Viele Jahre lang ging es in der medikamentösen Krebstherapie ausschließlich darum, welche Arzneimittel die Tumorerkrankung des Patienten besonders effektiv hemmen können. Zunehmend wurden und werden dafür auch molekulare Tests durchgeführt – mit dem Ziel, genetische Alterationen aufzuspüren, die für eine zielgerichtete Behandlung mit einem bestimmten Wirkstoff qualifizieren. Nun haben die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) diesen sinnvollen Ansatz durch eine umgekehrte Strategie erweitert: Ab sofort soll ein routinemäßig durchgeführter Gentest ermitteln, welche Patienten wegen einer genetisch bedingten Unverträglichkeit nicht mit gängigen Fluoropyrimidin-Zytostatika behandelt werden sollen. Speziell geht es dabei um das schon seit den 1960er-Jahren verfügbare und intravenös zu applizierende 5-Fluorouracil (5-FU) selbst, das orale Prodrug Capecitabin (verfügbar seit 2001) und das peroral applizierbare 5-FU-Prodrug Tegafur, das seit 2012 als fixes Kombinationspräparat zusammen mit Gimeracil und Oteracil zur Behandlung des fortgeschrittenen Magenkarzinoms zugelassen ist.
Eines der Top-Onkologika
Fluoropyrimidin-haltige Arzneimittel wie 5-FU gehören zu den am häufigsten eingesetzten Zytostatika in der syste-mischen Tumortherapie, betonte Prof. Anke Reinacher-Schick, Bochum, und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) in der Deutschen Krebsgesellschaft bei der Pressekonferenz. 5-FU stehe auf der WHO Model List of Essential Medicines und gehöre hierzulande zu den 10 am häufigsten verordneten Onkologika. Fluoropyrimidine werden bei einer Vielzahl von fortgeschrittenen, aber zum Teil auch bei lokal begrenzten Tumorerkrankungen eingesetzt, etwa beim kolorektalen Karzinom sowie beim Magen-, Pankreas- und Mammakarzinom.
DPD-Mangel verursacht Nebenwirkungen
Die Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD) sei das Schlüsselenzym für die Elimination von 5-FU und die Voraussetzung für dessen Ausscheidung im Urin, erklärte die Bochumer Expertin. Ein Defekt des Enzyms führt aufgrund einer Anreicherung im Blut zu erhöhter Toxizität, die sich häufig in oraler Mukositis, Enteritis/Kolitis und/oder Hand-Fuß-Syndrom zeige, bei kompletter DPD-Defizienz jedoch auch zu Multiorganversagen oder Tod führen könne. „Durch DPD-Testung, die obligat vor einer systemischen Fluoropyrimidin-Therapie erfolgen sollte, könne ein knappes Drittel dieser Nebenwirkungen vermieden werden, so Reinacher-Schick. Sie hält die Testung für sehr bedeutsam, da Fluoropyrimidine auch in Zukunft essentielle Wirksubstanzen in der medizinischen Onkologie und die Basis zahlreicher Kombinationstherapien bleiben werden.
Vier relevante Genvarianten
Dem genetisch bedingten DPD-Mangel liegen Varianten im Dihydropyrimidin-Dehydrogenase-Gen (DPYD) zugrunde, die zwar selten sind, bei den Trägern aber mit einem signifikanten Risiko für schwere Nebenwirkungen assoziiert sind, erklärte Prof. Lorenz Trümper, Göttingen, und geschäftsführender Vorsitzender der DGHO. DPD-Mangel sei für etwa 30 % der schweren Toxizitätsreaktionen ab Grad 3, insbesondere Diarrhö, Mukositis, Hand-Fuß-Syndrom, Myelosuppression mit tiefer und langdauernder Neutropenie sowie Neurotoxizität, verantwortlich – mit einer Letalität von 0,2–1 %. Wie Trümper berichtete, tragen bis zu 9 % Patienten europäischer Herkunft eine DPD-Genvariante, die mit einer verminderten Aktivität des Enzyms einhergeht; rund 0,5 % der Patienten weisen einen kompletten Mangel auf. Deshalb, so Trümper, sollten Patienten, die eine Fluoropyrimidin-basierte Therapie erhalten sollen, auf die vier häufigsten genetischen DPYD-Varianten getestet werden.
Diese sind (bezogen auf die DPYD-Transkriptvariante 1):
• DPYD*2A (c.1905+1G>A;
IVS14+1G>A; rs3918290)
• DPYD*13 (c.1679T>G;
rs55886062)
• Polymorphismus c.2846A>T
(rs67376798) und
• HaplotypB3 (c.1236G>A; c.1129
-5923C>G).
In Abhängigkeit davon, welche dieser Genvarianten die Patienten tragen und ob sie heterozygoter oder homozygoter Träger der Variante sind, ergibt sich ein Aktivitätsscore zwischen 0 und 2,0 (Tab. 1).