Das Prostatakarzinom ist der häufigste maligne Tumor des Mannes und eine Krebserkrankung mit sehr unterschiedlichen Krankheitsverläufen. Insgesamt haben Betroffene eine vergleichsweise gute Prognose, auch weil die Mehrzahl der Karzinome in einem lokal begrenzten Stadium diagnostiziert und kurativ behandelt werden kann. Außerdem handelt es sich in den meisten Fällen um eine Erkrankung des höheren Alters; die Tumoren wachsen langsam, und viele Patienten sterben eher mit ihren Tumoren als an der Krebserkrankung selbst. Laut dem Zentrum für Krebsregisterdaten lag die relative 10-Jahres-Überlebensrate in Deutschland im Jahr 2018 bei 89 %. Aber wie bei anderen Tumorerkrankungen auch, verschlechtert sich beim Prostatakarzinom die Prognose mit dem Auftreten von Metastasen erheblich.
Im Schwerpunkt Prostatakarzinom in dieser Ausgabe von Trillium Krebsmedizin konzentrieren wir uns deshalb auf fortgeschrittene Krankheitsstadien, wenn die Tumoren entweder nicht mehr auf die Androgendeprivationstherapie (ADT) ansprechen und/oder Metastasen gebildet haben. Mit Axel Merseburger, Viktor Grünwald, Boris Hadaschik sowie Arndt Hartmann konnten wir ausgewiesene Experten für die Thematik gewinnen. Ergänzt werden ihre Schwerpunktbeiträge mit aktuellen Daten zur Therapie des Prostatakarzinoms vom vergangenen Genitourinary Cancers Symposium der ASCO (ASCO GU).
Wird bereits bei der Erstdiagnose der Erkrankung ein metastasiertes Prostatakarzinom festgestellt, sind diese Tumoren in aller Regel hormonsensitiv, sprechen also noch auf den Entzug der Androgen-vermittelten Wachstumssignale durch die ADT an. Ein solches metastasiertes hormonsensitives Prostatakarzinom (mHSPC) kann sich aber auch aus dem lokalen oder lokal fortgeschrittenen Stadium entwickeln. Egal ob de novo oder rezidiviertes mHSPC: Eine Intensivierung der ADT durch die Kombination mit einem „new hormonal agent“ (NHA) oder mit Docetaxel ist heute Standard, wie Axel Merseburger in seinem Beitrag zum mHSPC darlegt. Eine ADT-Monotherapie bleibt nur noch absoluten Ausnahmefällen vorbehalten. Die systemische Kombinationstherapie sollte umgehend begonnen werden, um bei asymptomatischen Patienten die Progression zum symptomatischen Stadium zu verhindern oder bereits bestehende Symptome zu lindern. Für ausgewählte Patienten mit mHSPC kann auch eine Triplett-Therapie infrage kommen. Daten hierzu liefert mittlerweile nicht mehr nur die PEACE-1-Studie, bei der die Kombination von ADT + Docetaxel mit Abirateron ergänzt wurde, sondern auch die aktuell beim ASCO GU 2022 vorgestellte ARASENS-Studie, die die Kombination von ADT + Docetaxel mit Darolutamid ergänzt hat. Beide Studien zeigten eine signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens.
Dass eine Metastasierung mit höherer Sensitivität frühzeitig detektiert wird, ist dem zunehmenden Einsatz moderner bildgebender Verfahren geschuldet, allen voran der PSMA-PET/CT. Dabei werden radioaktiv markierte Inhibitoren des prostataspezifischen Membranantigens (PSMA) zur Bildgebung eingesetzt. Mit der hochauflösenden PSMA-PET/CT können Patienten mit mikro- bzw. oligometastasiertem CRPC identifiziert werden. Wie alle Schwerpunktautoren betonen, sollte die ligandenbasierte Bildgebung idealerweise jedoch bereits beim hormonsensitiven biochemischen Rezidiv, also bei Patienten mit erneutem PSA-Anstieg nach Primärtherapie, zum Einsatz kommen, um zwischen Lokalrezidiv, nodaler und ossärer Metastasierung zu differenzieren.
