Immuntherapeutische Behandlungsstrategien stehen seit einigen Jahren im Fokus der Wissenschaft und beherrschen die internationalen Fachkongresse. Wenn man es genau nimmt, werden Immuntherapien aber schon seit Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt. Man denke hier nur an die allogene Stammzelltransplantation als potentiell kuratives Verfahren für Patienten mit hämatologischen Malignomen. Oder man denke an monoklonale Antikörper, wie den CD20-Antikörper Rituximab in der Hämatologie oder den HER2-Antikörper Trastuzumab beim HER2-positiven Mammakarzinom, die wesentlich dazu beigetragen haben, die Prognose betroffener Patienten nachhaltig zu verbessern.
Aber dennoch, es stimmt: Immunologische Behandlungsoptionen sind seit einigen Jahren enorm im Aufwind – insbesondere deshalb, weil ihre Vielfalt in jüngster Zeit tatsächlich noch einmal rapide zugenommen hat. Das betrifft immer wirksamere monoklonale Antikörper wie beispielsweise Obinutuzumab, aber auch Antikörper-Toxin-Konjugate wie etwa Polatuzumab Vedotin. Ganz besonders aber betrifft es moderne, völlig neue Ansätze wie die Behandlung mit Immuncheckpoint-Inhibitoren sowie CAR-T-Zellen und bispezifische Antikörper. Diesen modernen und aufstrebenden Immuntherapien ist der aktuelle Schwerpunkt in der vorliegenden Ausgabe von Trillium Krebsmedizin gewidmet.
Der erste Beitrag befasst sich mit CAR-T-Zellen, die eine neuartige Therapiealternative in der Behandlung von Lymphom- und Leukämiepatienten darstellen. Es handelt sich dabei um körpereigene T-Lymphozyten des Patienten, die ex vivo durch gentechnische Modifikationen mithilfe retro- oder lentiviraler Vektoren mit dem Gen für einen chimären Antigenrezeptor (CAR: chimeric antigen receptor) versehen werden, den sie daraufhin auf ihrer Oberfläche exprimieren. Die Zellen, die anschließend den Patienten reinfundiert werden, sind nun in der Lage, gezielt Zellen eines Tumors anzugreifen, die ein bestimmtes Oberflächenantigen exprimieren. Da sich die Zellen im Organismus vermehren, reicht im Idealfall eine einzige Applikation, um ein nachhaltiges und anhaltendes Ansprechen zu erreichen – und das bei intensiv vorbehandelten Patienten, für die ansonsten keine Therapieoptionen mehr zur Verfügung stehen. Bisher zugelassen und für die klinische Anwendung verfügbar sind zwei Präparate, die maligne B-Zellen von Non-Hodgkin-Lymphomen und der akuten lymphatischen Leukämie erkennen und eliminieren sollen. Der Beitrag fasst die aktuelle Studienlage zusammen, berichtet über klinische Erfahrungen mit CAR-T-Zellen, die eine hohe Kompetenz und Expertise der Behandler erfordert, und wagt auch einen Blick in die Zukunft.
Bevor CAR-T-Zellen hergestellt werden können, muss zunächst einmal eine ausreichende Menge an patienteneigenen T-Lymphozyten gewonnen werden. Dies geschieht mittels einer unstimulierten Leukapherese – ein Vorgang, bei dem standardisierte Abläufe sowie eine adäquate Vorbereitung entscheidend sind. Welche Herausforderungen dabei in einem meist vorerkrankten und stark vorbehandelten Patientenkollektiv zu meistern sind und wie eine Check-up-Liste bei der Vorbereitung der Zellsammlung helfen kann, das ist das Thema des zweiten Schwerpunktbeitrags.
Ein weiterer interessanter immun-therapeutischer Ansatz besteht im Einsatz von bispezifischen Antikörpern, die ebenso wie CAR-T-Zellen eine T-Zell-gesteuerte, antigenspezifische Immun- antwort auslösen. Auch diese Strategie entwickelt sich rasant weiter. Anders als CAR-T-Zellen binden bispezifische Antikörper nach Infusion direkt an die vorhandenen T-Zellen und Tumorzellen und lösen ohne zusätzliche kostimulatorische Moleküle durch die räumliche Nähe eine Immunreaktion aus. Dadurch kommt es auch zur Aktivierung und Expansion weiterer T-Zellen. Die zeitaufwendige Leukapherese und genetische Modifikation von T-Zellen, wie sie bei CAR-T-Zellen obligat ist, entfällt, und die Antikörper können dem Patienten ohne besondere Vorbereitung verabreicht werden.
