Die Behandlung von Patienten mit malignen Lungentumoren war jahrzehntelang durch weitgehende Stagnation gekennzeichnet: In den meisten Fällen war die Erkrankung so weit fortgeschritten, dass man diesen Patienten nicht viel mehr als einige wenige Chemotherapie-Regimes anbieten konnte, die ihre Überlebenszeit vielleicht um ein paar Monate verlängerten – mit einer Toxizität, die manchmal an der Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens zweifeln ließ. Wie in diesem Heft von Trillium Krebsmedizin deutlich werden soll, hat sich diese desolate Situation in wenig mehr als einem Jahrzehnt stark gewandelt, getrieben im Wesentlichen durch zwei Entwicklungen: die Entdeckung von Treibermutationen, gegen die spezifische Therapien geschaffen werden konnten, sowie die Nutzbarmachung des Immunsystems im Kampf gegen die malignen Zellen:
Treibermutationen
Ein immer besseres Verständnis der Biologie von Tumorzellen vor allem auf der molekularen Ebene hat zur Entdeckung von "Treibermutationen" geführt: Deren phänotypische Auswirkungen sind auf Proteinebene bei vielen Tumoren – darunter auch bei vielen Formen des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) – für das maligne Wachstum und die Metastasierungsneigung der Zellen verantwortlich. Klinisch bedeutsame Beispiele für solche Veränderungen beim NSCLC sind aktivierende Mutationen des Rezeptors für den epidermalen Wachstumsfaktor (EGFR) oder Translokationen des Gens für die anaplastische Lymphom-Kinase (ALK), die zur ektopen Expression dieses Enzyms in Lungenzellen führen. Die genaue biochemische Analyse dieser Veränderungen hat in einigen Fällen die Entwicklung von spezifischen Inhibitoren ermöglicht. Diese können das Wachstum entsprechend mutierter Tumoren zumindest für einige Zeit unterdrücken und die Überlebenszeiten der betroffenen Patienten gegenüber einer herkömmlichen Chemotherapie deutlich verlängern – bei spürbar geringerer Toxizität und damit besserer Lebensqualität. Einen Überblick über die derzeit bekannten Treibermutationen und die sich daraus ergebenden Behandlungsmöglichkeiten geben Stratmann und Sebastian ab S. 248.
Immuntherapien
Auch für Patienten, bei denen Treibermutationen nicht nachweisbar sind oder bei denen man – wie in der großen Gruppe von NSCLC mit Mutationen des KRAS-Onkogens – bislang keine klinisch anwendbaren Inhibitoren gefunden hat, gibt es neue Behandlungsmöglichkeiten. Diese beruhen auf einem im letzten Jahrzehnt massiv gewachsenen Verständnis der Mechanismen, mit deren Hilfe das Immunsystem gegen Tumorzellen vorgeht bzw. durch die es an einem solchen Vorgehen gehindert wird. Um die Abstoßung des Embryos während der Schwangerschaft und Autoimmunreaktionen im erwachsenen Organismus zu vermeiden, ist die immunologische Abwehr mit zahlreichen "Checkpoints" ausgestattet, die verhindern sollen, dass körpereigenes Gewebe angegriffen wird. Durch die Expression solcher Checkpoint-Moleküle erreichen Tumorzellen, dass zytotoxische Abwehrzellen sie nicht als fremd erkennen und zerstören. Die Blockade dieser Checkpoints kann umgekehrt die Inhibition der Immunzellen aufheben und ihre Aggressivität gegenüber den Krebszellen wiederherstellen.
Gegen zwei dieser Immuncheckpoint-Mechanismen, mit denen zytotoxische T-Lymphozyten ausgebremst werden können – das CTLA-4-Molekül sowie die PD-1-/PD-L1-Achse – gibt es bisher zugelassene Antikörper, wobei die PD-1-/PD-L1-Antikörper auch bei Lungentumoren angewendet werden können, wie der Heftverantwortliche auf S. 236 ff. im Detail ausführt. Das ist aber erst der Anfang: Derzeit sind mehr als ein Dutzend weiterer Bremsmechanismen für die zelluläre Immunität bekannt, und an Inhibitoren dafür wird gearbeitet. Diese werden dringend gebraucht: Zwar sind die Erfolge der bisherigen immunonkologischen Therapien gerade bei Lungentumoren angesichts des früheren erzwungenen therapeutischen Nihilismus aufsehenerregend; dennoch lässt sich bisher nur ein Teil der Patienten in eine dauerhafte Remission bringen. Man kann aber zuversichtlich sein, dass Kombinationstherapien, die mehrere Immuncheckpoint-Mechanismen gleichzeitig blockieren, hier Auswege bieten werden.
