Trillium Krebsmedizin widmet sich zwei Tumorerkrankungen, die – nicht zuletzt aufgrund der ungünstigen Prognose in fortgeschrittenen Stadien – therapeutisch besonders herausfordernd sind: dem hepatozellulären Karzinom (HCC) und dem Pankreaskarzinom. Beiden gemeinsam ist, dass präzisionsonkologische Ansätze zunehmend an Bedeutung gewinnen, doch steckt dieser Prozess beim Pankreaskarzinom – anders als beim HCC – noch in den Kinderschuhen. Fortschritte im Bereich der Immunonkologie betreffen momentan im Wesentlichen ebenfalls das HCC.
Wie Anna Saborowski und Arndt Vogel von der Medizinischen Hochschule Hannover in gleich zwei Schwerpunktbeiträgen berichten, hat sich die Prognose für Patient:innen mit HCC in den vergangenen Jahren durch innovative neue Optionen deutlich verbessert. Inzwischen steht ein großes Spektrum an modernen lokalen, aber auch systemischen Therapieoptionen zur Verfügung, sodass s die Auswahl heute so groß ist wie noch niemals zuvor. Die Bandbreite an Therapien reicht von der Lebertransplantation über die chirurgische Resektion und die perkutane Ablation und Bestrahlung bis hin zu transarteriellen und systemischen Therapien.
Gerade die systemische Therapie in fortgeschrittenen Tumorstadien hat sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt. Nachdem der Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) Sorafenib über viele Jahre die einzige zugelassene systemische Behandlungsmöglichkeit darstellte, stehen heute weitere, vielversprechende Optionen zur Verfügung, einschließlich anderer TKI und Immuncheckpoint-Inhibitor-basierter Therapien.
Das erweiterte Therapiespektrum eröffnet neue Perspektiven für Betroffene, macht die Behandlung aber auch schwieriger, weil das Prinzip „one fits all“ bei dieser Tumorerkrankung nicht mehr gilt. Stattdessen muss geklärt werden, welche Medikation in der ersten Therapielinie für die individuelle Patientin bzw. den individuellen Patienten am erfolgversprechendsten ist und wie auf dieser Basis eine sinnvolle Sequenztherapie gestaltet werden kann. Beide Aspekte werden in den Schwerpunktbeiträgen zum HCC behandelt.
Der erste Beitrag stellt neben den interdisziplinären Behandlungskonzepten in frühen und intermediären Erkrankungsstadien die systemischen Behandlungsoptionen in der Erstlinie vor, die derzeit vier zugelassene Optionen auf der Basis von TKI- und Checkpoint-Inhibitor-basierten Therapien umfassen. Als zunehmend wichtigen Aspekt weisen die Autor:innen auch auf die Möglichkeiten zur Primärprävention des HCC hin. Dies ist insofern von hoher Relevanz, als die einem HCC meist zugrunde liegende Leberzirrhose immer häufiger durch – stark lebensstilbedingte – nicht alkoholische Fettlebererkrankungen verursacht wird. Hier eröffnet sich ein weites Feld für primärpräventive Strategien, die etwa auf die Vorbeugung des metabolischen Syndroms (die nicht alkoholische Fettleber-erkrankung ist dessen hepatische Manifestation), aber nach wie vor auch auf die Vermeidung von Alkoholabusus und den Schutz vor chronischen Infektionen mit Hepatitis-B- oder -C-Viren zielen.
Der zweite Beitrag des Autorenteams widmet sich der Sequenztherapie des HCC und der in diesem Kontext zunehmenden Bedeutung biomarkergestützter Behandlungsstrategien. Denn um die optimale Sequenz der Behandlungsmöglichkeiten zu definieren und den Weg für eine individuelle Präzisionsmedizin beim HCC zu bahnen, werden zukünftig prädiktive Biomarker in allen Krankheitsstadien identifiziert, validiert und in die klinische Praxis implementiert werden müssen. Der Beitrag fokussiert daher nicht nur auf die derzeit verfügbaren Systemtherapien in der Zweitlinie, sondern spannt den Bogen zu einer zukünftigen biomarkergestützten Behandlung.
Während beim fortgeschrittenen HCC trotz der immer noch beschränkten Überlebenschancen für Betroffene in den kommenden Jahren weitere Verbesserungen der Therapieergebnisse erwartet werden dürfen, stellt sich die Situation beim Pankreaskarzinom derzeit deutlich ungünstiger dar.
