Moderne Krebstherapien sind auf spezifische Veränderungen im Erbgut des Tumors (DNA) und nicht nur auf das vom Tumor betroffene Organ hin ausgerichtet [1]. Jedoch stehen Ärzt:innen trotz aller Fortschritte in der Medizin oft vor Herausforderungen, wenn es darum geht, Entscheidungen über Behandlungspläne zu treffen. Die Präzisionsonkologie zielt darauf ab, dass eine Behandlung speziell auf die Krebserkrankung jedes/r Betroffenen abgestimmt ist und die richtige Therapie zum richtigen Zeitpunkt verabreicht wird. Zudem kann das Therapiemanagement durch Einschätzung der individuellen Prognose und des voraussichtlichen Therapieansprechens sowie durch eine kontinuierliche Überwachung verbessert und optimiert werden.
Die Identifizierung von mit dem Ansprechen auf die Therapie korrelierenden Biomarkern, die selbst therapeutische Ziele darstellen oder eine Prognose ermöglichen, ist in diesem Prozess von grundlegender Bedeutung. Bisher erfolgte die Identifizierung aus Tumorgewebe, jedoch entwickelte sich im letzten Jahrzehnt die Liquid Biopsy (LB, „Flüssigbiopsie“) als komplementäre Methode zur Gewebebiopsie und somit als vielversprechendes Werkzeug für die personalisierte Medizin [2–4]. Dank moderner hochauflösender Methoden ist es mittlerweile möglich, im Blut zirkulierende Komponenten des Tumors zu analysieren und als prädiktive bzw. prognostische Biomarker zu nutzen.
Zirkulierende Tumor-DNA
Insbesondere hat sich gezeigt, dass die Analyse von zirkulierender zellfreier DNA (cfDNA), die von Tumoren stammende DNA-Fragmente (ctDNA, zirkulierende Tumor-DNA) enthält, ein wertvolles Instrument zur Früherkennung und Überwachung von Rezidiven, Resistenz und Metastasierung darstellt [2–4]: Die ctDNA spiegelt die genetische Landschaft des Tumors zum Zeitpunkt der Analyse wider. Durch die kurze Halbwertszeit (ca. 2 Stunden) ist die ctDNA zudem ein perfekter Biomarker für die Überwachung von Änderungen der Tumorlast in Echtzeit – und nicht erst Wochen oder Monate nach dem Eingriff, wie dies bei Protein-Tumor-Markern oder bildgebenden Verfahren der Fall ist.
Tumoren sind hochdynamische Systeme, die sich während des Wachstums und der Ausbreitung ständig weiterentwickeln. Daher können sich Metastasen maßgeblich vom Primärtumor unterscheiden, und sogar innerhalb eines Tumors können unterschiedliche Genveränderungen auftreten [4]. Da die ctDNA genetische Informationen von allen Tumorherden beinhaltet, liefert sie die genaueste Momentaufnahme über den Krebs. Diese kann auch kontinuierlich mittels einer einfachen Blutabnahme wiederholt werden. In vielen Fällen konnten bereits genetische Veränderungen im Blutplasma nachgewiesen werden, die in der Gewebetestung nicht identifiziert wurden.
Klinische Anwendung
Trotz unzähliger vielversprechender Studien sind derzeit noch wenige Anwendungen in der klinischen Routine etabliert. Die erste blutbasierte Anwendung, die bei klinischen Entscheidungen zugelassen wurde, war die Detektion von EGFR-Genmutationen aus Plasma bei Patient:innen mit nichtkleinzelligen Lungenkarzinomen (NSCLC) [5]. Bei ca. 20–25 % der Patient:innen mit fortgeschrittenem NSCLC ist eine Gewebeentnahme nicht möglich; mittels der LB kann man nun auch diese einer genetischen Testung zuführen. Kürzlich wurde die Detektion von PIK3CA-Mutationen bei Hormonrezeptor-positiven fortgeschrittenen Mammakarzinomen als Begleitdiagnostik („companion diagnostics“) zugelassen. Patient:innen, bei denen diese Mutation nachgewiesen wird, können zusätzlich zu einer Hormontherapie mit einem spezifischen Inhibitor behandelt werden, der den durch die Mutation überaktiven Stoffwechselweg blockiert und dadurch ein verbessertes Überleben erzielt. Eine 2020 publizierte Studie mit über tausend Brustkrebspatientinnen, die aufgrund der Ergebnisse eines ctDNA-Tests behandelt wurden, belegte eine ausreichende Genauigkeit für eine weitverbreitete Anwendung in der klinischen Praxis, um Patient:innen mit Brustkrebs zu identifizieren, die für eine zielgerichtete Therapie infrage kommen [6]. Laufende klinische Studien, in denen der klinische Nutzen der LB untersucht wird, werden vermutlich in naher Zukunft das Spektrum klinischer Anwendungen für die LB erweitern.
Analysestrategien
Für den routinemäßigen Einsatz von ctDNA-Analysen sind allerdings gut validierte Workflows nötig – beginnend von der Blutabnahme und dem Transport ins Testlabor über die cfDNA-Extraktion und analytische Verfahren bis hin zur Auswertung und Interpretation der Ergebnisse (Abb. 1).