Die Menschen differieren nicht nur deutlich in ihrem biologischen Geschlecht (Sex), sondern auch im soziokulturellen Geschlecht (Gender). Wie sich Personen mit Krebserkrankungen geschlechtersensibel und personalisiert behandeln lassen – wobei neben den biologischen Geschlechterunterschieden auch soziokulturelle Einflussfaktoren berücksichtigt werden –, wird immer genauer betrachtet. Das Institut „Gender in Medicine“ ist seit dem Jahr 2007 eine eigenständige Einrichtung der Berliner Charité, und im März 2024 wurde an der Universität Magdeburg von der Ärztin Prof. Ute Seeland eine neue Stiftungsprofessur für Geschlechtersensible Medizin übernommen.
Gendermedizin bald Teil des Medizinstudiums
Nun plant die Bundesregierung sogar, die Gendermedizin als Teil des Medizinstudiums sowie der Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe zu integrieren. Die Approbationsordnung soll geändert werden, um das Fach Geschlechtersensible Medizin verpflichtend zu verankern.
Männer häufiger krebskrank
Aufgrund ihrer hormonellen Unterschiede weisen Frauen und Männer unterschiedliche Symptome auf beziehungsweise sind in unterschiedlichem Alter besonders gefährdet für bestimmte Krankheiten. So sind Männer öfter von Krebs betroffen als Frauen und sterben auch häufiger daran (weitere geschlechts- und gendersensible Aspekte im Bericht vom Deutschen Krebskongress 2024 „Maligne Erkrankungen: Geschlechts- und gendersensibel behandeln“).
Männlicher Brustkrebs
Brustkrebs gehört hier zwar sicherlich nicht zu den Krebserkrankungen, die Männer häufiger ereilen. Denn männlicher Brustkrebs betrifft weniger als 1 % der Mammakarzinome, wenngleich mit weltweit steigender Inzidenz. Jedoch unterscheidet sich die Brustkrebserkankung zwischen den beiden Geschlechtern. Als Risikofaktoren für das männliche Mammakarzinom gelten Fettleibigkeit, Hodenerkrankungen und -tumoren sowie BRCA2-Keimbahnmutationen, zudem tritt das Mammakarzinom bei Männern im Allgemeinen in einem höheren Alter auf im Vergleich zu Frauen. Der Altersgipfel liegt bei Frauen zwischen 65 und 69 Jahren, bei Männern jedoch erst zwischen 80 und 84 Jahren.
Zwei unterschiedliche Brustkrebserkrankungen
Laut der Onkopedia-Leitlinie „Mammakarzinom des Mannes“ wird histologisch bei etwa 90 % der männlichen Patienten ein invasiv duktales Karzinom gefunden; das duktale Carcinoma in situ (DCIS) macht 5–10 % der Diagnosen aus. Triplenegative Karzinome kommen nur selten bei den betroffenen Männern vor. Hingegen sind mehr als 90 % der Mammakarzinome beim Mann hormonrezeptorpositiv (HR+) und HER2-negativ (HER2–). Zunächst dachte man, das männliche Mammakarzinom sei mit dem HR+ postmenopausalen weiblichen Brustkrebs vergleichbar, aber es gibt doch signifikante Unterschiede [Fox S et al. Virchows Arch. 2022;480(1):85-93].
Der Androgenrezeptor (AR) wird bei 85–90 % der Karzinome hoch exprimiert, und circa die Hälfte des histologischen Gradings der Karzinome wird als G2 eingestuft. AR-positiver luminaler männlicher Brustkrebs ist mit einem längeren Gesamtüberleben verbunden als weiblicher Brustkrebs mit demselben Phänotyp [Shaaban AM et al. Breast Cancer Res Treat. 2012;133(3):949-58].
Auf genomischer Ebene konnten fast 1.000 Gene identifiziert werden, die in Frauen und Männern mit Brustkrebs unterschiedlich exprimiert werden, wobei die Gene für Energiestoffwechsel, Matrix Remodelling, Immunzellrekrutierung und translationale Regulierung in beiden Geschlechtern verschieden waren [Callari M et al. Breast Cancer Res Treat. 2011;127(3):601-10]. Das männliche Mammakarzinom exprimiert weniger PD-1 („programmed death-ligand 1“). Dies könnte ein unterschiedliches Ansprechen von Frauen und Männern mit Brustkrebs auf PD-L1-Checkpoint-Inhibitoren bedingen [Manson QF et al. Target Oncol. 2018;13(6):769-77].
Liegen CD8-positive Lymphozyten beim männlichen Mammakarzinom vor, ist dies mit einem kürzeren Überleben assoziiert [Lees T et al. Endocr Relat Cancer. 25(7):773-81].
Fehlende Früherkennung
Im Gegensatz zum weiblichen Mammakarzinom gibt es kein Brustkrebs-Früherkennungsprogramm für Männer. Empfohlen wird zumindest eine genetische Beratung auch für die Männer, wenn in der Familien eine BRCA2-Mutation vorliegt.
Ein Früherkennungsprogramm auch auf das Klinefelter-Syndrom könnte laut der Onkopedia-Leitlinie sinnvoll sein, da die Betroffenen mit einem 20- bis 60-fach erhöhten Risiko für ein männliches Mammakarzinom belastet sind.
Männer in Brustkrebsstudien
Bis vor Kurzem wurden Männer von Brustkrebsstudien ausgeschlossen. Dies ändert sich gerade. Das International Male Breast Cancer Programme wird seit dem Jahr 2006 von der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC) koordiniert und läuft unter dem Schirm der Breast International Group (BIG) and deren US-Entsprechung North American Breast Cancer Group (NABCG). Ziel dieses Programms ist es, die Biologie und Evolution von männlichem Brustkrebs besser zu verstehen, um damit die Therapie effektiver zu gestalten.
In die deutsche Phase-II-Studie MALE wurden nur Männer mit Brustkrebs aufgenommen [Reinisch M et al. JAMA Oncol. 2021;7(4):565-72]. Die endokrine Therapie mit Tamoxifen oder Aromatase-Inhibitor plus Gonadotropin-Releasing-Hormone-Agonist (GnRHa) versus Tamoxifen-Monotherapie reduziert das zirkulierende Östradiol, was zu einer gesenkten sexuellen Funktion und Lebensqualität geführt hat.
In den vergangenen Jahrzehnten wurde demnach begonnen, die Biologie, Pathologie und das Management des männlichen Mammakarzinoms zu verbessern. Wichtig scheint hierbei die Unterscheidung vom weiblichen Brustkrebs.