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Hodgkin-Lymphom: Deeskalations-Strategien und neue Substanzen

ASH 2015

Die Therapie des Hodgkin-Lymphoms zählt zu den großen Erfolgsgeschichten der Onkologie: Die Heilungsraten sind auch bei fortgeschrittenen Erkrankungen außerordentlich hoch und höchstens noch mit denen bei Hodentumoren oder der kindlichen akuten lymphatischen Leukämie (ALL) zu vergleichen. Dass es auch hier noch viele Optimierungsmöglichkeiten gibt, wurde wieder bei der Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) im Dezember 2015 in Orlando deutlich. Die seit Jahrzehnten erfolgreichen Therapien sind vor allem in fortgeschrittenen Stadien sehr toxisch, und daher werden zwei grundsätzlich verschiedene Strategien verfolgt, um das zu ändern: Zum einen versucht man, durch intelligente Staging-Untersuchungen die Therapie so zu steuern, dass die ganz aggressiven Regimes möglichst nur den Patienten zugemutet werden, die sie tatsächlich benötigen. Zum anderen wird an neuen Therapien – vor allem aus dem immuntherapeutischen Sektor – gearbeitet, die bei gleicher Verträglichkeit mindestens so wirksam sind wie die herkömmlichen Chemotherapien.

Mindestens 90% der Patienten mit Hodgkin-Lymphomen können heute geheilt werden. Der Erfolg hat allerdings seinen Preis: Vor allem Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung bei Dia­gnose werden nach wie vor, um ein langes Überleben zu erreichen, mit sehr aggressiven Chemotherapien behandelt, die erhebliche Langzeitfolgen haben können. Das eskalierte BEACOPP-Protokoll (Bleomycin, Etoposid, Doxorubicin, Cyclophosphamid, Vincristin, Procarbazin, Prednison) zum Beispiel, das von der Deutschen Hodgkin-Studiengruppe (GHSG) für diese Indikation eingeführt wurde, kann langfristige Schäden an Lunge und Keimzellen sowie sekundäre Tumoren, v. a. Leukämien und myelodysplastische Syndrome, verursachen, die besonders für junge Patienten eine erhebliche Belastung bedeuten.
Neben der Entwicklung neuer, weniger toxischer Therapien werden deshalb weltweit Deeskalations-Strategien forciert. So könnte eine Positronenemissions-Tomografie (PET) geeignet sein, nach zwei Zyklen eskaliertem BEACOPP Patienten zu identifizieren, bei denen eine Fortführung der Behandlung mit dem weniger intensiven ABVD-Schema (Doxorubicin, Bleomycin, Vinblastin, Dacarbazin) genauso gute Ergebnisse bei wesentlich weniger Toxizität bringt. Überprüft wurde dieses Konzept beispielsweise von der französischen Lymphom-Studiengruppe LYSA in ihrer Phase-III-Studie AHL2011, für die Olivier Casasnovas, Dijon, in Orlando eine Interimsanalyse vorstellte [1].
Patienten mit einem Hodgkin-Lymphom der Stadien III, IV oder IIB mit hohem Risiko erhielten zunächst zwei Zyklen BEACOPPeskaliert und unterzogen sich dann einer PET-Untersuchung. Im Kontrollarm wurden unabhängig vom Ergebnis weitere vier Zyklen des eskalierten BEACOPP-Regimes gegeben, während das im experimentellen Arm nur bei den Patienten mit positivem PET-Ergebnis geschah, bei denjenigen mit negativem PET wurde jedoch die Therapie mit vier Zyklen ABVD fortgeführt. Auswertbar waren 782 Patienten, die PET-Untersuchung nach zwei Zyklen fiel bei 12% bzw. 13% von ihnen positiv aus. Nur diese 13% der Patienten im experimentellen Arm mussten daher protokollgemäß mit der aggressiven Chemotherapie weiterbehandelt werden.
Das Ergebnis der Interimsanalyse spricht für die Validität des Deeskalations-Konzepts: Nach median 16 Monaten Nachbeobachtungszeit waren im Kontrollarm noch 92% der Patienten progressionsfrei am Leben, im PET-gesteuerten Arm 88%; der Unterschied war nicht si­gnifikant. Wurden die nach zwei Zyklen BEACOPPeskaliert PET-positiven Patienten mit den PET-negativen verglichen, so war ihr progressionsfreies 2-Jahres-Überleben mit 73% vs. 93% deutlich und hochsignifikant schlechter (p < 0,0001). Beim Gesamtüberleben gibt es bislang keine Unterschiede, aber die Toxizität war mit BEACOPPeskaliert deutlich höher und verursachte im Kontrollarm vier Todesfälle, im experimentellen Arm hingegen nur einen.
Eine PET-Untersuchung nach zwei Zyklen der intensiven Therapie hat also einen erheblichen prognostischen Wert: Zum einen haben PET-positive Patienten auch mit BEACOPPeskaliert ein schlechteres Ergebnis, vor allem aber lässt sich das PET im Sinne einer Response-adaptierten Strategie einsetzen, um der überwiegenden Mehrzahl der Patienten mit fortgeschrittenem Hodgkin-Lymphom eine Fortführung der aggressiven Therapie und die damit verbundene Toxizität zu ersparen.

