Als Gesamtstrategie für das kommende Jahr hat sich die Arbeitsgruppe die Fortführung translationaler Forschungsprojekte, die translationale und molekular-onkologische Unterstützung laufender und neuer AIO-Studien und die Entwicklung deutschlandweiter Datenbank-Systeme auf die Fahnen geschrieben. „Wir finden es wichtig, dass molekular-onkologische Aspekte in all diesen Studien eine besondere Wertschätzung erfahren“, erklärte Prof. Michael Quante, Freiburg, bei der Sitzung der Arbeitsgruppe im Rahmen der AIO-Herbsttagung 2021. Weiterhin setzt sich die Arbeitsgruppe für die Integration von Clinician Scientists ein, die auf bestimmte molekulare Techniken und translationale Konzepte spezialisiert sind und ihre Expertise zur Verfügung stellen. Diese Expertise soll auf Wunsch bei der Konzeption, Strukturierung, Umsetzung und Implementierung von translationalen Projekten in AIO-Studien beratend angeboten werden. Hierzu wurden u. a. die innerhalb der AIO vorhandenen Methoden zusammengestellt, um bei der Studienplanung und Durchführung der immer komplexer werdenden Analysen Ansprechpartner für die Planung und Durchführung zu vernetzen.
Laufende Register
Derzeit stehen drei laufende Register im Fokus, wie Quante in seinem State-of-the-art-Vortrag berichtete:
- ColoPredict (Leitung Prof. Anke Reinacher-Schick, Bochum): Retro- und prospektive Erfassung der Rolle von MSI und KRAS für die Prognose beim Kolonkarzinom in den Stadien II/III,
- BarrettNET (Leitung Prof. Michael Quante, Freiburg): Identifizierung und Analyse von Biomarkern für die Entstehung des Adenokarzinoms aus Barrett-Ösophagus mittel PAXgene® Gewebe-fixierung, sowie
- PROMISE (Leitung PD Dr. Johannes Betge und Prof. Matthias Ebert, beide Mannheim): Patient-derived Organoids to model cancer biology and predict treatment response.
ColoPredict Plus 2.0 ist ein deutschlandweites molekulares Register, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Rolle der Mikrosatelliteninstabilität (MSI) und der KRAS-Mutation für die Prognose von Patienten mit Kolonkarzinomen in den Stadien II und III retro- und prospektiv zu erfassen. Bisher wurden in 192 Zentren im gesamten Bundesgebiet bereits über 7.300 Patienten eingeschlossen und über 6.300 Gewebeproben ausgewertet. Damit trägt das Register entscheidend dazu bei, transsektorale präzisionsonkologische Ansätze in die breite Versorgung zu tragen.
Für die Zukunft ist ein weiterer Ausbau der Registerplattform geplant. Dabei sollen zunehmend auch die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) genutzt werden, um beispielsweise den MSI-Status anhand verschiedener Kriterien vorherzusagen – und damit auch Anhaltspunkte für das Therapieansprechen der Patienten zu erhalten.
BarrettNET ist eine prospektive Prävention-Registerstudie, die zum Ziel hat, besser zu verstehen, wie sich die Barrett-Metaplasie zu einem Adenokarzinom des gastroösophagealen Übergangs (AEG-Karzinom) weiterentwickeln kann. Auf der Basis von Biopsien und Organoiden (s. u.), Blutanalysen, der Untersuchung von Blut und Speichel und auf Grundlage von Fragebögen soll evaluiert werden, bei welchem Patienten und bei welchen vorliegenden Risikofaktoren ein Progress zum AEG-Karzinom besonders wahrscheinlich ist. Wie Quante berichtete, sind an der Studie, die „jetzt schon ins zehnte Jahr geht“, rund 900 Patienten aus 25 Zentren beteiligt. Inzwischen wurden bereits über 7.000 Proben ausgewertet.
Das Projekt PROMISE verfolgt laut Quante den Ansatz, auf der Basis von Organoiden – das sind „dreidimensionale Zellkultur-Avatare aus Tumoren“, die aus Biopsien gezüchtet werden – ein Ex-vivo-Wirkstoffscreening zu ermöglichen. Es soll herausgefunden werden, auf welche Substanzen die Tumoren am besten ansprechen. So kann laut Quante etwa entschieden werden, welche Sub-stanz nach Versagen einer Erst- oder auch Zweitlinientherapie besonders erfolgversprechend eingesetzt werden kann.
Dieser hochinteressante Ansatz soll nun in der deutschlandweiten AIO-assoziierten Organoidplattform GOAL (German Organoid Alliance) weiterentwickelt werden. „Hier sollen dann Organoide z. B. für AIO-Studien gezüchtet werden,“ so Quante.