Wie sich bispezifische Antikörper gegenüber CAR-T-Zellen positionieren, wie die aktuelle Studienlage ist und was in den nächsten Jahren erwartet werden darf – damit setzt sich der dritte Schwerpunktbeitrag auseinander.
Schließlich widmet sich der letzte Beitrag des Schwerpunkts "Immuntherapie" dem allgegenwärtigen Thema der Immuncheckpoint-Inhibition, die – mit Ausnahme des Hodgkin-Lymphoms – in der Hämatologie bisher eine eher untergeordnete Rolle spielt, dafür aber eine bedeutendere im Bereich der soliden Tumoren. Immuntherapien mit Checkpoint-Inhibitoren, die den CTLA-4- oder – noch bedeutsamer – den PD-1/PD-L1-Signalweg adressieren, haben sich neben Chirurgie, Chemotherapie und Radiatio längst als vierte Säule onkologischer Behandlungsstrategien etabliert. Nachdem sie zunächst die Behandlung des fortgeschrittenen oder metastasierten malignen Melanoms und des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms revolutioniert haben und einem Teil der Patienten in einer ursprünglich palliativen Situation die Chance auf ein Langzeitüberleben eröffneten, fanden und finden sie derzeit Eingang in immer neue Tumorentitäten und Therapielinien.
Charakteristisch für eine Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren ist ein Langzeitüberleben von Patienten, die auf die Behandlung ansprechen – was sich in einer Plateaubildung der Überlebenskurven widerspiegelt. Es gibt aktuell Bestrebungen, durch die Kombination von Checkpoint-Inhibitoren mit Zytostatika, Tyrosinkinase-Inhibitoren, antiangiogenen Medikamenten oder durch die Kombination verschiedener Checkpoint-Inhibitoren untereinander noch mehr Patienten die Chance auf ein Langzeitüberleben zu ermöglichen.
Der Schwerpunktbeitrag in diesem Heft widmet sich allerdings nicht den "Immunonkologie-Klassikern" wie dem malignen Melanom oder dem Lungenkarzinom, sondern fokussiert ganz bewusst auf Plattenepithelkarzinom-Typen, in denen Checkpoint-Inhibitoren erst seit vergleichsweise kurzer Zeit erfolgreich eingesetzt (HNO-Tumoren) oder – auf der Basis erfolgversprechender früher Studiendaten – derzeit klinisch geprüft werden (Zervix- und Analkarzinom). Die Immuntherapie in Form von Checkpoint-Inhibition ist unter den vorgestellten Plattenepithelkarzinom-typen bisher nur im Bereich der HNO-Karzinome zugelassen, ausreichend belegt und etabliert, beim Zervix- und Analkarzinom laufen klinische Studien.
Der Beitrag gibt einen Überblick über die Studienlage bei den genannten Entitäten, beleuchtet den Stellenwert der HPV-Positivität und unterstreicht, wie wichtig zukünftig die Etablierung relevanter prädiktiver Biomarker ist. Nach Ansicht der Autoren ist die Auswahl des von einer Immuntherapie profitierenden Patientenkollektivs durch zuverlässige Biomarker unabdingbar – sowohl im Hinblick auf die Nutzen-Risiko-Abwägung der Behandlung vor dem Hintergrund potentieller immunogener Nebenwirkungen als auch aus dem Blickwinkel der Versorgungsforschung. Weiterhin wird es, auch darauf weisen die Autoren hin, in Zukunft entscheidend darauf ankommen, immunvermittelte Wirkungen noch besser zu verstehen und Strategien für Patienten zu entwickeln, die restistent gegenüber einer Immuntherapie sind oder werden.
Liebe Leserinnen und Leser, ich bin überzeugt, dass der Schwerpunkt "Immuntherapie" in diesem Heft Ihnen einen interessanten und topaktuellen Überblick über moderne immunologische Behandlungsansätze in Hämatologie und Onkologie liefern wird. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie die Anregungen aus diesem Heft für Ihre tägliche Arbeit am Patienten nutzen könnten.