Weniger toxische BEACOPP-Varianten genauso wirksam?

Eine alternative Strategie erprobte die GHSG in einer Phase-II-Studie [2]. Sie entwickelte zwei Varianten des BEACOPP-Protokolls: In einer wurde Vincristin durch das Immuntoxin Brentuximab Vedotin ersetzt und das lungentoxische Bleomycin gestrichen (BrECAPP: Brentuximab Vedotin, Etoposid, Cyclophosphamid, Doxorubicin, Procarbazin, Prednison), im zweiten Regime wurde außerdem Procarbazin durch Dacarbazin ersetzt, um die Keimzell-Toxizität zu minimieren (BrECADD: Brentuximab Vedotin, Etoposid, Cyclophosphamid, Doxorubicin, Dacarbazin, Dexamethason). Zwei Gruppen von Patienten mit fortgeschrittenem Hodgkin-Lymphom erhielten sechs Zyklen der jeweiligen Therapie.
Insgesamt 101 Patienten waren auswertbar, und die Komplettremissionsraten und die progressionsfreien Überlebensraten nach zwölf und 18 Monaten unterschieden sich nicht signifikant zwischen beiden Regimes. Das BrECADD-Protokoll war hinsichtlich Organtoxizitäten vom Grad 3 oder 4 überlegen (4%, alle Grad 3 gegenüber 17%, davon 5% vom Grad 4 im BrECAPP-Arm). Aus diesem Grund, so Peter Borchmann, Köln, wird die GHSG nun in der internationalen Phase-III-Studie HD21 das
BrECADD-Regime randomisiert gegen den bisherigen Standard BEACOPPeskaliert prüfen.

Immun-Checkpoint-Inhibitoren auf dem Vormarsch?

Immun-Checkpoint-Inhibitoren haben in den letzten zwei Jahren in der Onkologie Aufsehen erregt, weil sie – bisher vor allem bei einer Reihe von soliden Tumoren – außerordentliche Wirksamkeit gezeigt hatten. Eine der ersten hämato-onkologischen Indikationen, bei denen Nivolumab, ein Antikörper gegen den Programmed Death-Rezeptor 1 (PD-1) geprüft wurde, war das rezidivierte oder refraktäre Hodgkin-Lymphom. Für die bereits beim letzten ASH-Kongress vorgestellten Phase-I-Studie präsentierte in Orlando Stephen Ansell, Rochester, ein Update [3]. Die mediane Beobachtungszeit für die 23 Patienten beträgt mittlerweile 101 Wochen.
Nahezu alle mutmaßlich durch Nivolumab verursachten Nebenwirkungen (gastrointestinal, hepatisch, pulmonal, die Haut betreffend oder immunologisch bedingt) sind mittlerweile verschwunden, lediglich bei einem von vier Patienten scheint eine Hyperthyreose zu persistieren. Sechs Patienten sind nach anfänglichem Ansprechen auf die Therapie progredient, die Ansprechrate lag bei 87% mit 22% kompletten Remissionen, davon sind drei Patienten unter fortgeführter Behandlung weiter in Remission, während 13 weitere ihr Ansprechen bisher ohne Therapie halten. Diese Remissionen dauern mittlerweile bis zu zwei Jahre an, der Medianwert der Ansprechdauer ist noch nicht erreicht.
Ebenfalls ein Update gab es von einer Phase-I-Studie mit dem anderen PD-1-
Antikörper Pembrolizumab [4]. 31 Patienten, ebenfalls mit rezidiviertem oder refraktärem Hodgkin-Lymphom, erhielten Pembrolizumab in einer Dosierung von 10 mg/kg alle zwei Wochen. Bei 90% der Patienten war eine Reduktion der Größe der vorab definierten Zielläsionen zu erkennen; bei etwa zwei Dritteln lag die Abnahme bei mehr als 50%. Formal betrug die Ansprechrate 65% bei 16% kompletten Remissionen und zusätzlich 23% Krankheitsstabilisierungen. Die Studie läuft noch nicht ganz so lange, die Dauer der Remissionen liegt bei bislang bis zu ungefähr 500 Tagen.
Für das problematische Kollektiv von rezidivierten und refraktären Patienten sind dies bemerkenswerte Ergebnisse, die die weitere Untersuchung von Immun-Checkpoint-Inhibitoren beim Hodgkin-Lymphom in jedem Fall rechtfertigen.

