Die globale Corona-Pandemie hat die internationale Kongresslandschaft der Jahre 2020 und 2021 völlig durcheinandergewirbelt. Kongresse und Fachtagungen wurden abgesagt, verschoben oder fanden ausschließlich virtuell statt.
In der zweiten Hälfte des Jahres 2021, als die internationale Reisetätigkeit wieder ein wenig Fahrt aufnahm, etablierten sich zunehmend hybride Kongressformate, so auch bei der 63. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) in Atlanta, Georgia, und dem San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) in San Antonnio, Texas, die beide im Dezember letzten Jahres in den USA ausgerichtet wurden.
Wenngleich inzwischen umfangreiche Erfahrungen mit digitalen Veranstaltungen bestehen, stellen hybride Formate die Veranstaltenden vor neue organisatorische Herausforderungen. Denn ständig muss man zwischen Vortragenden vor Ort und Expert:innen in deren Heimatländern hin- und herswitchen, bevor dann schließlich alle zur gemeinsamen Diskussion zusammengeschaltet werden. Das ist organisatorisch sicherlich nicht trivial. Auf der anderen Seite bieten hybride Formate völlig neue Möglichkeiten der Teilnahme. Anders als rein virtuelle Veranstaltungen vermitteln sie eine gewisse Kongressatmosphäre, sodass man sich quasi im Kongresssaal wähnt und in Echtzeit den Vorträgen lauscht, auch wenn man sich statt in Atlanta oder San Antonio am heimischen PC befindet.
Traditionell widmet das erste Heft des Jahres von Trillium Krebsmedizin den Dezemberkongressen ASH und SABCS einen eigenen Schwerpunkt – in Kooperation mit namhaften Autoren. Dabei fassen unsere Expertinnen und Experten die neuen Studienergebnisse nicht nur für Sie zusammen, sondern ordnen sie auch hinsichtlich ihrer Relevanz für den klinischen Alltag ein.
Die medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten beim Multiplen Myelom haben sich in der vergangenen Dekade wesentlich weiterentwickelt. Und diese Entwicklung setzt sich rasant fort. Beim ASH-Meeting standen zum einen aktuelle Studiendaten zu innovativen Vierfach-Wirkstoffkombinationen bei Patient:innen mit einem neu diagnostizierten Multiplen Myelom im Mittelpunkt. Hier erregte auch eine deutsche Studie großes Aufsehen, nämlich die Phase-III-Studie HD7 der GMMG-Studiengruppe. Diese konnte erstmals ein tiefes Ansprechen auf eine Vierfachkombination inklusive MRD(messbare Resterkrankung)-Negativität bereits nach der Induktion nachweisen. Zudem gab es im rezidivierten/refraktären Setting vielversprechende Daten zu CAR-T-Zellen und bispezifischen Antikörpern.
Zum Thema Lymphome war beim ASH 2021 die gewohnte Vielfalt geboten, von Hodgkin-Lymphomen über aggressive Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) und indolente Lymphome bis hin zu ZNS-Lymphomen und zur Haarzell-Leukämie. Auffallend war der immer größer werdende Anteil an Vorträgen, die sich Therapien mit genetisch veränderten Zellen widmeten. Speziell CAR-T-Zellen machen von sich reden, insbesondere bei den aggressiven NHL. So wurden etwa allein bei den großzelligen B-Zell-Lymphomen die Daten dreier großer Phase-III-Studien zu diesen Zelltherapien vorgestellt. CAR-T-Zellen werden darüber hinaus zunehmend nicht mehr nur bei stark vorbehandelten Patient:innen, sondern auch in der Erstlinie getestet – mit ermutigenden Raten an kompletten Remissionen in Phase-II-Studien.
Die Therapielandschaft bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) ist seit einigen Jahren massiv in Bewegung geraten. Im Fokus der Substanzentwicklung stehen Subgruppen von AML-Pati-ent:innen mit Treibermutationen, bei denen neue zielgerichtete Wirkstoffe eingesetzt werden. Dazu wurden beim ASH 2021 neue Studiendaten mit teilweise praxisveränderndem Potential vorgestellt, die in den kommenden Jahren eine weitere Optimierung der Therapieergebnisse bei der AML erwarten lassen. Hier sei nur an die positiven Daten der Phase-III-Studie AGILE mit dem IDH1-Inhibitor Ivosidenib in Kombination mit Azacitidin für die IDH1-mutierte AML erinnert. Es steht außer Frage, dass die Studienergebnisse demnächst den Therapiestandard für die betroffene Patient:innen-Subgruppe verändern werden.
