Der humane epidermale Wachstumsfaktor-Rezeptor 2 (HER2)
Auch im zweiten Teil der neuen Biomarker-Serie in Trillium Krebsmedizin widmen wir uns einer für die klinische Onkologie wichtigen molekularen Alteration und ihrer Bedeutung für die Präzisionsonkologie – in diesem Fall der Amplifikation des Gens für den humanen epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor 2 (HER2), die eng mit einer Überexpression des entsprechenden Rezeptors auf Protein-ebene assoziiert ist. Dass die Überexpression des HER2-Rezeptors mit einem aggressiven Phänotyp maligner Tumoren, speziell des Mammakarzinoms, einhergeht und zudem eine Rolle bei der Pathogenese dieser Tumoren spielt, ist schon seit Ende der 1980er-Jahre bekannt. Auf der anderen Seite ist es gerade der Unterschied der HER2-Expression zwischen Normalgewebe und malignem Gewebe, der diese Alteration zu einem idealen prädiktiven Marker für eine molekular getriebene personalisierte Therapie hat werden lassen. Inzwischen hat sich die HER2-gerichtete Diagnostik und -Therapie enorm weiterentwickelt. Durch die ständige Erweiterung von Indikationen und Therapielinien und die Entwicklung immer effektiverer Diagnose- und Therapiekonzepte bestehen heute für Frauen mit HER2-positiven Mammakarzinomen gute Behandlungschancen. Auch bei anderen Tumoren mit HER2-Überexpression wie etwa dem Magenkarzinom gewinnt der Biomarker an Bedeutung, erreicht aber bislang nicht die überragende Rolle, die er beim Mammakarzinom spielt. Freuen Sie sich nun auf den Beitrag zu HER2, der den Bogen spannt von der Biologie und Genetik über innovative Diagnoseverfahren bis hin zu modernen Behandlungskonzepten der Präzisionsonkologie.
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Der monoklonale Anti-HER2-Antikörper Trastuzumab war weltweit der erste zielgerichtete Wirkstoff, der für die Behandlung eines soliden Tumors – damals des metastasierten Mammakarzinoms – zugelassen wurde. Abgesehen von der antihormonellen Therapie bei Hormonrezeptor-positiven Tumoren kann die Anti-HER2-Therapie damit als Prototyp der personalisierten, an molekularen Eigenschaften orientierten Therapie bei soliden Tumoren betrachtet werden.
Nachdem 1985 die Amplifikation des humanen epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors 2 (HER2, HER2/neu, c-erbB2) in Mammakarzinom-Zelllinien entdeckt wurde [1], wurde 1987 die prognostische Bedeutung dieser Amplifikation verstanden: Slamon et al. wiesen erstmals darauf hin, dass eine Amplifikation des ErbB2-Gens möglicherweise eine Rolle bei der Pathogenese von Mammakarzinomen spielt und zudem zu einem aggressiven biologischen Tumorverhalten und ungünstiger Prognose führt [2].
Eine Überexpression des Rezeptors oder eine Amplifikation des HER2-Gens liegt nur bei malignen Tumoren vor, es gibt kaum Normalgewebe mit nennenswertem Gehalt an HER2. Dieser Unterschied bezüglich der HER2-Expression zwischen Normal- und Tumorgewebe macht HER2 zu einem idealen Target für eine zielgerichtete Therapie [3].
Die Wirksamkeit zielgerichteter Substanzen hängt maßgeblich vom Vorhandensein der jeweiligen spezifischen Zielstruktur in der Tumorzelle ab; umso wichtiger ist der exakte Nachweis durch entsprechende Testverfahren. Zur Detektion von HER2-Rezeptoren auf Tumorzellen als wesentliche Zielstruktur für Anti-HER2-Therapeutika kommt heute in der Routinediagnostik die Immun-histochemie (IHC) zum Einsatz, ergänzt durch In-situ-Hybridisierung (ISH) zum Nachweis der Amplifikation des HER2-Gens. Während die Testung des HER2-Status beim Mammakarzinom Bestandteil der pathologischen Routinediagnostik bereits bei Erstdiagnose ist, ist das bei Magenkarzinomen noch nicht der Fall.
Biologie und Genetik
HER2 ist eine transmembranäre Rezeptor-Tyrosinkinase (RTK), die anders als die weiteren Mitglieder der ErbB-Familie keinen spezifischen Liganden bindet. Zu den Mitgliedern der Familie von RTKs gehören neben HER2 der epidermale Wachstumsfaktor-Rezeptor (EGFR bzw. HER1), HER3 und HER4. Die Struktur dieser vier RTKs ist ähnlich: Sie besteht aus einer extrazellulären (Liganden-bindenden) Domäne von 105 kD, einer kurzen Transmembran-Domäne und einer intrazellulären Domäne von ca.
80 kD mit katalytischer Tyrosinkinase-Aktivität [4]. HER3 besitzt keine intrazelluläre Tyrosinkinase (TK) [5] und HER2 keinen spezifischen Liganden [6].
Während bei HER1, HER3 und HER4 die Dimerbildung bei den RTK Liganden-vermittelt geschieht, kann HER2 ab einer gewissen Moleküldichte spontan dimerisieren. Möglich ist die Bildung von Heterodimeren mit anderen Mitgliedern der ErbB-Familie und von Homodimeren [3]. HER2 hat die stärkste katalytische Kinaseaktivität, und HER2-enthaltende Heterodimere weisen die stärkste Signalaktivität [auf 7–9]. HER2 ist der bevorzugte Dimerisierungspartner für die anderen ErbB-Familienmitglieder [10]. Die Dimerisierung ist der entscheidende Schritt zur Induktion intrazellulärer Signalübertragungswege: Durch Dimerisierung zweier RTKs kommt es zur Autophosphorylierung der intrazellulären Tyrosinkinase (TK), was spezifische intrazelluläre Signalübertragungswege induziert. Dies führt letztlich zu gesteigerter Proliferations-, Invasions- und Überlebensfähigkeit der Zelle, aber auch zu verbesserter Zelldifferenzierung [3] (Abb. 1).