Siglec-2 (CD22)
Ähnlich wie bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) hat sich in den vergangenen Jahren auch bei der akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) durch die Anwendung zytogenetischer und molekulargenetischer Analyseverfahren eine zunehmende Differenzierung ergeben. Allerdings hat das bei der ALL im Gegensatz zur AML bislang noch nicht in nennenswertem Umfang zur Einführung neuer, spezifisch auf einzelne genetische Subgruppen zugeschnittener Therapien geführt. Dafür findet sich auf der Oberfläche der meisten ALL-Zellen (und auch normaler B-Lymphozyten) ein als CD22 oder Siglec-2 bezeichnetes Antigen, das als Angriffspunkt für Immuntherapien dienen kann.Die erste praktisch anwendbare Therapie, die schon seit einigen Jahren verfügbar ist, besteht aus einem Antikörper gegen das CD22-Antigen, an den über einen speziellen chemischen Linker eine hochwirksame zytotoxische Substanz gekoppelt ist. Eine systemische Toxizität wird durch diese sehr stabile Bindung verhindert; aber nach Bindung an CD22 und Internalisierung des Immuntoxins in die ALL-Zellen erfolgt im Zytoplasma eine Lyse des Linkers, worauf das Toxin seine Wirkung entfalten kann. Bei erwachsenen Patienten mit rezidivierter oder refraktärer ALL lassen sich durch diese Therapie im Vergleich zu einer klassischen Chemotherapie Ansprechen, progressionsfreies und Gesamtüberleben signifikant verbessern.Um die Wirksamkeit der gegen CD22 gerichteten Therapien noch zu verbessern, werden derzeit zahlreiche Studien durchgeführt: Einerseits versucht man, das Immun-Konjugat durch Kombination mit anderen (Immun-)Therapien noch schlagkräftiger zu machen, andererseits wurden bereits CAR-T-Zellen entwickelt, bei denen patienteneigene oder allogene T-Lymphozyten auf gentechnischem Weg mit einem chimären Antigen-Rezeptor (CAR) ausgestattet wurden, mit dem sie CD22 erkennen und die betreffenden Zellen eliminieren sollen.
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Der Transmembran-Rezeptor CD22, auch als Siglec-2 bekannt, wird auf B-Lymphozyten während der frühen Phasen ihrer Entstehung in Knochenmark und Milz exprimiert und findet sich auf Zellen, die sich aus verschiedenen lymphoiden Kompartimenten isolieren lassen. Er wird auf der Oberfläche aktivierter B-Zellen hochreguliert und liegt bei Vorläuferzellen (Pro- und Prä-B-Lymphozyten) im Zytoplasma vor [1].
Die Aktivierung von B-Zellen bedarf einer strikten Koordination, an der verschiedene aktivierende und inhibierende Oberflächenrezeptoren beteiligt sind. Die wichtigste, spezifische Reaktion ist die Interaktion des B-Zell-Rezeptors (BCR) mit einem Antigen, aber sie wird durch eine Reihe von Immunglobulin-artigen Molekülen der SIGLEC-Familie von Lektinen (Sicalic acid binding Ig-like lectins) reguliert [2]. Auf B-Zellen findet man zwei SIGLEC-Proteine, Siglec-2 (CD22) und Siglec-G, die beide eine negative Modulation des BCR-Signals bewirken [3, 4]. Wenn CD22 an Liganden, v. a. an sialylierte Glykoproteine mit α2,6-gebundenen Sialinsäureresten (α2,6Sia) bindet, wird über ITIM-Komponenten (Immunoreceptor Tyrosine-based Inhibitory Motif) am intrazellulären Anteil des Rezeptors eine inhibitorische Signalkaskade ausgelöst; an einem der repressiven Effekte ist etwa die Tyrosinphosphatase SHP-1 beteiligt, die eine Inhibition vom BCR induzierter Signale bewirkt ([5]; Abb. 1).