Immuntoxin und Checkpoint-Inhibitoren kombinieren

Eine zugelassene Therapie für Patienten mit rezidiviertem bzw. refraktärem Hodgkin-Lymphom ist Brentuximab Vedotin. Während es direkt die das CD30-Antigen exprimierenden Reed-Sternberg-Zellen angreift, könnte ein Checkpoint-Inhibitor Immunreaktionen in deren Umgebung stimulieren, dachten sich Wissenschaftler der US-amerikanischen Eastern Cooperative Oncology Group (ECOG). Sie kombinierten daher bei bislang 23 Patienten Brentuximab Vedotin mit dem CTLA4-Antikörper Ipilimumab, der lediglich beim malignen Melanom zugelassen ist [5] – nicht ohne Erfolg: Von bisher 17 auswertbaren Patienten erzielten neun damit eine Komplett- und vier weitere eine partielle Remission; außerdem wurden zwei Krankheitsstabilisierungen beobachtet. Die Toxizität ist akzeptabel, so Catherine Diefenbach, New York, aber natürlich müssen noch mehr Patienten behandelt werden. Geplant ist auch die Eröffnung weiterer Kohorten, in denen Brentuximab Vedotin zusammen mit Nivolumab und mit der Kombination aus Ipilimumab und Nivolumab getestet werden soll.

Tumorlast – mit PET gemessen – wichtig für Therapieergebnis

Das PET wird immer wichtiger bei der Diagnose und Behandlung lymphatischer Erkrankungen. Die Frage der korrekten Auswertung ist dabei keineswegs trivial: So gibt es Hinweise, dass ein Parameter wie das metabolische Gesamtvolumen vor Beginn der Therapie, gemessen mittels PET, beim Hodgkin- ebenso wie beim diffus-großzelligen B-Zell-Lymphom (DLBCL) ein prognostischer Faktor sein könnte. Das scheint insbesondere bei der Therapie mit monoklonalen Antikörpern zu gelten, weil die Exposition der Tumorzellen gegenüber einer fixen Dosis eines Antikörpers sehr wohl vom Gesamtvolumen der Tumorläsionen beeinflusst werden könnte. Bei jungen Patienten mit Hochrisiko-DLBCL hat die französische LYSA-Gruppe schon gezeigt, dass das metabolische Gesamtvolumen zu Beginn das Therapieergebnis mitbestimmt [6]. In Orlando stellten die französischen Hämatologen eine entsprechende Untersuchung bei 41 Patienten mit stark vorbehandeltem Hodgkin-Lymphom vor, die mit Brentuximab Vedotin behandelt wurden [7]. Zu Beginn sowie nach vier bis sechs Zyklen der Therapie wurde ein PET durchgeführt; anhand der zweiten Untersuchung wurden die Patienten in eine Gruppe mit kompletter metabolischer Remission (n = 23) und eine mit weniger gutem Ansprechen (n = 18) eingeteilt.
Das metabolische Gesamt-Tumorvolumen vor Beginn der Therapie, bestimmt mittels einer halbautomatisierten Methode, lag zwischen 14 und 213 cm3. Der Medianwert in der Gruppe mit komplettem Ansprechen war signifikant niedriger (30 versus 96 cm3). Die nodale Komponente dieses metabolischen Volumens machte in dieser Gruppe signifikant mehr vom gesamten Volumen aus, während in der Gruppe ohne Komplettremission das extranodale Volumen dominierte. Hingegen unterschieden sich die beiden Arme nicht hinsichtlich des maximalen SUV-Wertes der am stärksten markierten Läsion zu Beginn sowie bezüglich der klinischen Charakteristika.
Offenbar, so Yassine al Tabaa, Montpellier, spielt das Gesamtvolumen an metabolisch aktivem Lymphom-Gewebe sowie eine extranodale Lokalisation eine beträchtliche Rolle beim Ansprechen – zumindest auf die Monotherapie des fortgeschrittenen Hodgkin-Lymphoms mit Brentuximab Vedotin. Man kann nun spekulieren (und dann in klinischen Studien testen), ob es sinnvoll wäre, die Dosis des Antikörper-Toxin-Konjugats – oder auch von Antikörpern generell – individuell an die metabolische Tumorlast anzupassen und damit vielleicht die Wirksamkeit bei Patienten mit hoher Tumorlast zu optimieren.

Literatur
1. Casasnovas O et al. ASH 2015, Abstract #577.
2. Borchmann P et al. ASH 2015, Abstract #580.
3. Ansell S et al. ASH 2015, Abstract #583.
4. Armand P et al. ASH 2015, Abstract #584.
5. Diefenbach CS et al. ASH 2015, Abstract #585.
6. Casasnovas O et al. Hematol Oncol 2015; 33: 144-5 (ICML-13 2015, Abstract #083).
7. Al Tabaa Y et al. ASH 2015, Abstract #588.

Josef Gulden