Diese Entität ist wegen ihrer ausgeprägten Aggressivität und der frühen Metastasierung und Gefäßinvasion weiterhin mit einer sehr schlechten Prognose verbunden – auch deshalb, weil der Tumor in 85 % der Fälle bei Erstdiagnose bereits nicht mehr resektabel ist. Selbst wenn eine operative Resektion mit anschließender adjuvanter Chemotherapie möglich ist, leben nach 3 Jahren nur noch 20 bis 40 % der Betroffenen krankheitsfrei, berichtet unser Autorenteam um Klara Dorman und Stephan Böck vom Klinikum der LMU München. Das Pankreaskarzinom ist und bleibt somit ein Problemtumor.
Während TKI- und Immuntherapien beim fortgeschrittenen HCC bereits etabliert sind, müssen Behandelnde beim Pankreaskarzinom weiterhin auf Chemotherapien setzen. Die Standardtherapie im metastasierten Setting sind die Kombinationstherapien FOLFIRINOX oder Gemcitabin/nab-Paclitaxel, bei
Erkrankten mit reduziertem Allgemeinzustand auch eine Gemcitabin-Monotherapie oder eine reine Supportivtherapie.
Doch es gibt auch erste Hoffnungsschimmer im Hinblick auf innovative Behandlungsansätze, von denen bislang allerdings nur überschaubare Subgruppen von Patient:innen profitieren können. So können Erkrankte mit einer BRCA1/2-Keimbahnmutation nach Ansprechen auf eine Platin-haltige Therapie von einer Erhaltungstherapie mit dem PARP-Inhibitor Olaparib profitieren. Patient:innen, die für eine Platin-haltige Therapie geeignet sind, sollten deshalb zeitnah eine BRCA-Keimbahndiagnostik erhalten, damit nach Ansprechen auf die Platin-haltige Chemotherapie bzw. nach Stabilisierung der Erkrankung eine Erhaltungstherapie evaluiert werden kann.
Obwohl eine erweiterte molekulargenetische Testung zur Identifikation therapierbarer Alterationen eine größer werdende Rolle spielt, lässt sich bisher nur ein sehr geringer Teil der Pankreaskarzinome mit zielgerichteten Therapien behandeln.
Eine molekulare Testung via Next Generation Sequencing (NGS) ist insbesondere an Studienzentren empfohlen, um geeignete Patient:innen für klinische Studien mit zielgerichteten Therapien zu identifizieren. Gerade bei jungen Erkrankten und Patient:innen mit KRAS-Wildtyp-Status kann eine NGS-Testung sinnvoll sein. Da beim Pankreaskarzinom allerdings nur selten behandelbare genetische Alterationen vorliegen und um langfristig wirksamere Therapieoptionen bereitstellen zu können, ist weitere intensive Forschung notwendig. Das gilt für Chemotherapien ebenso wie für zielgerichtete Behandlungsansätze und Immuntherapien.
Letztere betreffen derzeit ausschließlich Tumoren mit hoher Mikrosatelliteninstabilität (MSI-h), die allerdings nur in einer Häufigkeit von etwa 2 % vorkommen. Da bei MSI-h-Pankreaskarzinomen mit einer Checkpoint-Inhibition im Einzelfall positive Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf möglich erscheinen, sollte angestrebt werden, entsprechende Erkrankte zu identifizieren und sie im Rahmen einer Studie oder nach Off-Label-Antrag zu behandeln. Denn die Zulassung für eine solche Therapie fehlt derzeit in der EU noch.
Hinweisen möchte ich noch auf aktuelle Kongressberichte in diesem Heft. Der Bericht vom 38th Annual EAU Congress 2023 fasst aktuelle Studiendaten zu urologischen Tumoren für Sie zusammen, mit Fokus auf Prostata-, Nierenzell- und papillärem Blasenkarzinom.
Der Bericht vom Annual Meeting on Women’s Cancer der Society of Gynecologic Oncology (SGO) 2023 stellt Ihnen praxisverändernde Daten zum Endometriumkarzinom (EC) vor. Im Rahmen des Kongresses wurden gleich zwei positive Phase-III-Studien zur Kombination von Checkpoint-Inhibition und Chemotherapie beim fortgeschrittenen/rezidivierten EC präsentiert. In beiden Studien verlängerte die Addition eines PD-1-Inhibitors zur Standardchemotherapie die progressionsfreie Zeit betroffener Frauen in bisher nicht gekanntem Ausmaß – auch ohne Mismatch-Reparatur-Defizienz.
Der Bericht vom Acute-Leukemias-Meeting 2023 bringt Ihnen kompetent und verständlich aktuelle Studiendaten zur AML näher.
Freuen können Sie sich auch auf den sechsten Teil unserer Serie zur Biostatistik in der Onkologie, in dem es um den Vorhersagewert von Krebsfrüherkennungstests geht. Mit dem aktuellen Beitrag endet unsere Statistik-Serie, doch ab der kommenden Ausgabe von Trillium Krebsmedizin erwartet Sie schon die nächste Serie – diesmal zum spannenden Thema Digitalisierung in der Onkologie.