Maligne Erkrankungen des Mund-Rachenraums und des Kehlkopfs sind die sechsthäufigste Tumorentität weltweit. Verschiedene Therapieoptionen stehen dafür alleine oder in Kombination zur Verfügung: chirurgische Resektion, Radiotherapie, Chemotherapie sowie eine zielgerichtete Therapie mit dem EGFR-Antikörper Cetuximab (Erbitux®).
Kopf-Hals-Tumoren – zu 90% Plattenepithelkarzinome (Squamous Cell Carcinoma of the Head and Neck, SCCHN) – nehmen nach Angaben von Prof. Oliver Kölbl, Regensburg, stetig zu. Erschwerend kommt hinzu, dass ca. 80% der Erkrankungen erst in einem lokal fortgeschrittenen Stadium mit entsprechend schlechterer Prognose diagnostiziert werden. Ein Grund dafür dürften die sehr unterschiedlichen und unspezifischen Symptome sein: nicht heilende Wunden im Mund-Rachen-Raum, permanente Heiserkeit, Veränderungen der Stimme (meist bei Kehlkopfbefall), Beschwerden beim Kauen, Schlucken, Sprechen oder Atmen, weiße oder rote Plaques, Blutungen im Mund, häufig verstopfte oder blutende Nase, Schwellungen des Kiefers bzw. Nackens sowie anhaltende Schmerzen oder Taubheitsgefühle im Gesicht. Da solche Symptome auch bei anderen Erkrankungen auftreten, wird der Tumor meist erst sehr spät diagnostiziert. 44% der Tumoren sind in der Mundhöhle lokalisiert, 33% im Rachenraum und 23% am Kehlkopf. In mehr als der Hälfte der Fälle kommt es nach der ersten Behandlung zu einem Rezidiv.
Risikofaktoren, Diagnose und Klassifikation
Größter Risikofaktor für die Entstehung eines SCCHN ist Tabakrauch (85% der Patienten sind starke Raucher), an zweiter Stelle kommen hochprozentige Spirituosen, wobei die Kombination von Tabak- und Alkoholkonsum das Risiko noch einmal deutlich erhöht. Als weitere Risikofaktoren gelten starke Sonnenexposition nach Irritation, geringer Verzehr von Obst und Gemüse, schlechte Mundhygiene sowie mechanische Irritationen (z. B. Asbest, Holzstaub, Lackdämpfe). Außerdem sind humane Papilloma-Viren (HPV) Auslöser nicht nur von Gebärmutterhalskrebs, sondern auch von vielen Kopf-Hals-Tumoren (besonders im Oropharynx und gerade bei jungen Männern), so Kölbl. Selbst Reflux-Erkrankungen werden mit der Entstehung von SCCHN in Verbindung gebracht. Alter und Geschlecht spielen ebenfalls eine Rolle: Der Gipfel der Erkrankungshäufigkeit liegt um das 60. Lebensjahr, Männer und Frauen erkranken im Verhältnis 4:1.
Während die Prognose im Frühstadium (I u. II) relativ gut ist, wird das Stadium IV zusätzlich unterteilt in die Stadien IVa (operabel), IVb (inoperabel) oder IVc (mit Fernmetastasen). Entsprechend variabel ist die Prognose: Bei Rezidiven oder Metastasen liegt die mediane Überlebenszeit bei nur sechs bis neun Monaten. Die 5-Jahres-Überlebensrate beträgt bei auf die Stimmlippen-Region begrenzten Kehlkopf-Tumoren über 90%, hingegen bei den meist spät diagnostizierten Tumoren von Mundhöhle und Rachen 50% und weniger.
Zielgerichtete Tumortherapie
Die Therapie des SCCHN – primär konservativ oder primär operativ – sollte sich möglichst nach dem Patientenwunsch richten, da die Lebensqualität auch eine große Rolle spielt. Ziel dabei ist der Erhalt der Organfunktionen besonders von Kehlkopf und Zunge.
