Die histo- und molekularpathologische Gewebeuntersuchung stellt bisher die Basis für die Therapie solider Tumoren dar – liefert sie doch relevante Informationen zu Tumorgröße, Stadium und Grading. „Nach wie vor ist die molekulare Gewebediagnostik der Goldstandard vor der Therapie, sie ist für Prognose und Prädiktion wichtig“, konstatierte Prof. Stefan Holdenrieder, München. Die Gewinnung der Gewebeprobe kann allerdings schwierig oder unmöglich und für den Patienten belastend sein. So kann heute die Liquid Biopsy die molekularpathologische Gewebeuntersuchung ergänzen – sowohl vor der Wahl der Erstlinientherapie als auch in der Resistenzsituation.
Seit 1948 ist bekannt, dass sich im Blut freie Nukleinsäuren finden lassen [1]. Dass ein Teil der zellfreien DNA (cell-free DNA, cfDNA) von malignen Tumoren stammt, wurde 1989 zum ersten Mal beschrieben [2]. In der Folge wurde diese zirkulierende Tumor-DNA (circulating tumor DNA, ctDNA) auch in anderen Körperflüssigkeiten wie Urin, Sputum, Liquor sowie im Stuhl nachgewiesen. So versteht man heute unter „Liquid Biopsy“ Tests, mit denen eine Körperflüssigkeit entweder auf ganze Tumorzellen (circulating tumor cells, CTCs) oder auf vom Tumor stammende DNA oder RNA untersucht wird [3]. „Bei einer normalen Biopsie erlangt man viel mehr Informationen über den Tumor selbst und das umgebende Gewebe, bei der Liquid
Biopsy erfolgt „nur“ die Charakterisierung anhand der genetischen Information“, so Holdenrieder. Bei alleiniger Liquid Biopsy fehlen also die durch die Gewebeprobe gewonnenen Informationen zu Tumorgröße und -rändern, Morphologie, einem etwaigen Lymphknotenbefall, Grading, Histologie und Tumorumgebung. Allerdings birgt die Liquid Biopsy die Möglichkeit des Liquid Profiling, so Holdenrieder; sie erlaubt eine molekulare Charakterisierung und Aussagen zur Prognose, wofür die BRCA1/2-Keimbahnmutation beim Mammakarzinom ein prominentes Beispiel darstellt.
Mit der genetischen Diagnostik ist es außerdem möglich, die klonale Entwicklung eines Tumors über einen ganzen Zeitraum zu verfolgen. Die Herausforderung dabei bleibe, wie schon bei der morphologischen Charakterisierung des Tumors, die Tumorheterogenität, räumlich wie auch zeitlich, so Holdenrieder.
ALK, BRAF, EGFR, HER2, MET, MEK, NTRK, PIK3CA, ROS1 – immer mehr onkologische Treibermutationen werden identifiziert, die zu Veränderungen der intrazellulären Signalwege führen. Sie können als potentielle Angriffspunkte für zielgerichtete Medikamente fungieren und werden als Biomarker
herangezogen. Im Rahmen der sequentiellen zielgerichteten Therapien bei vielen Tumorarten ebenso wichtig sind Resistenzmutationen. Alle diese Biomarker liefern Hinweise zu Krankheitsverlauf und Prognose, beeinflussen die Therapiewahl und teilweise auch Therapiesequenzen. Damit nehmen naturgemäß auch die Anforderungen an die Pathologie zu. „Wir leben inmitten eines Paradigmenwechsels in der Onkologie“, konstatierte Prof. Christopher Poremba, München, der die Bedeutung der Molekularpathologie für Staging und Therapie in der Onkologie zusammenfasste. Parallel zur stetig steigenden Anzahl zielgerichteter Medikamente würden auch die Anforderungsbögen in der Molekularpathologie ständig umfangreicher. Der Nachweis von Treiber- oder Resistenzmutationen erfolge in der Regel noch an Tumorgewebeproben, aber es gebe auch Indikationen für den Mutationsnachweis aus Blutproben, so Poremba.
Diagnostische Herausforderungen
Mehr Liquid Biopsy könnte also bedeuten: mehr zielgerichtete Therapien für mehr onkologische Patienten. Bevor man allerdings in der breiten Masse einen klinischen Nutzen aus der ständig wachsenden Zahl molekularer Tumormarker ziehen kann, führt ihr Nachweis aus Flüssigbiopsien zunächst zu einer Reihe von diagnostischen Herausforderungen, mit denen sich Dr. Verena Haselmann, Mannheim, beschäftigte.
Zur cfDNA gehören sowohl Exosomen, die hochmolekulare genomische DNA (gDNA) enthalten, als auch freie, d. h. nackte DNA-Fragmente und Nukleosomen. Sie werden überwiegend durch Apoptose, aber auch Nekrose und aktive Sekretion freigesetzt. Die zirkulierende Tumor-DNA stammt überwiegend aus apoptotisch oder nekrotisch zugrunde gegangenen Tumorzellen, die Menge der ctDNA schwankt nach Tumorentität, Größe, Lokalisation und Krankheitssituation. Aber auch normale Körperzellen setzen Nukleinsäuren frei, wie z. B. die Leukozyten bei körperlicher Aktivität, sodass der ctDNA-Anteil an der gesamten cfDNA in der Regel sehr gering ist. Zum Teil liege er bei weniger als 0,02 %, so Haselmann; umso größer sei die Bedeutung der Präanalytik, will man Informationen aus Liquid Biopsies nutzen. Nur durch genaue Einhaltung der Vorgaben zur Probenbehandlung, der Blutabnahme und des Transports der Proben lasse sich eine weitere Beeinträchtigung der Probenqualität vermeiden, beispielsweise durch Kontaminationen durch die Leukozytenlyse.
Auf der anderen Seite werden vor diesem Hintergrund auch die hohen Anforderungen an die analytische Sensitivität der verwendeten Nachweisverfahren verständlich. Obwohl das kolorektale Karzinom zu den Tumoren gehört, bei dem sich – wie auch beim Mamma- und Ovarialkarzinom oder beim malignen Melanom – relativ häufig ctDNA nachweisen lässt [4], lag in einer Untersuchung bei 50 % der Patienten mit einem meta-stasierten kolorektalen Karzinom (mCRC) bei ihrer Erstlinientherapie eine ctDNA-Fraktion von < 1 % vor, berichtete Haselmann.
Hochsensitive Nachweismethoden
Die ctDNA unter der gesamten cfDNA lässt sich durch die Analyse Tumor-assoziierter genetischer oder epigenetischer Veränderungen, also tumorspezifischer Sequenzvarianten, nachweisen. Da die ctDNA oft nur in extrem niedrigen Konzentrationen oder stark fragmentiert vorliegt, reicht „die quantitative Real-time PCR oder normales Next Generation Sequencing (NGS) mit einer Sensitivität von etwa 1 % nicht aus“, so Haselmann. Geeignete Methoden seien digitale Methoden wie die digital droplet PCR (ddPCR) und das BEAMing, mit denen sich einzelne Sequenzvariationen untersuchen lassen, außerdem die NGS-basierte Analytik in Kombination mit Unique Molecular Identifiern (UMI, in Abb. 2 auch als UID bezeichnet).