Die Behandlungsmöglichkeiten des Multiplen Myeloms haben sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt. Die Hochdosistherapie (HDT) mit anschließender autologer Blutstammzelltransplantation (ASZT) ist nach wie vor die empfohlene Primärtherapie für den fitten Patienten. Durch die Kombination von HDT mit monoklonalen Antikörpern, Proteasom-Inhibitoren (PI), Immunmodulatoren (IMiD) und einem Steroid sind hohe Ansprechraten möglich. Für nicht-transplantable Patienten hat sich die Erstlinienbehandlung des neu diagnostizierten Multiplen Myeloms in den letzten Jahren signifikant verändert. Es stehen verschiedene Kombinationstherapien zur Verfügung, die jeweils zwei der drei Medikamentenklassen PI, IMiD und monoklonale Antikörper beinhalten und zu bislang nicht für möglich gehaltene Raten an tiefen, langanhaltenden Remissionen führen.
Trotz dieser Erfolge bleibt das Myelom eine Erkrankung, die durch Rezidive geprägt ist, wobei mit jedem Rückfall die Remissionstiefe abnimmt und die progressionsfreie Zeit kürzer wird. Speziell die Behandlung von Patienten, die (triple-) refraktär gegen PI, IMiD und CD38-Antikörper sind, bleibt eine Herausforderung.
Immuntherapeutische Strategien bieten speziell in der rezidivierten und/oder refraktären Situation Behandlungsperspektiven. Deshalb widmete sich eine ganze Session beim Myeloma Workshop dieser Thematik. Wie Dr. Sagar Lonial, Atlanta, GA, USA, berichtete, ist mit Belantamab Mafodotin das erste Antikörper-Wirkstoff-Konjugat in der EU zugelassen, das ab der Viertlinie bei triple-refraktären Patienten zugelassen ist. Weitere Antikörperkonstrukte werden entwickelt und geprüft.
Auch bispezifische Antikörper (bispecific T-cell engager (BiTE)), die sich gegen das BCMA-Protein auf Myelomzellen richten, können laut PD Dr. Marc Raab, Heidelberg, eine Perspektive für die Zukunft bieten. Speziell mit BiTE, bei denen es durch Molekülveränderungen gelungen ist, die Halbwertszeit zu verlängern (wie etwa bei AMG 701), seien bemerkenswerte Ansprechraten möglich. Ein weiterer vielversprechender bispezifischer Antikörper ist Teclistamab, der sich nicht nur durch eine gute Wirksamkeit selbst bei multipel refraktären Patienten auszeichnet, sondern auch durch gute Verträglichkeit. So wurden laut Raab mit Teclistamab bisher keine Zytokinfreisetzungssyndrome (CRS) ab dem Schweregrad 3 dokumentiert.
Große Hoffnungen beim rezidivierten/refraktären (r/r) Myelom richten sich auch auf die CAR-T-Zell-Therapie, wie Prof. Nikhil Munshi, Boston, MA, USA, berichtete. Mit Idecabtagen Vicleucel (Ide-Cel) steht in der EU erstmals eine gegen BCMA gerichtete CAR-T-Zell-Therapie kurz vor der Zulassung, die bei mehrfach vorbehandelten Patienten mit r/r Multiplem Myelom eingesetzt werden kann. Darüber hinaus befinden sich CAR-T-Zell-Therapien in der klinischen Entwicklung, die andere Zielstrukturen als BCMA verwenden, wie Prof. Michael Hudecek, Würzburg, berichtete.
Auf dem Weg zur Heilung des Multiplen Myeloms?
Prof. Brian Durie, Los Angeles, CA, USA, beschäftigte sich in seiner Keynote-Lecture mit der Frage, ob eine Heilung des Myeloms möglich ist. Laut Durie sind hier mehrere Ansatzpunkte entscheidend. Zum einen gelte es, Vorstufen eines Myeloms zu erkennen und einer Weiterentwicklung in eine manifeste Erkrankung vorzubeugen. Laut Durie ist etwa die monoklonale Gammopathie unbestimmter Signifikanz (MGUS), die sich in etwa 1 %der Fälle in ein Myelom weiterentwickelt, durch Massenspektroskopie früh erkennbar. Die MGUS zeichnet sich durch das vermehrte Vorkommen von kompletten oder inkompletten, monoklonalen Immunglobulinen (Para-proteinen) im Serum aus, ohne jedoch Kriterien für ein Myelom zu erfüllen.
Als weiteren wichtigen Schritt auf dem Weg zur Heilung nannte Durie die frühe Intervention beim Smoldering Myelom (SMM), der asymptomatischen Vorstufe des Multiplen Myeloms. Wie das SMM definiert wird und welche Risiken dieser Myelom-Frühform zugerechnet werden, hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Heute ist bekannt, dass der klinische Verlauf des SMM äußerst variabel ist. Das Spektrum reicht von Patienten, die nie eine behandlungsbedürftige Myelomerkrankung erreichen, bis hin zu Betroffenen, deren Erkrankung binnen weniger Monate in ein therapiebedürftiges Stadium übergeht. Bis heute existieren weder ein Behandlungsstandard noch eine einheitliche Therapieempfehlung für das SMM. Durch exaktes Staging in Kombination mit einer geeigneten Risikostratifizierung ist es aber möglich, den Übergang in ein behandlungsbedürftiges Multiples Myelom rechtzeitig zu erkennen. Klinische Studien evaluieren derzeit, ob möglicherweise eine frühzeitige Therapie des SMM sinnvoll ist, um für betroffene Patienten einen Überlebensvorteil zu erreichen und damit einen Schritt in Richtung Myelom-Heilung zu machen. Durie stellte auch ein Risiko-Score-Tool vor, das es erlaubt, SSM-Patienten mit hohem Risiko frühzeitig zu erkennen.
