Bei therapeutischen Konsequenzen molekulare Marker testen
Jede Patientin mit Mammakarzinom, die die Voraussetzungen für eine gezielte Therapie erfüllt, muss laut AGO Mamma einer entsprechenden Testung zugeführt werden (AGO++). Die Keimbahn-BRCA1/2(gBRCA1/2)-Testung beispielsweise wird jetzt unabhängig von der familiären Risikokonstellation mit „Doppelplus“ empfohlen (1b A ++). Besteht die Indikationsstellung für einen PARP-Inhibitor – adjuvant, postneoadjuvant oder im metastasierten Setting –, kann die gBRCA1/2-Testung ohne budgetäre Nachteile über die EBM-Ziffer veranlasst werden. Das gilt auch für weitere Risikogene, sobald eine therapeutische Relevanz besteht beziehungsweise wenn die Kriterien für eine genetische Testung erfüllt sind (2b B ++).
Prädiktive Pathologie zum endokrinen Ansprechen
Zum Thema prädiktive Pathologie der endokrinen Responsivität wurde ein neues Dia erarbeitet. Für die immunhistochemische Detektion des Östrogen- und Progesteronrezeptors (ER/PR) wurde eine „Doppelplus“-Empfehlung (1a A ++) für die Angabe des Prozentsatzes positiver Tumorzellkerne vergeben, um Tumoren mit niedriger ER-Expression (ER ≥ 1–10 %) zu definieren, die zwar per definitionem als ER-positiv gelten, deren endokrine Sensibilität jedoch fraglich ist.
Bei Nachweis einer aktivierenden ESR1-Mutation ist laut AGO Mamma von einer erworbenen sekundären endokrinen Resistenz unter der Therapie mit dem Aromatasehemmer (AI) auszugehen (1b A +). Den Abfall des Proliferationsmarkers Ki67 nach kurzer präoperativer endokriner Induktionstherapie über drei bis vier Wochen wurde als Marker für eine endokrine Sensitivität und gegen den Einsatz einer adjuvanten Chemotherapie beim frühen hormonrezeptorpositiven und HER2-negativen (HR+/HER2–) Mammakarzinom bewertet (1b A +).
Neuer Strategiealgorithmus
Zum Stellenwert von Ki67 im Rahmen der kurzen endokrinen Induktionstherapie beim frühen HR+/HER2– Mammakarzinom wurde erstmals ein Strategiealgorithmus zum diagnostischen Vorgehen erstellt. Ist aufgrund der klassischen klinischen Faktoren unklar, ob eine Chemotherapieindikation besteht oder nicht, wird im therapienaiven Gewebe eine Genexpressionanalyse durchgeführt. Bei weiterhin unklarer Risikosituation schließt sich eine drei- bis vierwöchige endokrine Induktionstherapie an, um den Ki67-Verlauf unter endokriner Therapie zu verfolgen (sog. dynamischer Ki67).
Fällt der Ki67-Wert auf ≤ 10 %, ist von einer endokrinen Sensitivität auszugehen, und es kann auf eine Chemotherapie verzichtet werden. Steigt der Ki67-Wert unter der endokrinen Induktionstherapie beziehungsweise fällt er nicht unter 10 %, besteht eine Chemotherapieindikation.
Marker für die Therapieindikation
- Beim HR+/HER2– metastasierten Mammakarzinom wurde der Nachweis einer aktivierenden ESR1-Mutation als Marker für die Indikation von Elacestrant auf „Doppelplus“ (1b B ++) angehoben. Die gleiche Bewertung gab es im Rahmen der Mutationsdiagnostik für die ESR1-Testung.
- Den Nachweis von PIK3CA/AKT1/PTEN-Alterationen im Primärtumor, in der Metastase oder im Plasma hat die AGO Mamma als Marker für den Einsatz von Capivasertib neu aufgenommen. Dies basiert auf den Daten der CAPItello-291-Studie [1]. Da Capivasertib (+ Fulvestrant) noch nicht zugelassen ist, gab es kein „Doppelplus“, sondern eine „Plus“-Empfehlung (1b A +).
- Neu ist auch die „Plus“-Empfehlung (2b B +) für den Einsatz der PARP-Inhibitoren bei Nachweis einer somatischen BRCA1/2(sBRCA1/2)- sowie einer Keimbahn-PALB2(gPALB2)-Mutation in der metastasierten Situation. Auch hier schließt die Empfehlung die Mutationsdiagnostik ein.
(Post-)Neoadjuvante Systemtherapie
Unverändert empfiehlt die AGO Mamma bei Chemotherapieindikation das neoadjuvante Therapiekonzept. Für T1-Karzinome > 10 mm gilt dies mit „Doppelplus“ (2b B ++) und beim triplenegativen Mammakarzinom (TNBC) als „Kann“-Empfehlung bereits bei kleineren T1-Karzinomen (> 5–10 mm: 2b B +). Nur unter neoadjuvanter Chemo- beziehungsweise Systemtherapie (NACT/NAST) lässt sich die Effektivität der medikamentösen Therapie beurteilen und in Zusammenarbeit mit dem Pathologen und der Testung auf prädiktive und/oder prognostische Marker die postneoadjuvante Therapie individuell anpassen.
