischen und immunhisto-chemischen Phänotyp auf. Es sind häufig invasive Karzinome mit medullären Eigenschaften, einer G3-Morphologie und Östrogenrezeptor-, Progesteronrezeptor- und HER2-Negativität (triple-negativ) [6]. Bei unselektierten Patientinnen mit einem triple-negativen Mammakarzinom (TNBC) konnte eine Mutationsprävalenz von BRCA1-Mutationen bei 8,5 % bzw. von BRCA2-Mutationen bei 2,7 % nachgewiesen werden [9].
Das Vorliegen einer BRCA-Keimbahnmutation hat bei Patientinnen mit fortgeschrittenem Mammakarzinom Auswirkungen auf die Systemtherapie und ist außerdem Voraussetzung für die Therapie mit einem PARP(Poly-ADP-Ribose- Polymerase)-Inhibitor.
Ovarialkarzinom
Die Häufigkeit somatischer BRCA-Mutationen wird beim high-grade serösen Ovarialkarzinom mit 6–7 % angegeben [10, 11]. BRCA-Keimbahnmutationen sind weitaus häufiger. In einer australischen Fall-Kontrollstudie waren BRCA-Keimbahnmutationen bei 14 % aller Patientinnen mit nicht-muzinösem Ovarialkarzinom und bei 17 % der Frauen mit high-grade serösen Karzinomen nachweisbar [12]. In der AGO-TR1-Studie wurde bei 523 Patientinnen mit primärem oder rezidiviertem Ovarialkarzinom bei 20,8 % eine BRCA-Keimbahnmutation nachgewiesen [13].
Nach aktuellen Schätzungen – beruhend auf populationsbasierten Daten – haben Trägerinnen einer BRCA1-Mutation bis zum 69. Lebensjahr ein kumulatives Risiko von 39 %, Eierstockkrebs zu entwickeln. Bei BRCA2-Mutationen ist die Wahrscheinlichkeit für ein Ovarialkarzinom mit 11–22 % erheblich niedriger [6]. Beim Ovarialkarzinom ist eine BRCA-Mutation nur in einigen Fällen Voraussetzung für eine PARP-Inhibitor-Therapie.
Pankreaskarzinom
Bei 4–7 % der Patienten mit einem Pankreaskarzinom liegt eine BRCA-Keimbahnmutation vor [14–17]. Ihr Nachweis ist Voraussetzung für eine Erhaltungstherapie mit dem PARP-Inhibitor Olaparib. BRCA-mutierte Karzinome sind häufiger primär sensibel gegenüber Platin-basierten Chemotherapien als BRCA-Wildtyp-Karzinome.
Prostatakarzinom
Bei etwa einem Fünftel der Patienten mit kastrationsresistentem metastasiertem Prostatakarzinom (mCRPC) liegen Mutationen des BRCA1/2- oder des ATM-Gens vor [18], jedoch weisen nur 2–5 % der Patienten BRCA-Keimbahnmutationen auf [19]. Patienten mit BRCA2-Mutation haben aggressivere Tumoren, höhere Gleason-Scores und eine schlechtere Prognose [20]. Auch beim mCRPC ist der Nachweis einer BRCA1/2-Mutation Voraussetzung für eine Erhaltungstherapie mit Olaparib.
HRD und „BRCA-ness“
Das Verständnis der Bedeutung einer BRCA-Mutation hat sich nach ihrer Entdeckung gewandelt. Zunächst wurde eine Wirksamkeit von PARP-Inhibitoren nur bei Tumoren mit einer BRCA-Keimbahnmutation vermutet und in Studien geprüft. Später hat man die Grundlagen ihres Wirkprinzips ausgedehnt, und zwar auf Tumoren mit somatischer Inaktivierung von BRCA1 oder auf Tumoren mit einer anormalen Funktion anderer Gene, die an DNA-Reparaturwegen über die homologe Rekombinationsreparatur (HRR) beteiligt sind („BRCA-ness“) [21].
In Tumoren mit einer HR-Defizienz (HRD) können DNA-Doppelstrangbrüche kaum noch fehlerfrei repariert werden, da nur noch fehleranfällige Wege wie die nicht-homologe Endverknüpfung aktiviert werden können [21]. Daher lässt sich eine HRD anhand der genomischen Fehler, wie sie durch die – anstelle der HR aktivierte – nicht-homologe Endverknüpfung entstehen, durch drei Parameter messen: den Verlust der Heterozygotie > 15 Mb (loss of heterozygosity (LOH), die allelische Imbalance der Telomere (allelic imbalance extending to the telo-mere, TAI) und größere chromosomale Rearrangements, sichtbar anhand einer Anzahl der DNA-Brüche von mindestens 10 Mb (large-scale state transitions, LST).
Um eine HR-Defizienz diagnostisch festzustellen, liegen mehrere kommerzielle Tests vor, die verschiedene dieser genannten Parameter berücksichtigen. Der in Studien zum Ovarialkarzinom zu-meist eingesetzte Test MyChoice HRD (Myriad) vereint alle drei genannten Parameter zu einem HRD-Score. Bei einem Score von ≥ 42 ist von einer HRD auszugehen, bei einem Score < 42 von einer intakten DNA-Reparatur durch die HR.
PARP-Inhibitoren bei HRD-positiven Tumoren
Die physiologische Funktion der PARP-Enzyme ist, DNA-Einzelstrangbrüche zu reparieren, wobei sie als Regulatoren der Basenexzisionsreparatur (BER) fungieren. PARP-Inhibitoren nutzen – ähnlich wie eine Chemotherapie mit Platinderivaten – eine bereits bestehende eingeschränkte Fähigkeit der Tumorzelle aus, DNA-Doppelstrangbrüche fehlerfrei reparieren zu können. Ihr Wirkmechanismus kommt bei Tumorzellen mit einer HRD zum Tragen.
Werden PARP-Enzyme durch einen PARP-Inhibitor blockiert, fällt die Reparaturmöglichkeit von Einzelstrangbrüchen über die BER aus und akkumulierte unreparierte Einzelstrangbrüchen werden bei der Vervielfältigung der DNA an der Replikationsgabel zu Doppelstrangbrüchen. Diese können bei Tumoren mit HRD kaum noch fehlerfrei repariert werden (Abb. 1).