Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) sind molekular heterogene Erkrankungen, die maligne entarteten physiologischen Lymphozyten entstammen. Die Behandlung dieser hämatologischen Malignome hat sich in den vergangenen Jahren erheblich weiterentwickelt. Jahrzehntelang stellten empirisch ermittelte Chemotherapie-basierte Regime den Therapiestandard dar. Zuletzt ist es jedoch nicht mehr gelungen, diese Therapiekonzepte empirisch weiter zu optimieren und die Prognose der Patienten relevant zu verbessern.
Als Ergänzung zu den relativ breit ansetzenden Chemotherapien konnten in den vergangenen Jahren innovative zielgerichtete Strategien etabliert werden, die eine zunehmend personalisierte Behandlung von Patienten mit NHL erlauben. Durch eine ständig verfeinerte Diagnostik, insbesondere die molekulare Charakterisierung der intrinsisch heterogenen Erkrankungen, wurde die Pathobiologie der unterschiedlichen NHL-Entitäten immer besser verstanden. So konnte nicht nur die Diagnose einzelner Entitäten durch spezifische Alterationen vereinfacht, sondern auch die Prognose der Patienten besser abgeschätzt werden. Bemerkenswerterweise konnten auf Basis der molekularen Signaturen der verschiedenen NHL auch entitätsspezifische molekular definierte Vulnerabilitäten identifiziert und daraus individualisierte Therapiekonzepte entwickelt werden. Dafür war entscheidend, dass die Entdeckung der molekularen Zielstrukturen es möglich machte, Substanzen zu entwickeln, die eine zielgerichtete Therapie gegen die jeweiligen molekularen Zielstrukturen erlaubten (Schlüssel-Schloss-Prinzip). Gegenwärtig erleben wir, wie den innovativen Wirkstoffen – kleinen Molekülen, Antikörpern, Antikörper-Toxin-Konjugaten, bispezifischen Antikörpern, Immuncheckpoint-Inhibitoren und zellulären Therapien – immer größere Bedeutung zukommt. Die Chemotherapie hat heute in vielen Entitäten noch einen großen Stellenwert (z. B. beim diffus großzelligen B-Zell-Lymphom (DLBCL)), wurde aber in anderen Entitäten wie der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) bereits in ihrer Bedeutung zurückgedrängt. Es ist abzusehen, dass dieser Prozess zukünftig durch die Entwicklung informativer und molekular getriebener Biomarker noch weiter vorangebracht wird.
All diesen spannenden Entwicklungen rund um die NHL widmen wir uns im Schwerpunkt der vorliegenden Ausgabe von Trillium Krebsmedizin. In insgesamt sieben Schwerpunktbeiträgen fassen unsere Autoren den aktuellen Stand des Wissens zu verschiedenen indolenten und aggressiven NHL zusammen und wagen auch einen Blick in die Zukunft.
Das follikuläre Lymphom (FL) ist das häufigste indolente NHL und wird derzeit stadienabhängig behandelt – bislang ohne Berücksichtigung individueller Risikofaktoren oder der Biologie der Erkrankung. Die Standardtherapie in fortgeschrittenen Stadien und bei symptomatischer Erkrankung ist nach wie vor die Kombination aus zytostatischer Chemotherapie und Anti-CD20-Antikörpern, auf die die meisten Patienten gut und anhaltend ansprechen. Allerdings versagt die Therapie bei jedem vierten Patienten früh, sodass bei diesen Verläufen ein hoher Bedarf an neuen Optionen besteht. Es darf erwartet werden, dass innovative Ansätze zur Risiko- und Therapiestratifikation sowie molekular und immunologisch zielgerichtete Therapien die Behandlung zusätzlich optimieren und individualisieren werden.
Bei einem weiteren indolenten NHL, dem Morbus Waldenström (MW), sind in den vergangenen Jahren relevante Fortschritte im Verständnis der Pathobiologie der Erkrankung erzielt worden. So wissen wir heute, dass die Erkrankung, die sich durch eine Knochenmarkinfiltration mit einem lymphoplasmozytischen Lymphom und durch monoklonale IgM-Gammopathie präsentiert, von aktivierenden Mutationen im MYD88- und CXCR4-Gen getriggert wird. Neben der Immunchemotherapie hat sich beim MW vor allem der Bruton-Tyrosinkinase (BTK)-Inhibitor Ibrutinib alleine oder kombiniert mit dem Anti-CD20-Antikörper Rituximab als effektive Behandlungsoption etabliert, wobei das Ansprechen bei Vorliegen einer CXCR4-Mutation negativ beeinflusst wird. In naher Zukunft könnten weitere innovative Substanzen an Bedeutung gewinnen, etwa CXCR4-Antagonisten.
