Die Blut-Hirn-Schranke verhindert, dass schädliche Stoff aus Umwelt oder Nahrung ins Gehirn gelangen können, kann aber auch die effektive Behandlung von Hirntumoren stören, weil viele Medikamente die Barriere ebenfalls nicht überwinden können. An der Tierärztlichen Hochschule in Hannover wurde in einem Zellkultur-Modell der menschlichen Blut-Hirn-Schranke ein bislang unbekannter Mechanismus entdeckt, mit dem Endothelzellen verhindern können, dass exogene Stoffen ins Hirnparenchym gelangen.
Bisher bekannt war: Die Endothelzellen hindern mit ihren „tight junctions“ potenzielle Toxine daran, aus dem Blut zwischen den Endothelzellen hindurch ins Gehirn zu gelangen. Kleine lipophile Moleküle, die durch Diffusion oder aktiven Transport durch das Innere der Endothelzellen ins Hirnparenchym gelangen, werden durch Transportproteine wie das P-Glykoprotein wieder ins Blut ausgeschleust. Die Veterinärmediziner aus Hannover konnten jetzt daneben noch einen weiteren, bisher unbekannten Mechanismus identifizieren:
P-Glykoprotein sitzt neben der Zellmembran auch in der Membran von Lysosomen, in deren Lumen es überschüssige Xenobiotika sequestriert. Diese bepackten Lysosomen werden anschließend über die apikale Oberfläche der Zelle ins Blut ausgeschleust und sammeln sich an der Zelloberfläche zu traubenförmigen Gebilden („Barrier Bodies“), die schließlich von neutrophilen Granulozyten phagozytiert werden. Mit diesem Mechanismus können also hohe Konzentrationen an Fremdstoffen – die zu einer Übersättigung der Transportproteine führen – schnell aus der kritischen Nachbarschaft des Hirns entfernt werden.
Dass diese Ergebnisse im Modell mit der Zugabe von Doxorubicin gewonnen wurden, zeigt die Relevanz für die Onkologie: Viele prinzipiell wirksame Substanzen haben deshalb in der Neuro-Onkologie keine Bedeutung, weil sie gar nicht in nennenswerter Konzentration an die im Hirn befindlichen Tumoren oder Metastasen gelangen. Sollten sich diese Prozesse auch in vivo bestätigen, könnte ihre Hemmung womöglich die Behandlung von zerebralen Tumoren verbessern. Inhibitoren des intrazellulären Vesikeltransports, v. a. das Zytoskelett schädigende Substanzen, konnten im Modell die Bildung der „Barrier Bodies“ unterdrücken, ohne die Zellen als solche zu schädigen.
Josef Gulden