Im Hinblick auf myelodysplastische Syndrome (MDS) stand beim ASH-Meeting ein neues Klassifikationssystem, das erstmals molekulare Veränderungen in die Prognoseabschätzung einbezieht, im Mittelpunkt des Interesses. Zudem gab es therapeutische Fortschritte beim Niedrig-risiko- und Hochrisiko-MDS, die auch Patient:innen mit therapeutisch adressierbaren Mutationen – auch hier ging es um IDH-Mutationen – betrafen.
Bei der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) – der Erkrankung, die in den vergangenen Jahren in puncto Entwicklung neuer Therapieoptionen die größte Dynamik unter allen hämatologischen Malignomen zeigte – ging es dieses Mal vor allem um die bedeutende Rolle der MRD bei der Therapiesteuerung. Daneben stand die Weiterentwicklung moderner, Chemotherapie-freier und zeitlich limitierter Behandlungsprotokolle auf dem Programm.
Die Behandlung von Patient:innen mit Philadelphia-Chromosom-positiver chronischer myeloischer Leukämie (CML) in der chronischen Phase ist durch Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) der ersten und zweiten Generation revolutioniert worden. Nun betritt mit den STAMP-Inhibitoren eine neue Wirkstoffklasse die therapeutische Bühne. Wie beim ASH-Meeting zu hören war, bewährt sich Asciminib als bisher einziger Vertreter dieser Substanzgruppe auch im längeren Zeitverlauf, zunächst noch im rezidivierten Setting. Doch es ist bereits heute abzusehen, dass das Potential von STAMP-Inhibitoren mit dem Einsatz in späten Linien nicht ausgeschöpft ist. Es laufen bereits Studien, die die Wirksamkeit und Sicherheit von Asciminib im Erstlinieneinsatz evaluieren.
Bei den myeloproliferativen Neoplasien (MPN) wie Polycythaemia vera (PV) und Myelofibrose (MF) wird sich die Therapielandschaft in den kommenden Jahren vermutlich erweitern, über die bewährten JAK-Inhibitoren hinaus. Das zumindest legen aktuelle ASH-Daten nahe, denen zufolge auch Vertreter anderer Wirkstoffklassen ermutigende Wirksamkeit zeigen. Zudem werden die pathogenetischen Hintergründe dieser Erkrankungen immer besser verstanden.
Auf dem San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) rückte die personalisierte Behandlung des Mammakarzinoms in den Vordergrund. Eine Vielzahl von Untersuchungen und klinischen Studien befasst sich mittlerweile damit, die Heterogenität von Brustkrebs-Tumoren auf molekularer Ebene besser zu verstehen und – so die Hoffnung – therapeutisch nutzbar zu machen. Ziel dieser Bestrebungen ist es, die Brustkrebs-Behandlung immer individueller auf die Patientinnen abzustimmen und damit auch deren Prognose weiter zu verbessern.
Die derzeitige klinische Datenlage zum frühen und metastasierten Mammakarzinom wurde beim SABCS weitgehend bestätigt. Nachdem die Ergebnisse zahlreicher klinischer Studien bereits beim ESMO-Jahreskongress 2021 präsentiert worden waren, gab es in San Antonio ergänzende Auswertungen. Es wurden aber auch Daten zu neuen Wirksubstanzen präsentiert, die sich in klinischer Prüfung befinden; ebenso eine Phase III-Studie zum adjuvanten Einsatz von Metformin beim frühen Brustkrebs.
Was aber bedeuten die neuen Studienergebnisse vom SABCS für die Versorgungsroutine? Im Interview mit Trillium Krebsmedizin ordnet der national und international angesehene Brustkrebsexperte Prof. Andreas Schneeweiss aus Heidelberg die aktuellen Studiendaten für Sie ein und erläuterte deren Bedeutung für den klinischen Alltag.
Abschließend möchte ich noch einmal auf unsere erfolgreiche Serie „Vom Biomarker zur Therapie" hinweisen, die auch im Jahr 2022 weitergeführt wird. Lesen Sie in dieser Ausgabe von Trillium Krebsmedizin den inzwischen 17. Beitrag der Serie zum Thema RET. Mit Prof. Hans-Georg Kopp und Dr. Franziska Herster von den Abteilungen Molekulare Onkologie und Pneumologische Onkologie sowie dem Robert Bosch Centrum für Tumorerkrankungen (RBCT) in Stuttgart konnten wir wieder ein hochkarätiges Autor:innen-Team für diesen Beitrag gewinnen.