Es gibt kaum eine Lymphom-Erkrankung, deren Therapiekonzepte in den letzten Jahren eine größere Dynamik erfahren haben als die der CLL. Die molekularen und genetischen Charakteristika sind inzwischen so gut verstanden, dass auf dieser Basis verschiedene zielgerichtete Substanzen zur Krankheitskontrolle entwickelt und evaluiert werden konnten, die zunehmend die bislang etablierte Immunchemotherapie ersetzen. Als Chemotherapie-freie Therapieoptionen spielen BTK-Inhibitoren eine bedeutende Rolle; in jüngster Zeit finden zudem zeitlich begrenzte Behandlungsregime wie etwa die Kombination aus dem BCL-2-Inhibitor Venetoclax und dem Anti-CD20-Antikörper Obinutuzumab immer mehr Zustimmung. Durch die Vielzahl der verschiedenen verfügbaren Optionen ist bei der CLL inzwischen eine individualisierte Behandlung möglich, die sich nicht nur an der Fitness des Patienten, sondern auch an verschiedenen molekularen Markern ausrichtet.
Auch beim Mantelzell-Lymphom haben sich die therapeutischen Möglichkeiten in den letzten Jahren deutlich verbessert. Das Spektrum reicht von der optimierten Immunchemotherapie und nachfolgender Konsolidierung durch eine autologe Stammzelltransplantation für fitte Patienten über Inhibitoren des B-Zell-Rezeptors, immunmodulatorische Substanzen und BCL-2-Antagonisten bis hin zur Therapie mit chimären Antigen-rezeptor(CAR)-T-Zellen. Trotz aller Therapiefortschritte bleibt die Behandlung des Mantelzell-Lymphoms im fortgeschrittenen Stadium aber nach wie vor eine Herausforderung.
Das DLBCL wird trotz seiner hohen Aggressivität bis ins hohe Alter in primär kurativer Intention behandelt. Empirisch erarbeitete Chemotherapieregime erzielen hohe Raten an Langzeitremissionen, doch kam es zuletzt zu keinem deutlichen Fortschritt in der Weiterentwicklung der Erstlinientherapie. Neue molekulare Einblicke durch integrative Genomik untermauern die molekulare Heterogenität der Erkrankung. Es finden sich mindestens fünf genetische DLBCL-Subgruppen, die neben einem verbesserten Verständnis der Lymphomagenese auch eine bessere Prognoseprädiktion sowie zielgerichtete Kombinationstherapien ermöglichen. Die sicher spannendsten klinischen Entwicklungen finden sich beim DLBCL-Rezidiv, für das in den letzten 2 Jahren neben dem CD79B-Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Polatuzumab Vedotin auch erste CAR-T-Zell-Therapien zugelassen wurden.
Das primär mediastinale (thymische) B-Zell-Lymphom (PMBL) ist ein seltenes aggressives Lymphom, das ursprünglich zu den DLBCLs gezählt wurde. Pathogenetisch zeigten sich eine konstitutive Aktivierung des NF-κB- und JAK/STAT-Signalweges sowie ein PD-1-vermittelter Immunescape. Basierend auf diesem besseren molekularen Verständnis wurde das PMBL schließlich als eigene Entität klassifiziert. Während 90 % der Patienten auf eine initiale Immunchemotherapie und nachfolgende Bestrahlung Langzeitremissionen erzielen, geht die Erkrankung im Rezidiv oder in der refraktären Situation mit einer schlechten Prognose einher. Gerade für rezidivierte/refraktäre Patient(inn)en konnten in den letzten Jahren molekular informierte zielgerichtete Therapiestrategien geschaffen werden, wie etwa die Immuncheckpoint-Blockade alleine oder mit einer Anti-CD30-gerichteten Therapie mit Brentuximab Vedotin (BV).
Der letzte Beitrag des Schwerpunkts befasst sich mit peripheren T-Zell-Lymphomen (PTCL). Diese sind ebenfalls eine klinisch, histopathologisch und molekular heterogene Gruppe von Lymphomen, die immer noch eine diagnostische und therapeutische Herausforderung darstellen. Doch durch ein verbessertes Verständnis der Pathogenese und eine Auflösung der molekularen Heterogenität konnten auch in dieser sehr seltenen Entität wesentliche molekulare Alterationen identifiziert werden, die Marker für eine verbesserte Diagnostik und neue Therapiestrategien geliefert haben. Für BV in Kombination mit Cyclophosphamid,
Doxorubicin und Prednisolon konnte zudem erstmals im Erstlinien-Setting eine signifikante Verbesserung des progres-sionsfreien Überlebens und Gesamtüberlebens bei Patienten mit CD30-exprimierenden PTCLs gezeigt werden.
Ich hoffe sehr, dass dieser umfassende NHL-Schwerpunkt in Trillium Krebsmedizin bei Ihnen keine Wünsche offenlässt. Ich würde mich freuen, wenn Sie neue Erkenntnisse gewinnen und diese für Ihre tägliche Arbeit in Klinik und Praxis nutzen können.