AIO CONNECT – Präzisionsonkologie in die Fläche bringen
Die umfassende molekulare Analyse von Tumorgewebe wird – nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Zahl von z. T. Entitäten-übergreifend zugelassenen, molekular-zielgerichteten Substanzen – immer bedeutsamer. Entsprechend nimmt die Zahl der durchgeführten Testungen und der darauf basierenden Therapieentscheidungen bei den meisten Tumorentitäten rapide zu.
Die Etablierung molekularer Tumorboards ist ein deutliches Zeichen für die Weiterentwicklung der onkologischen Präzisionsmedizin in der klinischen Versorgung. Mit CONNECT wurde aus der Arbeitsgruppe heraus unter der wissenschaftlichen Leitung von Frau Prof. Sonja Loges, Hamburg, und Dr. Benedikt Westphalen, München, ein Projekt zur flächendeckenden Erfassung von Präzisionsonkologie, das die Versorgungsrealität darstellt, ins Leben gerufen werden.
Ziel des Projektes ist es, deutschlandweit abgestimmte Strukturen für molekulare Tumorbords zu schaffen, um Krebspatienten zielgerichtet behandeln zu können.
Wie Loges berichtete, hat sich die AIO in ihrer Rolle als Dachstruktur, die niedergelassene Onkologen, nicht-universitäre Versorger und Universitätsklinika vernetzt, dazu entschlossen, gemeinsam mit dem Bund niedergelassener Hämatologen und Onkologen (BNHO) eine deutschlandweite, strukturierte klinisch-genomische Datenbank aufzubauen. Sie soll es ermöglichen, die Ergebnisse molekularer Testungen und die anschließende Behandlung von Patienten strukturiert zu erfassen.
Laut Loges geht es unter anderem darum, in enger Kooperation mit dem BNHO „den Aufbau eines Realwelt-Registers für Präzisionsonkologie in Deutschland“ voranzutreiben. Dies sei von besonderer Bedeutung, da rund 600.000 Krebspatienten in niedergelas-senen Praxen behandelt würden. Die klinisch-genomische Datenbank AIO/
BNHO-CONNECT sei bewusst offen und inklusiv angelegt, und damit komplementär zu den zentralisierten und großen präzisionsonkologischen Initiativen, die meist die Spitzenzentren einschließen. „So können wir entlang des gesamten onkologischen Spektrums Daten sammeln“, erklärte Loges. Ein Datenaustausch sowie gemeinsame Projekte mit anderen großen deutschen Initiativen in diesem Bereich (z. B. nNGM, ZPM, MII, DKTK-MASTER) sind im Rahmen von CONNECT aber möglich und werden auch angestrebt.
Damit sollen aus der Versorgungs-realität heraus Erkenntnisse im Bereich der Präzisionsonkologie gewonnen, und zukünftige wissenschaftliche Fragestellungen, z. B. im Rahmen von klinischen Studien, entwickelt werden.
Eine andere Säule von CONNECT umfasst laut Loges die Etablierung eines AIO-internen molekularen Tumorboards, das sich zu speziellen Fällen austauschen könnte. Eine Umfrage unter AIO-Mitgliedern soll zudem im Hinblick auf molekulare Tumorboards Aussagen zur Abdeckung in der klinischen Versorgung ermöglichen.
Zukünftige Projekte der Arbeitsgruppe in diesem Gebiet widmen sich u. a. der Schaffung weiterer multidimensionaler Datenbanken. Ein laut Loges vom AIO-Vorstand unterstütztes „Leuchtturmprojekt" sei das AIO Beacon Project, das über 3,5 Jahre die Therapieergebnisse von 3.000 Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen vergleicht, die ein erweitertes molekulares Profiling auf der Basis von Next Generation Sequencing (NGS) durchlaufen haben – 1.000 davon mit einer auf dem Profiling basierenden Therapie und 2.000 ohne einen solchen molekular basierten Ansatz. Ausgenommen sind Patienten mit thorakalen Tumoren, u. a. deshalb, weil bereits etablierte Register für diese Entitäten bestehen.
Ein weiterer Schwerpunkt wird auf Nachwuchsförderung und die Integration von Clinician Scientists in die AIO und in die Arbeitsgruppe im Besonderen gelegt. Hierzu sollen in Zukunft gemeinsame Veranstaltungen mit dem Max-Eder-Nachwuchsgruppenprogramm der Deutschen Krebshilfe und den Mildred-Scheel-Nachwuchszentren erfolgen.
Die Arbeitsgruppe steht zudem beratend zur Verfügung, wenn es darum geht, translationale Begleitprogramme in klinische AIO-Studien zu implementieren. Loges: „Es geht darum, ein translationales Begleitprogramm bei der Protokoll-erstellung gleich mitzudenken."
Claudia Schöllmann