Sowohl dem myelodysplastischen Syndrom (MDS) als auch der β-Thalassämie liegt eine Störung von Bildung und Ausreifung der Erythrozyten zugrunde. Mit dem Fusionsprotein Luspatercept, das als Liganden-Falle für Zytokine der TGFβ-Familie fungiert, könnten beide Erkrankungen künftig kausal behandelt werden.
Zwischen 80% und 90% aller Patienten mit Niedrigrisiko-MDS (LR-MDS) haben eine Anämie, bedingt durch ineffiziente Erythropoese mit hyperzellulärem Knochenmark und peripherer Zytopenie, erklärte der Hämatologe Professor Dr. Uwe Platzbecker, Universitätsklinikum Leipzig. Über einen bislang noch nicht vollständig verstandenen Mechanismus reifen die erythroiden Vorläuferzellen dabei nicht aus und machen wegen der Anämie regelmäßige Transfusionen sowie Eisenchelat-Therapien notwendig. Zusätzlich steht für die Mehrzahl der Patienten – sofern sie nämlich keine Deletion 5q (del(5q)) aufweisen – die Behandlung mit Erythropoetin α (Epo) zur Verfügung. Diese wirkt aber nur bei 30–40% und im Median nur über einen Zeitraum von 18 Monaten, was zu einer hohen Rate sekundärer Therapieversager führt. Für einen Teil dieser refraktären oder nicht auf Epo ansprechenden Patienten könnte eine Behandlung mit dem noch nicht zugelassenen Prüfpräparat Luspatercept Erfolg versprechen.
Luspatercept bei Niedrigrisiko-MDS wirksam
Dieses subkutan applizierte, rekombinante Fusionsprotein ist der erste Vertreter der Erythrozyten-Reife-Aktivatoren und fungiert als Liganden-Falle für mehrere aberrant exprimierte Zytokine der TGFβ-Familie, nämlich GDF-8, GDF-11 und Activin A. Diese Zytokine hemmen über den SMAD2/3-Signalweg die späte Erythropoese und damit die Ausreifung der roten Blutkörperchen, so Platzbecker. Besonders geeignet für Luspatercept sind nach Daten einer Phase-I/II-Pilotstudie [1] Patienten mit LR-MDS und Ring-Sideroblasten (RS+) und der damit korrelierten SF3B1-Mutation. Hier führte die Gabe von Luspatercept bei 40 von 60 Patienten (und bei 10 von 31 Patienten ohne Ring-Sideroblasten) zur Transfusionsunabhängigkeit und zum Teil zu einem Hämoglobin-Anstieg.
In der 2 : 1 randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studie MEDALIST [2] wurde Luspatercept (1 mg/kg s. c. alle drei Wochen) über 24 Wochen bei MDS mit sehr niedrigem, niedrigem und intermediärem Risiko getestet. Die transfusionsbedürftigen Patienten hatten Ring-Sideroblasten und waren entweder auf eine vorangegangene Epo-Behandlung refraktär oder intolerant bzw. hatten bereits unbehandelt hohe Epo-Spiegel (über 200 U/l). Der primäre Endpunkt – Transfusionsunabhängigkeit über mehr als acht Wochen während der Wochen 1 bis 24 – wurde unter Luspatercept von 37,9% (n = 58) und unter Placebo von 13,2% (n = 10) der Patienten erreicht (p < 0,0001). Diese Patienten der Placebogruppe hatten überwiegend eine geringere Transfusionshäufigkeit.
Der wichtigste sekundäre Endpunkt – Transfusionsunabhängigkeit über mehr als zwölf Wochen – wurde in Woche 1–24 von 28,1% (n = 43) bzw. 7,9% (n = 6) Patienten erreicht (p = 0,0002), in Woche 1–48 von 33,3% (n = 51) vs. 11,8% (n = 9; p = 0,0003). Die Zeit bis zur ersten erforderlichen Transfusion betrug unter Luspatercept 30,6 Wochen und unter Placebo 13,6 Wochen.
Dass „der Benefit für die Patienten noch größer ist als angenommen“, so Platzbecker, zeige das Resultat bezüglich des zweiten sekundären Endpunkts – einer Transfusionsunabhängigkeit mit oder ohne Hb-Anstieg bzw. einer Reduktion der Transfusionslast um mindestens vier Einheiten in acht Wochen (bei zuvor 8–10 Erythrozytenkonzentraten in acht Wochen): Der Anteil dieser Patienten betrug 52,9% (n = 81) unter Verum vs. 11,8% (n = 9) unter Placebo in den Wochen 1–24 bzw. 58,8% (n = 90) vs. 17,1% (n = 13) in den Wochen 1–48. Sicherheitsdaten dieser Studie belegen zudem, dass die Substanz zumindest über den untersuchten Zeitraum „sehr gut toleriert wird und es keine Signale gegeben hat – auch hinsichtlich der AML-Transformation – die darauf hindeuten, dass die Substanz Lebensqualität oder Sicherheit der Patienten beeinträchtigt hätte“, so Platzbecker weiter.
Auch bei β-Thalassämie wirksam
Auch bei der meist autosomal-rezessiv vererbten monogenen β-Thalassämie könnte Luspatercept eine erste medikamentöse Option sein, so Prof. Dr. Holger Cario vom Universitätsklinikum Ulm. Von der Thalassaemia major als schwerster Form sind in Deutschland etwa 500–600 Menschen betroffen, die wegen des mutationsbedingten völligen Fehlens der β-Globin-Ketten regelmäßig Transfusionen sowie eine Eisenchelat-Therapie benötigen. Bislang stehen hier nur die hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSZT) und eine inzwischen entwickelte additive Gentherapie als kurative, aber riskante Therapien zur Verfügung. In einer Phase-II-Studie [3] steigerte Luspatercept bei Thalassemia major und schweren Ausprägungen einer Thalassemia intermedia mit und ohne Transfusionsnotwendigkeit bei der Hälfte der Patienten über mehr als zwölf Wochen die Hb-Werte um mehr als 1,5 g/dl. Der Transfusionsbedarf wurde bei 72% der Patienten um mehr als 33% und bei 63% um mindestens 50% reduziert. Als positiver Nebeneffekt war eine Reduktion der Eisenüberladung zu beobachten, so Cario.
Nach ersten Daten einer placebokontrollierten Phase-III-Studie [4] bei regelmäßig transfusionsbedürftigen erwachsenen Patienten mit β-Thalassämie wurde der primäre Endpunkt, die Reduktion des Transfusionsbedarfs bei guter Verträglichkeit um mehr als 33% zwischen Woche 13 und 24, von 21% der Patienten in der Verumgruppe erreicht. Zudem wurde der Transfusionsbedarf bei 41% der Patienten um mehr als ein Drittel und bei 16% sogar um mehr als 50% reduziert.
Andreas Haeckel
Fachpressegespräch „Bedeutung neuer und bewährter Substanzen in der Behandlung von Patienten mit MDS, β-Thalassämie und indolenten B-Non-Hodgkin-Lymphomen“ am 29.04.2019 in Frankfurt am Main, veranstaltet von Celgene GmbH, München.