Neues zur Therapie von neuroendokrinen Tumoren
14. ENETS-Jahreskonferenz 2017, Barcelona
Beim diesjährigen Kongress der European Neuroendocrine Tumor Society (ENETS) wurden unter anderem neue Daten zur Lebensqualität unter einer Peptidrezeptor-Radiotherapie (PRRT) bei neuroendokrinen Tumoren (NET) vorgestellt sowie die Frage diskutiert, welche Sequenztherapie bei pankreatischen NET (pNET) sinnvoll ist.
Gastro-entero-pankreatische neuroendokrine Neoplasien (GEP-NEN) sind seltene Tumoren mit einer Inzidenz von etwa 5/100.000 Einwohnern. Sie machen etwa 5% aller Neoplasien des Gastrointestinaltrakts aus, jedoch nimmt ihre Inzidenz – vermutlich bedingt durch eine bessere Diagnostik – seit vielen Jahren stetig zu. Mehr als 85% aller GEP-NEN exprimieren den Somatostatin-Rezeptor-Subtyp 2, an den die Somatostatin-Analoga Octreotid und Lanreotid mit hoher Affinität binden.
An der multinationalen, prospektiven, randomisierten Parallelgruppen-Studie NETTER-1 nahmen 229 Patienten mit gut differenzierten NET des Dünndarms und Tumorprogress unter Octreotid LAR teil. Sie erhielten entweder vier Zyklen einer PRRT (je 7,4 GBq 177Lutetium-Dotatate) oder eine verdoppelte Dosierung von Octreotid LAR (60 mg alle vier Wochen). In der PRRT-Gruppe absolvierten 76% der Patienten alle vorgesehenen vier Zyklen, eine dosislimitierende Toxizität war lediglich bei 5% der Patienten nachweisbar. Das mediane progressionsfreie Überleben (PFS) war in der PRRT-Gruppe zum Analysezeitpunkt noch nicht erreicht und betrug in der Kontrollgruppe 8,4 Monate (Hazard Ratio 0,24; p < 0,0001). Während unter der PRRT 23 Patienten starben oder progredient waren, war dies unter der 60-mg-Octreotrid-Dosis bei 67 der Fall; dieser Unterschied im primären Endpunkt war signifikant (HR 0,21; p < 0,0001). Die Gesamtansprechrate betrug in der PRRT-Gruppe 18% im Vergleich zu 3% in der Hochdosis-Octreotid-Gruppe (p = 0,0008). Die Interimsauswertung des Gesamtüberlebens ergab 13 Todesfälle in der PRRT-Gruppe und 22 Todesfälle in der Kontrollgruppe (p = 0,019). Dies war zwar nicht signifikant, lässt jedoch für das weitere, auf fünf Jahre angelegte Follow-up eine signifikante Verbesserung des Gesamtüberlebens in der PRRT-Gruppe erwarten.
PRRT verträglicher als hochdosiertes Octreotid
Wichtigste Grad-3/4-Nebenwirkungen im PRRT-Arm waren Neutropenie, Thrombozytopenie und Lymphopenie (1%, 2% und 9%), die im Kontrollarm nicht nachweisbar waren. Die mittels Fragebögen ermittelte Lebensqualität der Studienteilnehmer wurde von Jonathan Strosberg, Tampa/Florida, in Barcelona neu vorgestellt. Diese Daten wurden zu Studienbeginn und dann alle zwölf Wochen bis zur Krankheitsprogression mit den EORTC-Fragebögen QLQ-C30 und GI.NET21 erhoben. Im Durchschnitt verbesserte sich die gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQoL, einschließlich globalem Gesundheitszustand und Diarrhö-Symptomatik) während der Therapie bei 28% der mit PRRT behandelten Patienten und bei 15% der mit Octreotid behandelten Patienten; zu einer Verschlechterung kam es bei 18% bzw. 26% der Patienten. Die Einzelauswertung der abgefragten Beschwerden ergab für Diarrhöen eine Verbesserung bei 39% der Patienten unter 177Lu-Dotatate- und bei 23% unter Octreotid-Therapie sowie eine Verschlechterung bei 19% bzw. 23% der Patienten. Die Häufigkeit von Flush/Schwitz-Episoden reduzierte sich unter 177Lu-Dotatate bei 42% und unter Octreotid bei 38% der Patienten, wohingegen sie sich bei 22% bzw. 19% im Verlauf der Behandlung verstärkte. Die Unterschiede waren jeweils klinisch relevant und statistisch signifikant. Die Ergebnisse machen deutlich, so Strosberg, dass eine PRRT mit 177Lutetium-Dotatate in Bezug auf die Lebensqualität der Behandlung mit hochdosiertem Octreotid überlegen ist. Die Bindung des β-Strahlers 177Lutetium an das Somatostatin-Analogon Dotatate ermöglicht eine Art interne Strahlentherapie, die selektiv auf die Tumorzellen wirkt. Aufgrund der relativ geringen Strahlungsaktivität und Reichweite finden sich renale Nebenwirkungen bei Verwendung von 177Lutetium seltener als bei Verwendung von 90Yttrium.