Welchen Patienten wie behandeln?
Wenn nur ein Teil der Patienten von bestimmten Medikamenten profitiert, ist es im Sinne einer Personalisierung der Therapie entscheidend, diese Patienten vorab zu identifizieren. Hierfür ist die Molekularpathologie zuständig, und Falk, Lakis und Heukamp geben auf S. 260 ff. im Rahmen eines CME-Beitrags einen umfassenden Überblick darüber, was derzeit nachweisbar ist und mit welchen Methoden das am besten geschehen sollte. Bei den Patienten mit Treibermutationen ist das theoretisch vergleichsweise einfach: Der Nachweis dieser Mutationen ist aus Tumorgewebe und neuerdings auch aus zellfreier Tumor-DNA im Blut mit molekulargenetischen Techniken problemlos möglich – aber: Er muss auch erfolgen! Leider haben wir in Deutschland immer noch keine flächendeckende molekulargenetische Erfassung aller Patienten mit neu diagnostiziertem NSCLC, sodass nach wie vor einem Teil der Patienten Therapien vorenthalten werden, die ihnen möglicherweise einen deutlichen Nutzen bringen würden.
Patienten, bei denen diese Untersuchungen durchgeführt wurden, bei denen aber keine behandelbare Treibermutation identifiziert wurde, sind prinzipiell Kandidaten für eine der genannten Immuntherapien. Allerdings gibt es auch hier primäre Resistenzen, die ein Ansprechen verhindern, und dabei ist nicht so klar wie bei den Treibermutationen, um welche Patienten es sich handelt. Zwar gibt es eindeutige Hinweise, dass das Ausmaß der PD-L1-Expression im Tumor mit der Wirksamkeit der PD-1- und möglicherweise auch PD-L1-Inhibitoren korreliert, aber dieser Zusammenhang ist nicht so strikt, wie man es sich wünschen würde: Gelegentlich ziehen nämlich auch Patienten mit geringer oder fehlender PD-L1-Expression Nutzen aus solchen Therapien. Mit der Bestimmung der Tumormutationslast scheint ein neuer Parameter gefunden, der möglicherweise im Zusammenwirken mit der PD-L1-Expression eine genauere Vorhersage dieses Nutzens und damit eine präzisere Personalisierung der Immuntherapien gestatten könnte. Mit der Bestimmung der Tumormutationslast werden allerdings die derzeit verfügbaren molekulargenetischen Techniken ziemlich ausgereizt, und für den zuverlässigen flächendeckenden Einsatz sind noch umfangreiche Standardisierungs- und Harmonisierungsbemühungen erforderlich.
Hoffnung auch im Stadium III
Das Stadium III des NSCLC umfasst eine äußerst heterogene Gruppe von Patienten, von denen ein Teil durch den Thoraxchirurgen geheilt werden kann (eventuell in Verbindung mit einer adjuvanten Chemotherapie), während ein anderer Teil aufgrund einer ausgedehnten nodalen Metastasierung nicht oder nur mit großem Risiko operiert werden kann. Auch die "definitive" Radiochemotherapie bewirkt hier oft nur eine relativ kurze Verlängerung des Überlebens. Hier zeichnet sich seit Kurzem ebenfalls eine Rolle für die Immuntherapie ab, seitdem die ersten positiven Daten aus der PACIFIC-Studie bekannt geworden sind. Eberhardt und Pogorzelski geben ab S. 228 einen Überblick über die derzeitige Situation im Stadium III.
Neue Hoffnung auch beim SCLC
Das kleinzellige Lungenkarzinom (SCLC) war bis vor Kurzem eine onkologisch mindestens so undankbare Diagnose wie das NSCLC, vor allem wenn der Tumor wie in den meisten Fällen erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert wurde. Weitgehend resistent gegen Chemotherapie und bislang ohne bekannte Treibermutationen, scheint aber auch das SCLC auf die immunonkologischen Therapien anzusprechen. Einen Überblick über diese neuen Entwicklungen von Heigener lesen Sie auf S. 254 ff.