Neu ist die „Plus“-Bewertung (2a B +) für den RCB(„residual cancer burden“)-Score als subtypenunabhängigen Prognosefaktor. Der RCB-Score ist ein quantitatives Maß zur prognostischen Bewertung eines Tumorrests nach NAST. Je höher der Score beziehungsweise die RCB-Klasse, desto ungünstiger ist die Prognose. Bei niedriger RCB-Klasse kann die postneoadjuvante Therapie gegebenenfalls deeskaliert werden.
„Doppelplus“ für T-DM1 bei postneoadjuvantem Tumorrest
Eine wichtige Änderung im Rahmen der postneoadjuvanten Behandlung ist die Aufwertung der postneoadjuvanten Behandlung mit T-DM1 für Betroffene mit HER2-positivem (HER2+) Mammakarziom und invasivem Tumorrest nach NAST (non-pCR) von einem einfachen „Plus“ zum „Doppelplus“. Hintergrund für die Aufwertung sind die Daten der randomisierten Phase-III-Studie KATHERINE [2], in der T-DM1 bei den non-pCR-Erkrankten postneoadjuvant mit Trastuzumab verglichen wurde. Im Langzeit-Follow-up nach median 101 Monaten (8,4 Jahre) zeigte sich ein Vorteil im Gesamtüberleben (OS) mit einer relativen Risikoreduktion um 34 % (Hazard Ratio [HR] 0,66) zugunsten von T-DM1 – dies unabhängig von der neoadjuvant eingesetzten Anti-HER2-Therapie und dem Hormonrezeptorstatus sowie unabhängig von der Tumorgröße initial und postneoadjuvant.
Adjuvante Therapie beim HR+ Mammakarzinom
Explizit weist die AGO Mamma darauf hin, dass die initiale adjuvante Therapie beim HR+/HER2– Mammakarzinom neben der endokrinen auch die endokrinbasierte Therapie umfasst. Die endokrinen Möglichkeiten sollten ausgereizt werden, bevor auf eine Chemotherapie gewechselt wird.
Abemaciclib bei erhöhtem Risiko
Die endokrinbasierte Kombinationstherapie ist primär bei erhöhtem Rezidivrisiko indiziert. In der adjuvanten endokrinbasierten Therapie mit dem CDK4/6-Inhibitor Abemaciclib sieht die AGO Mamma eine Option (1b B +), wenn die Patienten die Kriterien der Kohorte I der MonarchE-Studie [3] erfüllen und mindestens vier befallene Lymphknoten (LK) oder ein bis drei befallene LK plus entweder einen T3- oder G3-Tumor aufweisen. Die zusätzliche zweijährige Abemaciclib-Gabe reduzierte das relative Risiko für ein invasives Rezidiv nach drei Jahren um gut 30 % versus der alleinigen endokrinen Therapie.
Assistierte Reproduktion ohne erhöhtes Risiko
Prämenopausale Patientinnen mit HR+/HER2– Mammakarzinom und Kinderwunsch können die endokrine Therapie nach mindestens 18-monatiger Dauer für maximal zwei Jahre unterbrechen, um schwanger zu werden (AGO+). Neu ist der Hinweis, dass die Schwangerschaft im Einzelfall auch mittels Kryokonservierung initiiert werden kann (4 C +/–). Die AGO Mamma verweist auf das Update der POSITIVE-Studie [4], deren prospektive Daten darauf hindeuten, dass eine assistierte Reproduktion ohne erhöhtes Rezidivrisiko für die Patientin möglich ist. Da gegen ein historisches Kollektiv verglichen wurde, vergab die AGO Mamma nur eine „Plus-/Minus“-Bewertung.
Metastasiertes Mammakarzinom
Bei der Behandlung des HR+/HER2– metastasierten Mammakarzinoms (MBC) ist first-line unverändert die endokrinbasierte Therapie mit einem CDK4/6-Inhibitor die wichtigste Behandlungsoption. Da die finale Analyse der Monarch3-Studie [5] keinen statistisch signifikanten OS-Vorteil zugunsten der Erstlinientherapie mit Abemaciclib plus nichtsteroidalem Aromatasehemmer (NSAI) gezeigt hat, bleibt es bei einer „Plus“-Empfehlung (+).
Therapieoptionen ab der Zweitlinie
Jenseits der Erstlinientherapie entscheidet sich das weitere therapeutische Vorgehen danach, ob und gegebenenfalls welche therapierelevanten Mutationen vorliegen, weshalb der ESR1-, der BRCA1/2-, der PIK3CA- und der AKT1/PTEN-Status bekannt sein müssen.
