Immuntherapeutische Ansätze sind derzeit die wichtigsten Hoffnungsträger im Kampf gegen Tumorerkrankungen. Deutsche und US-amerikanische Wissenschaftler zeigten auf einem Symposium mit innovativer thematischer Ausrichtung, dass man immer besser versteht, wie die individuelle Immunausstattung und die individuelle Immuntherapie von der bakteriellen Besiedelung im Darm abhängt.
Mikrobiom-Festlegung nach Geburt?
Das Immunsystem beeinflusst auch das Mikrobiom. Lange hielt sich die Auffassung, es funktioniere nur umgekehrt: dass das Mikrobiom in Richtung auf das Immunsystem einwirke. Diese bidirektionale Beeinflussung gelte es im Hinterkopf zu behalten, betonte Philipp Rosenstiel, Klinischer Molekularbiologe an der Universität Kiel. Das Vorstandsmitglied des Exzellenz-Clusters Entzündungsforschung konnte zusammen mit Kollegen aus dem In- und Ausland bei Mäusen einen Faktor nachweisen, der nur in einer kurzen Phase nach der Geburt aktiv ist, aber lebenslange Auswirkungen auf das Mikrobiom hat. Es handelt sich um den „Toll-like Receptor 5“ (TLR5). Dieser ist bei Mäusen ungefähr bis zu dem Zeitpunkt wirksam, zu dem die Umstellung von Muttermilch auf Festnahrung erfolgt. TLR5 erkennt Flagellin, die Hauptkomponente bakterieller Flagellen. Durch die Interaktion wird eine antimikrobielle Antwort getriggert, die die Kolonisierung mit Flagellen-tragenden Bakterien unterdrückt und so die Zusammensetzung der neonatalen und post-neonatalen Darmflora steuert. Mäuse, denen nach genetischer Veränderung TLR5 fehlt, weisen ein verändertes Mikrobiom auf, heißt es im noch ungedruckten, aber bereits publizierten Artikel [1].
Antibiotika beeinflussen Tumortherapie
Dass das Darm-Mikrobiom später im Leben unter variierender Umwelt- und Medikamenten-Einwirkung erstaunlich stabil bleibt, untermauert Rosenstiels Arbeitsgruppe in einer Übersichtsarbeit [2]. Allerdings ändert sich das B-Zell-Repertoire unter dem Einfluss von Antibiotika [3]. Wie Antibiotika auf dem Umweg über das Mikrobiom eine Tumortherapie beeinflussen, konnte Rosenstiel zusammen mit Kollegen bereits vor einigen Jahren zeigen: Eine Oxaliplatin-Behandlung ließ das Tumorvolumen bei Mäusen deutlich stärker schrumpfen, wenn Antibiotika nicht in die mikrobielle Darmbesiedelung der Tiere eingriffen [4].
Entzündungsbekämpfung hilft zweifach
Rosenstiels Kieler Kollege aus dem Uniklinikum, Matthias Laudes, räumte mit dem Dogma auf, wonach die Kausalkette so aussieht: Fettleibigkeit –> Entzündungen –> Tumoren. Nahrungsbedingte Entzündungsherde seien laut Laudes heute vielmehr als Ursache von Fettleibigkeit auf der einen und Tumorerkrankungen auf der anderen Seite zu sehen. Deswegen lassen sich zum Beispiel aus der Diabetes-Forschung mit ihrem Fokus auf Entzündungsbekämpfung zugleich Lehren für die Zukunft der Tumortherapie ableiten.
Niacin zur Darmkrebs-Prävention?
Basis für eine noch unveröffentlichte Studie von Laudes und Kollegen ist die von Rosenstiel et al. publizierte Erkenntnis, dass eine Unterversorgung mit Tryptophan bzw. nachgelagerten Stoffwechselprodukten dieser Aminosäure im Darm sowohl ein verändertes Mikrobiom als auch Entzündungen begünstigt [5]. Nach der jüngsten Phase-I-Studie resultiert die orale Zugabe von Niacin in einer höheren mikrobiotischen Variabilität [6]. Niacin könnte also Entzündungen im Darm – und damit die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Tumorherden – verringern.
Bald Phase-II-Studie
Problematisch ist die Gabe von Niacin, weil erstens dieses B-Vitamin normalerweise vollständig im Dünndarm resorbiert wird und zweitens durch die dadurch induzierte Vasodilatation unangenehme Gesichtsrötungen auftreten. Die Arbeitsgruppe um Laudes umgeht dieses Problem, indem sie „Mikrobiom-Kosmetik“ mithilfe von verkapseltem Niacin betreibt. Die Verkapselung des Vitamins löst sich erst durch die pH-Verschiebung beim Übergang vom Dünn- in den Dickdarm auf, sodass Niacin vor allem im gewünschten Mikrobiom-Umfeld wirksam werden kann. Eine Phase-II-Studie ist nach Laudes‘ Worten derzeit in Planung.
Checkpoint-Blocker im Fokus
Als Spezialist für die Mikrobiom-Modulation in der Immuntherapie war der US-Experte Thomas Gajewski nach Lübeck gereist. Der Leiter des Immunologie-Onkologie-Forschungsprogramms der Universität von Chicago betonte den gegenwärtigen Stellenwert der Ansätze zur Checkpoint-Hemmung. Nach seinen Angaben hat die FDA allein Anti-PD-1-/PD-L1-Wirkstoffe bereits für elf verschiedene Tumorentitäten zugelassen. Sorgen bereitet Onkologen allerdings der Umstand, dass Antibiotika das Mikrobiom zuungunsten einer erfolgreichen Checkpoint-Blockade verändern [7].
Manche Darmbakterien helfen bei Anti-PD-Therapie
Zusammen mit Kollegen zeigte Gajewski an Mäusen, dass Stuhltransplantate von Checkpoint-Inhibitor-Respondern (Patienten mit Melanom) das Ansprechen auf eine Anti-PD-L1-Therapie verbessern (Abb. 1; [8]). Stuhlanalysen zeigen, dass im Darm menschlicher Responder kommensale Kolonien von Bifidobacterium longum, Collinsella aerofaciens und Enterococcus faecium dominieren.
Was eine therapeutische Beeinflussung des Mikrobioms im Rahmen einer Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren anbelangt, so sieht Gajewski die Forschungsansätze am „Anfang des Anfangs“. In Sachen der bisweilen schon als etabliert geltenden Anti-PD-1/L1-Ansätze stünde man dagegen immerhin schon am „Ende des Anfangs“.
Gajewski lenkte die Aufmerksamkeit auf eine Phase-II-Studie mit dem verkapsulierten Bakterienpräparat (EDP1503), hergestellt von der Firma Evelo, Cambridge/Massachusetts. rund 70 Melanom-Patienten, die Pembrolizumab entweder noch nicht erhalten haben oder dagegen refraktär sind, nehmen im Rahmen der unter anderem von der Universität von Chicago gesponserten Studie EDP1503 ein; Studienstart ist Ende 2018 [9].
Martin Roos