Die Hirnmetastasierung ist eine zunehmende Komplikation bei Patientinnen mit Mammakarzinom. Prof. Volkmar Müller, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, beschäftigt sich im Rahmen seiner Forschungsaktivitäten mit diesem Krankheitsbild, das für die Patientinnen sehr belastend ist. In San Antonio gab es zum Thema ZNS-Komplikationen neue Erkenntnisse. Gemeinsam mit der German Breast Group (GBG) wurde u. a. ein Register aufgelegt, in dem die ZNS-Metastasierung erfasst wird.
Herr Prof. Müller, warum beschäftigen Sie sich so intensiv mit dem Problem der Hirnmetastasierung bei Frauen mit Mammakarzinom?
Prof. Müller: Wir haben angefangen, uns mit dieser Thematik zu beschäftigen, weil wir bemerkt haben, dass immer mehr Frauen, die ein metastasiertes Mammakarzinom haben, auch Hirnmetastasen entwickeln. Brustkrebs-Patientinnen mit Hirnmetastasen haben in der Regel eine schlechte Prognose. Die Ursache für die immer häufigere Metastasierung ins Hirn liegt wahrscheinlich darin, dass wir bei Patientinnen in der metastasierten Situation durch wirksamere Therapien die Metastasierung im Körper besser kontrollieren können, diese Behandlungsverfahren aber nicht optimal im Gehirn wirken. Vor allem bei Frauen mit HER2-positivem oder triple-negativem Brustkrebs ist das Risiko, Hirnmetastasen zu entwickeln, deutlich erhöht. Frauen mit HER2-positivem Brustkrebs und metastasierter Erkrankung haben beispielsweise ein Risiko von etwa 40%, im Laufe ihrer Erkrankung auch Hirnmetastasen zu entwickeln. Diese schränken nicht nur die Lebenserwartung der Frauen ein, sondern stellen auch eine starke Beeinträchtigung der Lebensqualität dar. Wir erleben bei den Frauen Krampfanfälle, Bewegungs- und Sprachstörungen und wissen derzeit leider nicht, wie wir das optimal behandeln können. Um die Problematik der Hirnmetastasierung bei Frauen mit Mammakarzinom besser zu verstehen, haben wir gemeinsam mit der German Breast Group ein Register gegründet, in das die teilnehmenden Kliniken in Deutschland mittlerweile etwa 2.200 Patienten-Datensätze eingebracht haben. Dahinter steckt die Arbeit von vielen Menschen, auch von über hundert Zentren, die sich engagieren und ohne Vergütung Patientendaten registrieren und eingeben.
In San Antonio wurden einige Studien zu ZNS-Komplikationen vorgestellt, auch Ihre eigenen Untersuchungen. Was ist davon besonders von Bedeutung?
Müller: Auf dem Kongress gab es mehr als 20 Beiträge zum Thema Hirnmetastasierung. Frau PD Dr. Witzel aus unserer Klinik hat die Daten einer gemeinsam mit der GBG durchgeführten Analyse der beiden Studien GeparQuinto und GeparSixto vorgestellt [1]. In den beiden neoadjuvanten Studien wurden moderne Behandlungsverfahren einschließlich zielgerichteter Therapie bei HER2-positiven Patientinnen und anti-angiogener Behandlungsstrategien bei triple-negativen Patientinnen eingesetzt. In der Auswertung wurde untersucht, wie hoch das Risiko für die Patientinnen ist, dass das ZNS als erster Ort der Metastasierung in Erscheinung tritt. Die Analyse bezieht sich auf alle in die Studien eingeschlossenen Patientinnen, wobei Frauen mit HER2-positiven und triple-negativen Tumoren besonders häufig vertreten waren. 3% der über 3.000 Frauen entwickelten während der median etwa fünfjährigen Nachbeobachtungszeit als erstes Hirnmetastasen, etwa 13% der Patientinnen zeigten Fernmetastasen an anderen Orten.
Trotz des vergleichsweise niedrigen Risikos der Hirnmetastasierung glaube ich, dass es helfen kann, in weiteren Untersuchungen diejenigen Frauen zu identifizieren, die ein besonders hohes Risiko für eine frühe Hirnmetastasierung aufweisen. Es gibt auch immer wieder Patientinnen, bei denen das Hirn über lange Zeit die einzige Metastasen-Lokalisation bleibt, und das ist natürlich besonders belastend für die Frauen.
Gibt es Substanzen, die bei Patientinnen mit Hirnmetastasen besonders gut wirken, weil sie die Blut-Hirn-Schranke überwinden?
Müller: Das ist die Hoffnung. Tatsächlich gibt es einige Liquor-gängige Substanzen, die unter diesem Aspekt aktiv beworben werden; aber man muss ehrlicherweise sagen, dass es letztlich keinen Hinweis darauf gibt, dass die Liquor-Gängigkeit eines Medikaments bei Metastasen überhaupt eine Rolle spielt. Die Blut-Hirn-Schranke ist in dieser Hinsicht noch nicht hinreichend verstanden. Es gibt allerdings Hinweise, dass bestimmte Substanzen möglicherweise besser wirksam sind als andere; aber große vergleichende Studien liegen bislang nicht vor.
Es gibt eine Phase-III-Studie zu einer Chemotherapie mit dem Medikament Etirinotecan Pegol (BEACON), in der zwar nicht für das Gesamtkollektiv, aber für eine Subgruppe von Patientinnen mit Hirnmetastasen ein längeres Überleben gegenüber einer herkömmlichen Therapie nachgewiesen wurde [2]. Beim SABCS wurde das Konzept einer weiteren großen multizentrischen Phase-III-Studie vorgestellt (ATTAIN), in der nachgewiesen werden soll, dass Patientinnen mit Hirnmetastasen unter dem Einfluss dieser Substanz im Vergleich zu anderen Therapien tatsächlich länger leben [3]. Außerdem wurde eine Phase-Ib/II-Studie vorgestellt, die den Ansatz verfolgt, bei HER2-positiven Patientinnen, die schon vorbehandelt sind, einen neuen Tyrosinkinasehemmer namens Tucatinib (ONT-380) zusätzlich zu Trastuzumab einzusetzen [4]. Tucatinib stellt, wenn man so will, eine Weiterentwicklung des Tyrosinkinasehemmers Lapatinib dar. Es wurden zudem beim SABCS Daten der Phase-III-Studie ExteNET vorgestellt, in der es für Neratinib, einen weiteren Tyrosinkinasehemmer gegen HER2, Hinweise auf eine Wirksamkeit gegen Hirnmetastasen gab [5].
Letztendlich müssen aber alle diese neuen Ansätze in der Lage sein, den immer noch bestehenden Goldstandard zu schlagen, der darin besteht, schlicht die Behandlung mit Trastuzumab alleine als HER2-gerichtete Therapie weiterzuführen. Wir wissen, dass Patientinnen, die eine gegen HER2 gerichtete Therapie, etwa mit Trastuzumab, nach Diagnose von Hirnmetastasen weiter bekommen, länger leben. Bei bestehenden Hirnmetastasen haben diese Antikörper also einen positiven Effekt, auch wenn betroffene Frauen insgesamt nicht so lange überleben wie Patientinnen ohne Hirnmetastasen. Zusammenfassend besteht also nach wie vor dringender Forschungsbedarf, und es laufen verschiedene Studien, auch in Deutschland, die sich für solche Patientinnen besonders gut eignen.
Interview: Petra Ortner
Literatur