Eine entscheidende Rolle spielt laut Durie außerdem, die Behandlung des Myeloms daran auszurichten, MRD(messbare Resterkrankung)-Negativität zu erreichen, die grundsätzlich mit einer besseren Prognose für die Patienten einhergeht. Er brachte dazu auch das Verfahren des Next Generation Flow (NGF) zum Nachweis zirkulierender Tumor-Plasmazellen ins Gespräch, das eine Standard-Sensitivität von 10-6 , in Kombination mit immunmagnetischen Beads sogar von 10-8 erreicht und damit deutlich sensitiver ist als herkömmliche Verfahren zum MRD-Nachweis.
Die Initiative Black Swan der International Myeloma Foundation, die eine Heilung des Myeloms anstrebt, wird sich laut Durie in Zukunft damit beschäftigen, die beste Frontline-Therapie zu entwickeln, MRD-positive oder biochemische Rückfälle durch molekulare und immunologische Testungen zu vermeiden und neue Immuntherapie-Cocktails in Studien zu prüfen. Ein entscheidender Schritt Richtung Heilung besteht laut Curie darin, bei biochemischen Rezidiven eine bislang nicht detektierbare MRD zu erkennen und zu intervenieren.
Therapieentscheidungen beim Myelom auf Basis der Biologie?
Prof. Gareth Morgan, New York, NY, USA, widmete sich in einer weiteren Keynote-Lecture der Frage, ob es möglich ist, Therapieentscheidungen beim Myelom auf Basis biologischer Kriterien zu fällen und die Behandlung daran auszurichten. Dafür gibt es laut Morgan Ansatzpunkte, wobei man den langen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren, der der Entstehung eines manifesten Myeloms oftmals vorausgeht, gut nutzen kann.
Morgan zufolge gibt es mindestens sechs biologisch distinkte Subgruppen der Erkrankung, die molekularbiologisch und immunologisch zunehmend besser verstanden und charakterisiert werden können. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Kontext dem RAS/MAPK-Signalweg zu, der auch gezielt adressiert werden kann.
Laut Morgan sollte ein Myelom-Erkrankungsmodell entwickelt werden, das primäre und sekundäre Veränderungen unterscheidet. Es sei besser, die primären Änderungen gezielt anzugehen und damit die Erkrankung bei der Wurzel zu packen. „Zielen Sie auf den Stamm, nicht auf die Äste“, sagte Morgan.
Exzellente deutsche Studiengruppen
Der Heidelberg Myeloma Workshop endete mit Vorträgen von Prof. Hermann Einsele, Würzburg, der aktuelle Studien der Deutschen Studiengruppe Multiples Myelom (DSMM) vorstellte, sowie Prof. Hartmut Goldschmidt, Heidelberg, der Gleiches für die German Speaking Myeloma Multicenter Group (GMMG) tat.
Beide akademischen Gruppen schlossen bislang je ca. 4.000 Patienten in ihre Studien ein und trugen entscheidend dazu bei, dass die Kosten für eine ASZT für Patienten bis 70 Jahre übernommen werden.
Studien der DSMM beschäftigten sich u. a. mit der Möglichkeit der allogenen Transplantation bei Patienten mit Hochrisiko-Myelom (DSMM V) und der Konsolidierungstherapie nach ASZT (DSMM X/XI). Als eine von mehreren laufenden Studien evaluiert die DSMM-XVII-Studie Elotuzumab (E) plus Carfilzomib, Lenalidomid und Dexamethason (E-KRd) versus KRd vor und nach ASZT bei neu diagnostiziertem Myelom und mit nachfolgender Erhaltungstherapie. Daneben stehen T-Zell-gerichtete Behandlungsstrategien auf dem Programm, etwa die Weiterentwicklung von BiTE und die Entwicklung trispezifischer Antikörper (hemibodies) sowie CAR-T-Zellen jenseits von BMCA.
Bei der GMMG trugen die Daten der MM5-Studie entscheidend dazu bei, dass sich die Kombination aus Bortezomib, Cyclophosphamid und Dexamethason (VCD) deutschlandweit als ein neuer Standard für die Induktionstherapie etablierte. In der Phase-III-Studie GMMG HD6 wird derzeit die Addition von Elotuzumab zu VRD (Bortezomib/Lenalidomid/Dexamethason) vor und nach ASZT geprüft, während GMMG HD7 eine Kombination aus Isatuximab-VRD als Induktionstherapie vor ASZT prüft. Die GSSM-CONCEPT- Studie evaluiert die Induktion, Konsolidierung und Erhaltung mit Isatuximab, Carfilzomib, Lenalidomid und Dexamethason (I‐KRd) in der Primärtherapie des Hochrisiko-Myeloms.
Prof. Goldschmidt gab an, dass DSSM und GMMG zukünftig bei Studien enger zusammenarbeiten wollen. Die Modalitäten der Kooperation werden erarbeitet.