Standard für resektable Tumoren ist die komplette chirurgische Entfernung mit anschließender Strahlentherapie. Tumoren, die aufgrund ihrer Größe nicht operabel sind, können gegebenenfalls durch eine neoadjuvante Chemotherapie verkleinert werden. Bei nicht vollständig entfernbaren und/oder extrakapsulär wachsenden Tumoren mit Lymphknotenbefall empfehlen die Leitlinien anschließend eine simultane Radiochemotherapie auf Platin-Basis, ebenso, wenn eine Operation zu massiven Funktionseinschränkungen führen würde oder die Prognose zu schlecht ausfiele. Die simultane Radiochemotherapie ist nach den EHNS-ESMO-
ESTRO-Leitlinien auch Standard bei nicht-resektablen Tumoren.
Die Zugabe der Chemotherapie verlängert zwar die Überlebenszeit, lässt jedoch die Toxizität ansteigen. Alternativ raten die Leitlinien zum Einsatz einer Radiotherapie in Kombination mit dem EGFR-Antikörper Cetuximab (Erbitux®): Im Vergleich zur alleinigen Bestrahlung ermöglicht er eine höhere Ansprechrate sowie ein längeres progressionsfreies und Gesamtüberleben. Cetuximab ist seit 2006 zur Behandlung lokal fortgeschrittener Plattenepithelkarzinome von Kopf und Hals in Kombination mit einer Radiotherapie zugelassen (auf der Basis der Bonner-Studie), seit 2008 auch zur First-line-Therapie des rezidivierten/metastasierten SCCHN in Kombination mit einer platinhaltigen Chemotherapie (Cis- oder Carboplatin plus 5-Fluoruracil). Grundlage für diese Zulassung war die EXTREME-Studie, die erstmals seit über 30 Jahren einen signifikanten Überlebensvorteil (um median 2,7 Monate) eines neuen Wirkstoffs in dieser Indikation belegen konnte. Daraufhin wurde die Zugabe von Cetuximab zu einer platinbasierten Chemotherapie mit dem höchsten Empfehlungsgrad in die aktuellen EHNS-ESMO-ESTRO-Leitlinien aufgenommen.
Die 2-armige, randomisierte
TPExtreme-Studie startete 2014 in Frankreich und Spanien, in Deutschland ist sie aktuell in Planung: Diese offene Phase-II-Studie vergleicht bei 416 Patienten mit rezidiviertem/metastasiertem SCCHN die Gabe von bis zu vier Zyklen Docetaxel/Platin/Cetuximab mit dem 5-FU-haltigen Regime (5-FU/Platin/Cetuximab) über sechs Zyklen hinaus, um herauszufinden, ob sich die Prognose durch die Modifikation des Chemotherapie-Anteils weiter verbessern lässt. Erste Ergebnisse werden 2017 erwartet. Das Konzept basiert auf der französischen GORTEC-Studie, bei der in der Erstlinie mit bis zu vier Zyklen Docetaxel/Platin plus Cetuximab eine mediane Gesamtüberlebenszeit von 14 Monaten erzielt wurde.
Hautreaktionen beweisen höheres Ansprechen
Hautreaktionen, meist im Gesicht, an Dekolleté und Rücken, gehören zu den häufigsten Nebenwirkungen einer Therapie mit EGFR-Inhibitoren. Sie beeinträchtigen die Lebensqualität, andererseits sind sie, so betonte Dr. Karin Potthoff, Heidelberg, ein Hinweis auf ein gutes Ansprechen. Bei mildem Verlauf helfen (prophylaktisch) Antibiotika-haltige Cremes, eventuell topische Kortikosteroide sowie Vitamin K3 oder K1, bei schwerem Verlauf orales Tetracyclin.
Helga Vollmer
Satellitensymposium „Kopf-Hals-Tumore: Behandlungsrealitäten und Herausforderungen“ im Rahmen der 21. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie
(DEGRO) am 26. Juni 2015 in Hamburg, veranstaltet von Merck Serono GmbH, Darmstadt.