In den vergangenen Jahren hatte die Corona-Pandemie die Kongresslandschaft fest im Griff. Der Großteil der Kongresse und Jahrestagungen verschiedener Fachgesellschaften fand ausschließlich virtuell statt. Zwar gelang es den Veranstaltenden, auch in der digitalen Welt ein hochkarätiges und abwechslungsreiches Programm mit teilweise praxisverändernden Studiendaten zusammenzustellen, doch wurde der persönliche Austausch schmerzlich vermisst.
Diese Durststrecke ist nun glücklicherweise vorbei. Wer in diesem Jahr an der 58. Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) vom 3. bis 7. Juni und am 27. Jahrestreffen der European Hematology Association (EHA) vom 9. bis 12. Juni 2022 teilnehmen wollte, konnte erstmals wieder seine Koffer packen und nach Chicago, IL, USA, bzw. Wien, Österreich, reisen. Aber er/sie konnte alternativ auch am heimischen Schreibtisch den Vorträgen der Expert:innen lauschen – im Livestream und im Nachgang on demand.
Anders als das ausschließlich virtuelle Format, bei dem vorab eingespielte Videos der Fachleute abgerufen und die Referierenden lediglich für kurze Diskussionsrunden zusammengeschaltet wurden, vermittelt die Teilnahme an der Livestream-Session tatsächlich ein Gefühl des echten Dabeiseins. Wir in der Redaktion von Trillium Krebsmedizin sind davon überzeugt, dass virtuelle Formate bei den großen internationalen Kongressen auch in Zukunft beibehalten werden, während kleinere nationale Kongresse wieder verstärkt auf Präsenz setzen – aus ökologischer Sicht vielleicht gar keine so schlechte Entwicklung.
In dieser Ausgabe von Trillium Krebsmedizin fassen wieder renommierte Expert:innen aus Onkologie und Hämatoonkologie die Highlights der beiden Kongresse ASCO und EHA in kompetenter Weise für Sie zusammen und ordnen die neuen Erkenntnisse hinsichtlich ihrer Relevanz für den klinischen Alltag ein.
Im Beitrag zum Mammakarzinom lenkt PD Dr. Rachel Würstlein, München, den Blick auf spannende Studienergebnisse in der metastasierten Therapiesituation – darunter praxisverändernde Daten mit unmittelbaren Auswirkungen auf den klinischen Alltag. Spätestens seit diesem ASCO dürfte feststehen, dass Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADCs) beim fortgeschrittenen Mammakarzinom eine herausragende Rolle spielen. Weiterhin betritt mit den HER2-low-Tumoren eine neue, zahlenmäßig bedeutsame Subgruppe von Mammakarzinomen die klinische Bühne. Die Trennschärfe zwischen HER2-negativem, HER2-low- und HER2-positivem Brustkrebs wird ab sofort eine neue interdisziplinäre Herausforderung im Grenzbereich von Pathologie und Onkologie sein.
Im Bereich der gynäkologischen Tumoren präsentiert PD Dr. Beyhan Ataseven, Essen, spannende Daten zum Ovarial-, Zervix- und Endometriumkarzinom. Beim Ovarialkarzinom stehen Ergebnisse zur Erhaltungstherapie mit PARP-Inhibitoren, neue Möglichkeiten zu maßgeschneiderten Behandlungskonzepten durch die bessere Identifikation von Risikopatientinnen sowie operative und medikamentöse Ansätze in der Rezidivsituation im Fokus. Beim Endometrium- und Gebärmutterhalskrebs gibt die Autorin ein Update zu immuntherapeutischen Behandlungsoptionen und einen Ausblick auf Therapiestrategien der Zukunft.
Der Beitrag zu den gastrointestinalen Tumoren von Prof. Sebastian Stintzing, Berlin, fokussiert auf aktuelle Studiendaten vom diesjährigen ASCO zum Kolon- und Rektumkarzinom. So wird etwa über interessante neue Erkenntnisse zur Therapiesequenz beim metastasierten Kolonkarzinom, zur Chemotherapieintensität sowie zur Bedeutung der Immuntherapie bei Tumoren mit und ohne Mikrosatelliteninstabilität berichtet. Darüber hinaus weisen erste Daten von Phase-II-Studien darauf hin, dass die Immuntherapie auch im adjuvanten und neoadjuvanten Setting beim nicht metastasierten Kolon- und Rektumkarzinom mit hoher Mikrosatelliteninstabilität große Bedeutung erlangen könnte.