- Für Patienten, die first-line keine endokrinbasierte Therapie mit einem CDK4/6-Inhibitor erhalten haben, ist diese unabhängig vom Nachweis therapierelevanter Mutationen eine bevorzugte Therapieoption (1a A ++). Das wurde durch die SONIA-Studie untermauert [6].
- Für Erkrankte mit ESR1-Mutationsnachweis wird – bevorzugt nach längerem Ansprechen auf eine vorherige CDK4/6-Inhibition – der orale selektive Östrogenrezeptor-Degrader (SERD) Elacestrant empfohlen (1B B +). Die Patienten sollten mindestens sechs Monate auf eine CDK4/6-Inhibitor-basierte Vortherapie angesprochen haben. Je besser das Ansprechen auf den CDK4/6-Inhibitor, desto effektiver scheint Elacestrant zu wirken [7].
- Obwohl die Zulassung noch aussteht, empfiehlt die AGO Mamma bei Nachweis einer PIK3CA-Mutation oder von AKT1- beziehungsweise PTEN-Alterationen den AKT-Inhibitor Capivasertib in Kombination mit Fulvestrant (1b B +). Verwiesen wird auf die Daten der CAPItello-291-Studie [8], in der bereits ein großer Teil der Patienten mit einem CDK4/6-Inhibitor vorbehandelt war. Die EMA-Zulassung von Capivasertib/Fulvestrant wird erwartet.
HR+/HER2– MBC: „Doppelplus“ für SG
Beim HR+/HER2– MBC kommt die Chemotherapie in der Regel erst nach Versagen der endokrinbasierten Behandlung beziehungsweise bei endokrin refraktären Tumoren zum Einsatz. Beim HR+/HER2– MBC hat die AGO Mamma das Anti-Trop2-gerichtete Antikörper-Wirkstoff-Konjugat (ADC) Sacituzumab-Govitecan (SG) mit „Doppelplus“ aufgewertet; sie empfiehlt den Einsatz jetzt – unter Berücksichtigung der in der Fachinformation genannten Anforderungen an die Vortherapie – ab der zweiten Therapielinie (1b A ++).
Bislang hatte nur das Anti-HER2-gerichtete ADC Trastuzumab-Deruxtecan (T-DXd) beim HR+/HER2-low (IHC 1+) MBC eine „Doppelplus“-Empfehlung (1b A ++). Zu beachten ist, dass in den beiden Zulassungsstudien unterschiedliche Patientenkollektive eingeschlossen waren, was sich im jeweiligen Zulassungstext wiederfindet. Für beide ADCs gilt, dass die Patienten chemotherapeutisch vorbehandelt sein müssen.
mTNBC: Modifikationen ab der Zweitlinie
Beim metastasierten triplenegativen Mammakarzinom (mTNBC) müssen für eine adäquate Therapieentscheidung der PD-L1- und der Keimbahn-BRCA1/2(gBRCA1/2)-Status vorliegen. Patienten mit PD-L1-positivem mTNBC erhalten first-line zusätzlich zur Chemotherapie einen CPI, und für jene mit gBRCA1/2-Mutation ist die PARP-Inhibition eine Option, die je nach Vortherapie und therapiefreiem Intervall in der Erst- oder Zweitliniensituation eingesetzt wird. SG ist beim metastasierten TNBC ab der zweiten Therapielinie unabhängig vom BRCA1/2- und PD-L1-Status indiziert (1b A ++). Bei PD-L1-Positivität und/oder gBRCA1/2-Mutationsnachweis wird SG nach CPI und PARP-Inhibition empfohlen.
HER2+ MBC: Tucatinib/T-DM1 im Einzelfall
Beim HER2+ MBC ist T-DXd unverändert der Zweitlinienstandard (1b B ++) nach der Erstlinientherapie mit taxanbasierter Chemotherapie plus Trastuzumab/Pertuzumab. Neu ist, dass die AGO Mamma vor dem Hintergrund der HER2CLIMB-02-Studie [9] die Kombination Tucatinib/T-DM1 als Zweitlinienoption für den Einzelfall bewertet (1b B +/–).
Nach (neo-)adjuvanter Vortherapie mit Trastuzumab/Pertuzumab plus Chemotherapie kann T-DXd bereits first-line eingesetzt werden (4 D +). Dies ist insbesondere bei einem kurzen therapiefreien Intervall (TFI) eine wichtige Option. Bei langem TFI bleibt unverändert die Reinduktion von Trastuzumab/Pertuzumab plus Chemotherapie Standard (4 D ++). Für Betroffene, die noch kein T-DXd hatten, kann T-DXd auch ab der dritten Therapielinie eingesetzt werde. Diese Option wurde aufgewertet (1b B ++).