„Nach Präzisionsmedizin und Immunonkologie kommt nun die Ära der Immunmikroonkologie“, prophezeite Prof. Laurence Zitvogel vom Gustave Roussy Cancer Center in Villejuif Grand Paris, Frankreich, in ihrer Keynote-Lecture beim 20. Kongress der European Association of Dermato-Oncology (EADO) Anfang April 2024 in Paris. Die Wissenschaftlerin bezog sich dabei auf die sich mehrenden Erkenntnisse zum Einfluss des Darmmikrobioms auf den Verlauf und die Behandlung von Krebserkrankungen – insbesondere auf die Immuntherapie.
Schon länger gibt es Hinweise darauf, dass das Mikrobiom – also die Gesamtheit aller Mikroorganismen (Bakterien, Archaeen, Viren, Pilze und Protozoen), die unseren Darm oder die Haut besiedeln – das Immunsystem, den Stoffwechsel und das Hormonssystem des Menschen beeinflussen können. Vermutlich spielt das Mikrobiom auch eine wichtige Rolle bei entzündlichen, infektiösen und tumorösen Erkrankungen.
Chronische Inflammation und Antibiotika schädigen Darmflora
Laut Zitvogel wirken sich Krebserkrankungen und chronisch-entzündliche Erkrankungen negativ auf die Integrität des Darmmikrobioms aus [Yonekura S et al. Science. 2023;380(6649):eabo2296]. „Das Ileum spürt die chronische Inflammation im Körper und reagiert mit einer Dysbiose zugunsten von gram-positiven Clostridium-Spezies“, erklärte sie. Diese Dysbiose moduliert die Effektivität von Immuntherapien, unter anderem bei einigen Patienten mit einem fortgeschrittenen Melanom. Findet sich nach Darstellung Zitvogels ein verändertes Darmmikrobiom mit einer Dominanz von gram-negativen Bakterien, sind die Betroffenen primär resistent auf eine PD-1-Inhibition. Weisen die Patienten hingegen ein gesundes Darmmikrobiom auf, sprechen sie gut auf die Immuntherapie an [McCulloch JA et al. Nat Med. 2022;28(3):545-556]. „Einige Bakterien stimulieren den Wirt, auf Immuncheckpoint-Inhibitoren anzusprechen, wohingegen andere immunsuppressiv wirken“, folgerte sie.
Auch Antibiotika hätten eine schädliche Wirkung auf das Darmmikrobiom und somit auf die Effektivität von Immuntherapien und die allogene Stammzelltransplantation, sagte Zitvogel.
Modulation des Darmmikrobioms unterstützt Immuntherapie
Wie auch Dr. Christina H. Scheel und Vasileios Dervenis, Bochum, in ihrem Beitrag „Metastasiertes Melanom: Neue Kombinationstherapien und Studienansätze“ darstellen, deuten präklinische und klinische Studien darauf hin, dass die Modulation des Darmmikrobioms durch Maßnahmen wie Ballaststoffe, Probiotika und fäkale Mikrobiota-Transplantation (FMT) möglicherweise das Ansprechen und die Resistenz auf die ICI beim fortgeschrittenen Melanom verbessern könnten.
So profitierte in einer Phase-I-Studie ein Drittel der Melanompatienten von einer FMT mit dem Stuhl gesunder Spendenden plus einer Anti-PD-1-Therapie, indem sich der Darm der Patienten mit immunogenen Bakterien anreicherte und zunehmend schädliche verloren gingen. [Routy B et al. Nature Med. 2023;29(8): 2121-32]. Zudem komme es bei einer FMT zur Reprogrammierung des Immunsystems und der Tumormikroumgebung sowie zur Modifikation des Wirtmetabolismus, erklärte Zitvogel.
Laufende Studien, wie beispielsweise die randomisierte Studie PICASSO, sollen die Immuntherapie-unterstützende Wirkung der FMT bei Melanompatienten evaluieren. Zitvogel und ihr Team wollen darüber hinaus zukünftig anhand von molekularbiologischen Tests voraussagen, welche Patienten voraussichtlich von einer Immuntherapie profitieren werden und wer aufgrund einer Darmdysbiose – zum Beispiel aufgrund einer Antibiotikatherapie – eine zusätzliche FMT benötigen könnte. Sollte dies gelingen, würde tatsächlich die Ära der Immunmikroonkologie beginnen.