Der Beitrag von Prof. Mark Schrader, Berlin, zu den urologischen Tumoren widmet sich primär aktuellen Studiendaten zum Prostatakarzinom, streift aber auch das Nierenzell- und Urothelkarzinom. Beim Prostatakarzinom standen neue Daten zur Radioligandentherapie und zur PARP-Inhibition bei kastrationsresistenten Androgenrezeptor-Signalweg-Inhibitoren bei hormonsensitiven Tumoren im Mittelpunkt. Beim Nierenzellkarzinom ging es vornehmlich um die adjuvante Therapie sowie um neue Ergebnisse zur Erstlinien-Kombinationstherapie mit Immuncheckpoint- und Tyrosinkinase-Inhibitoren in der metastasierten Situation. Beim Urothelkarzinom standen aktuelle Daten zur Erstlinien-Erhaltungstherapie im Fokus.
Das nicht-kleinzellige (NSCLC) und das kleinzellige Lungenkarzinom (SCLC) waren in diesem Jahr beim ASCO-Kongress gleichermaßen stark vertreten, wobei beim NSCLC eine neue Entwicklung hin zu den frühen Stadien erkennbar war: Nachdem Tyrosinkinase- und Checkpoint-Inhibitoren sich in der metastasierten Situation etabliert haben, gibt es mehr und mehr Studien zur neoadjuvanten Therapie sowie zur Konsolidierung bei inoperablen Tumoren im Stadium III. All diese Themen werden in unserem Beitrag intensiv behandelt.
Im Bereich der Dermatoonkologie stand einmal mehr das maligne Melanom im Mittelpunkt. Es gab beim diesjährigen ASCO vielversprechende Studien-Updates im (neo-)adjuvanten und metastasierten Setting, Erkenntnisse zu Themenfeldern wie Triple-Therapien und Therapiesequenzen bei fortgeschrittenen Tumoren sowie zu neuen Kombinationen für die metastasierte Therapiesituation.
Im Hinblick auf hämatologische Tumoren hat der ASCO als Kongress für aktuelle Studiendaten inzwischen an Bedeutung gewonnen. Noch bis vor wenigen Jahren stand die Hämatologie bei diesem Kongress weit hinter den soliden Tumoren zurück. Doch das hat sich geändert. Einige der diesjährigen Highlights aus der Hämatoonkologie wurden sogar zuerst beim ASCO präsentiert und kamen wenig später beim EHA erneut zur Sprache. Wegen dieser Überlappung von Studienergebnissen haben wir uns entschieden, die bei ASCO und EHA vorgestellten Daten in einem gemeinsamen Beitrag für Sie aufzubereiten.
Sie dürfen in diesem Schwerpunkbeitrag einen Querschnitt durch die verschiedenen Gruppen von hämatologischen Erkrankungen mit dem Fokus auf Lymphomen und Leukämien erwarten, den Prof. Martin Dreyling, München, und unser Redaktionsmitglied Josef Gulden, Grafrath, in gewohnt kompententer Weise für Sie aufbereitet haben.
Ich bin sicher, dass unsere umfassende Berichterstattung von ASCO und EHA auch in diesem Jahr keine Wünsche offenlässt, und hoffe, dass Sie die neuen Erkenntnisse mit in den klinischen Alltag nehmen können.
An dieser Stelle möchte ich Sie auf unsere neue Serie zur Biostatistik hinweisen, die wir auf ausdrücklichen Wunsch unserer Leser:innen ins Leben gerufen haben. Ab sofort bis weit ins Jahr 2023 hinein werden wir uns in dieser Fortbildungsserie onkologisch relevanten Fragen aus der Biostatistik widmen und diese wissenschaftlich korrekt, aber auch in einer für Onkologinnen und Onkologen „verdaulichen“ Form erklären. Es ist uns gelungen, ein kompetentes Autorenduo für die neue Serie zu gewinnen. Alle Beiträge stammen von Prof. Georg Hoffmann (Arzt und Herausgeber von Trillium Krebsmedizin) und Prof. Frank Klawonn (Mathematiker am Helmholtzzentrum [HZI], Braunschweig, und Mitglied des Fachbeirats).
Sie als Leser:innen dürfen erhellende neue Erkenntnisse zu statistischen Fragestellungen erwarten, die dazu auch noch so verständlich geschrieben sind, dass das Lesen eine Freude ist. Die aktuelle Ausgabe widmet sich dem p-Wert und der statistischen Signifikanz. Wir in der Redaktion sind gespannt auf Ihr Feedback zur neuen Serie.
Zuallerletzt noch eine Information in eigener Sache: Auf dringenden Wunsch unserer Fachautor:innen, die derzeit in ihren Kliniken massiv mit Corona- und urlaubsbedingten Ausfällen zu kämpfen haben, haben wir uns entschlossen, für ein wenig Entlastung zu sorgen und die Deadlines für die Manuskripte zu verlängern. Wir werden deshalb die diesjährigen Ausgaben 6 und 7 zusammenfassen und ein umfangreiches „Herbstheft“herausbringen. Inhalte werden dabei nicht verlorengehen.
Claudia Schöllmann