Durch die stabile Markierung von Somatostatin-Analoga mit Radionukliden wie 90Yttrium oder 177Lutetium kommen diese Radiopeptide immer häufiger im Rahmen einer PRRT zum Einsatz. Das wirft die Frage nach möglichen Prädiktoren für ein Ansprechen aus. Eine Arbeitsgruppe um G. Demetriou, London, führte diesbezüglich eine retrospektive Analyse durch. Sie werteten dafür 307 NET-Patienten aus, die zwischen 2011 und 2016 eine PRRT mit 177Lu- oder 90Y-Dotatate erhalten hatten. Patienten der Gruppe 1 (n = 66) waren innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Therapie radiologisch progredient geworden, Patienten der Gruppe 2 (n = 64) hatten im gleichen Zeitraum ein Tumoransprechen oder eine Krankheitsstabilisierung gezeigt. Das mediane Gesamtüberleben betrug 21 Monate (Gruppe 1) bzw. 35 Monate (Gruppe 2). Bei Patienten in der prognostisch ungünstigen Gruppe 1 war die Leber stärker vergrößert und die Konzentrationen von Chromogranin A (CgA) waren höher. Patienten mit einer solchen Risikokonstellation sollten möglichst früh identifiziert werden, so die Wissenschaftler. Sie könnten womöglich von einer intensivierten Therapie einschließlich einer frühen PRRT profitieren.
ENETS-Guidelines sind aktuell
Aufgrund der Heterogenität der Tumoren bezüglich ihres biologischen Verhaltens und der Prognose können keine einheitlichen allgemeingültigen Therapieschemata vorgegeben werden. Vergleichende Studien zu den verschiedenen Therapieoptionen existieren ebenso wenig wie Daten über die optimale Therapiesequenz. Die Entscheidung für ein spezielles Therapiekonzept muss daher individuell festgelegt werden. Eine Orientierung für die Erstellung eines individuellen Therapiekonzeptes geben die 2016 neu publizierten ENETS-Leitlinien [1]. Das Spektrum der Vorgehensweisen reicht von der chirurgischen Tumorentfernung oder vom „Zuwarten ohne spezifische Therapie" bei funktionell inaktiven Tumoren, die keine Wachstumstendenz zeigen, über den Einsatz der Biotherapie (Somatostatin-Analoga und/oder Interferon-α) sowie über die Radionuklid-Therapie hin zu ergänzenden lokal ablativen oder leberspezifischen Verfahren (z. B. Embolisation, SIRT) und medikamentösen zielgerichteten Therapien (Sunitinib, Everolimus) sowie zum Einsatz einer systemischen Chemotherapie bei wachsenden Bauchspeicheldrüsen-Tumoren oder bei aggressivem Wachstum schlecht differenzierter neuroendokriner Karzinome.
Wie vorgehen bei pankreatischen NET?
