Warum ist Gewichtsverlust bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen so schädlich?
Zopf: Ungewollter Gewichtsverlust betrifft nicht nur Patienten in fortgeschrittenen Tumorstadien, wenngleich er dort am offensichtlichsten ist, sondern tritt häufig auch schon im früheren Verlauf einer malignen Erkrankung auf. Heute wissen wir, dass es weniger der Gewichtsverlust als solcher, sondern vielmehr der Abbau von Muskelmasse und der Verlust an Muskelkraft (Sarkopenie) ist, die die Patienten schwächen, ihre Lebensqualität vermindern und die Neigung verstärken, unter einer Tumorbehandlung Nebenwirkungen zu entwickeln. All dies geht mit einer sich deutlich verschlechternden Prognose für die Patienten einher.
Was sind die wesentlichen Gründe für den Muskelabbau?
Zopf: Die Gründe sind vielfältig. Zum einen nehmen Tumorpatienten oft deutlich weniger Nahrung zu sich, als sie eigentlich bräuchten. Dadurch entstehen Nährstoffverluste, die den Protein- und Muskelabbau beschleunigen. Hinzu kommt, dass die Krebserkrankung selbst, aber auch die Tumortherapie die Nahrungsverwertung der Patienten in Mitleidenschaft ziehen und den Appetit vermindern können. Auch Nebenwirkungen der Tumortherapie, wie Übelkeit, Erbrechen oder Durchfälle, begünstigen einen teils massiven Gewichtsverlust. Erschwerend kommt hinzu, dass Krebspatienten häufig körperlich inaktiv sind, was den Abbau von Muskelmasse weiter unterstützt. Entscheidend für den ungewollten Verlust von Muskelmasse ist aber, dass die Patienten im Laufe ihrer Erkrankung von einer systemischen Entzündung betroffen sind, die durch die Auseinandersetzung des Organismus mit dem Tumorgewebe ausgelöst wird. Diese geht mit einer katabolen Stoffwechsellage einher, die den Abbau von Muskelmasse fördert und ihren Neuaufbau verlangsamt (Tumorkachexie). Aus der Tumorentzündung resultiert natürlich auch ein starkes Unwohlsein der Patienten, das weiter schwächt und den Gewichtsverlust zusätzlich befördert. Ein Teufelskreis!
Betrifft Sarkopenie auch übergewichtige und adipöse Patienten?
Zopf: Absolut, darauf kann man gar nicht oft genug hinweisen. Stark Übergewichtige sind sogar besonders gefährdet, weil sie in der Regel schon vor ihrer Krebserkrankung, bedingt durch Bewegungsmangel, eine schlecht ausgebildete Muskulatur haben. Die Krebserkrankung und die Tumortherapie beeinträchtigen den Muskelstatus zusätzlich. Zudem täuscht das wohlgenährte Aussehen von Übergewichtigen leicht über die schwach ausgeprägte Muskulatur hinweg, sodass ein Verlust an Muskelmasse nicht auffällt. Schnell entsteht die Meinung, dass ein paar Kilo Gewichtsabnahme nicht schaden können. Das Fatale daran: Der Gewichtsverlust geschieht meist zu Lasten der dringend benötigten Muskelmasse und nicht zu Lasten des Fettabbaus. Der Effekt ist, dass eine sarkopene Adipositas bei Krebspatienten häufig erst spät erkannt wird, und die Patienten erst dann einer ernährungs- und sporttherapeutischen Intervention zugeführt werden, wenn bereits massiv Muskelmasse verlorengegangen ist.