Insbesondere für Männer mit einem metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom (mCRPC) besteht trotz der Fortschritte der vergangenen Jahre ein großer Bedarf an neuen Therapieoptionen, wie Viktor Grünwald und Boris Hadaschik aufzeigen. Die Therapie mit dem PARP-Inhibitor Olaparib hat die Optionen für diese Patienten bereits erweitert. Während bis vor einigen Jahren für Patienten mit einem mCRPC, deren Erkrankung auch unter Behandlung mit einem NHA progredient war, die Therapieoptionen auf eine Chemotherapie oder den Wechsel auf einen anderen NHA beschränkt waren, steht heute mit Olaparib eine erste molekular gesteuerte, zielgerichtete Therapie zur Verfügung. Der Wirkmechanismus von PARP-Inhibitoren kommt bei Tumoren mit gestörter DNA-Reparatur über die homologe Rekombination (HR) zum Tragen. So ist Olaparib in Deutschland für die Behandlung von NHA-vorbehandelten Patienten mit mCRPC und einer BRCA1/2-Mutation als prädiktiver Marker für eine Defizienz der HR (HRD) zugelassen. Bei etwa 20 % aller Patienten mit mCRPC ist von einer durch eine Genalteration hervorgerufenen HRD auszugehen, bei etwa 11 % liegt die Ursache für die HRD in einer BRCA-Mutation.
Eine andere neue Therapieoption ist die Radioligandentherapie mit dem Alphastrahler Radium-223-dichlorid. Das Radium-Isotop wird hauptsächlich in Bereichen von Knochenmetastasen eingelagert, sodass vor allem die durch Metastasen bedingten Knochenschmerzen deutlich gelindert werden. Durch die Wachstumsverzögerung des Tumors im Skelettsystem ist aber auch eine Verlängerung des Lebens zu erwarten, wie in der Zulassungsstudie von Radium-223 gezeigt werden konnte.
Die Lutetium-177-PSMA-Radioligandentherapie ist derzeit noch nicht zugelassen, kann aber als individueller Heilversuch auf Basis einer interdisziplinären Tumorkonferenz zur Anwendung kommen. Der β-Strahler bindet an PSMA auf der Oberfläche der Prostatakarzinomzellen, wird mit diesem internalisiert und gibt so gezielt hochenergetische Strahlung an die Tumorzellen ab. Therapievoraussetzung ist u. a. eine ausreichende PSMA-Avidität, die aber im Vergleich zu BRCA1/2-Mutationen bei Patienten mit mCRPC häufig vorliegt, wie Viktor Grünwald und Boris Hadaschik darlegen. Eine aktuell beim ASCO-GU vorgestellte Untersuchung zeigte, dass die Radiotoxizität meist nur mild bis moderat ausgeprägt ist.
Die bei vielen Tumorentitäten erfolgreich eingesetzte Immuntherapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren spielt beim Prostatakarzinom im klinischen Alltag derzeit keine Rolle; sie bedarf noch der genauen Definition des geeigneten Patientenkollektivs, wie unsere Schwerpunktautoren betonen.
Arndt Hartmann zeigt in seinem Beitrag zur molekularpathologischen Diagnostik beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom auf, dass die individuelle molekularpathologische Charakterisierung auch beim Prostatakarzinom insgesamt zunehmend an Bedeutung gewinnt. Dabei steht derzeit der Funktionsverlust von zwei essentiellen DNA-Reparaturmechanismen – nämlich die Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen über die HR und die Basen-Mismatch-Reparatur – im Mittelpunkt der Diagnostik. Auch wenn das molekulare Tumorprofiling zur Therapiesteuerung beim Prostatakarzinom noch am Anfang steht, möchte ich in diesem Zusammenhang noch auf unsere Serie „Vom Biomarker zur Therapie“ hinweisen. Christopher Poremba stellt in dieser Ausgabe NGS-basierte Multigen-Panels zum Nachweis onkogener Treibermutationen und weiterer molekularer Biomarker bei verschiedenen Tumorarten vor.
Die meisten Prostatakarzinom-Patienten leben auch mit einer metastasierten Erkrankung viele Jahre und über viele Therapielinien hinweg, sodass der Erhalt ihrer Lebensqualität ganz besonderes Augenmerk erfahren sollte. Aus diesem Grund sollte dieser Schwerpunkt eigentlich mit einem Beitrag zur Perspektive der Patienten, der Rolle von Selbsthilfegruppen, den Möglichkeiten der Supportivtherapie bei Chemotherapie und insbesondere der Osteoprotektion ergänzt werden. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben – wir planen, die Thematik in unserem Heft 6/2022, das sich ganz der Supportivtherapie widmen wird, aufzugreifen.