Auch für die Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenen pNET stehen eine Reihe von Therapieoptionen zur Verfügung. Jedoch fehlen direkte Wirksamkeitsvergleiche oder belastbare Studien zum sequenziellen Vorgehen, wie Strosberg in einem weiteren Vortrag erläuterte. Die antiproliferative Wirksamkeit von Somatostatin-Analoga ist durch die CLARINET-Studie [2] eindeutig belegt, so Strosberg. Es handelt sich um eine prospektive, randomisierte, placebokontrollierte Phase-III-Studie zur Effektivität von Lanreotid Autogel 120 mg alle 28 Tage s. c. bei Patienten mit nicht-funktionellen, gut bis mäßig differenzierten GEP-NET. Die Therapie mit Lanreotid führte zu einer signifikanten Reduktion des Risikos für einen Krankheitsprogress um mehr als 50% und einer signifikanten Verlängerung des medianen PFS. Laut Strosberg eignen sich Somatostatin-Analoga besonders für Patienten mit gut bis mäßig differenzierten, indolenten, Somatostatinrezeptor-positiven Patienten als Therapie der ersten Wahl.
Zielgerichtete Therapien mit Kinase- und mTOR-Inhibitoren
In einer prospektiven, randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Zulassungsstudie bei 177 Patienten mit pNET und dokumentiertem Progress innerhalb von zwölf Monaten konnte unter Sunitinib (37,5 mg/d oral) eine Verlängerung des PFS von 5,5 auf 11,4 Monate erreicht werden (HR 0,42; p < 0,001). Das objektive Therapieansprechen nach RECIST lag unter Sunitinib bei 9,3% vs. 0% unter Placebo. In der prospektiven, randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Zulassungsstudie RADIANT-3 mit
410 Patienten (pNET und dokumentierter Progress innerhalb von zwölf Monaten) zeigte sich unter 10 mg Everolimus täglich eine Verlängerung des medianen PFS von 4,6 auf 11,0 Monate (HR 0,35; p < 0,0001) unabhängig vom Proliferationsindex, der hormonellen Aktivität oder einer Vorbehandlung mit Somatostatin-Analoga oder Chemotherapie. Mit beiden Substanzen wurden relativ niedrige objektive Ansprechraten erzielt, jedoch viele partielle Remissionen und Krankheitsstabilisierungen. Nach Angaben von Strosberg sind diese Wirkstoffe vorrangig bei relativ langsam wachsenden, fortgeschrittenen pNET anzuwenden, wobei aufgrund der Studienlage bei Patienten mit Diabetes und Lungenerkrankungen eher Sunitinib infrage komme und bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen sowie erhöhtem Blutungs- oder Perforationsrisiko eher Everolimus.
Chemotherapien sind bei pNET wirksam
Im Gegensatz zu anderen differenzierten und langsam wachsenden GEP-NET sind pankreatische NET Chemotherapie-sensibel und sprechen unter anderem auf eine Kombinationschemotherapie mit Streptozotocin, Doxorubicin und 5-Fluorouracil zu etwa 40% an, wie Strosberg erläuterte. Die Therapie ist zudem relativ gut verträglich und laut ENETS-Guidelines die Therapieoption der ersten Wahl bei progredienten G1/G2-NET des Pankreas mit hoher Tumorlast oder klinischer Symptomatik. Alternativ wird Temozolomid (TEM) in Kombination mit Capecitabin (Cape) zur Therapie eingesetzt. Das objektive Ansprechen beträgt bei pNET etwa 45% und bei Karzinoiden 7%. Eine in Strosbergs Abteilung am Moffitt Cancer Center in Tampa durchgeführte retrospektive Analyse von 30 Patienten mit metastasiertem pNET und Erstlinientherapie mit TEM/Cape zeigte ein partielles Ansprechen bei 70% der Patienten bei einem medianen PFS von 18 Monaten. Eine noch laufende Phase-II-Studie prüft derzeit die Monotherapie mit TEM versus TEM/Cape bei 145 Patienten mit fortgeschrittenen pNET vom Grad G1/G2. Die Rekrutierung sei bereits abgeschlossen, so Strosberg. Temozolomid sei nach derzeitigem Kenntnisstand die beste Wahl bei aggressiven Tumoren, hoher Tumorlast und tumorbedingter Symptomatik. Für diese Patienten sei bei hoher Somatostatinrezeptor-Expression aber auch die PRRT eine Alternative.
Beate Grübler
Literatur
1. O’Toole D et al. Neuroendocrinology 2016; 103: 117-118.
2. Caplin ME et al. NEJM 2014; 371: 224-33.