„Das Lungenkarzinom ist die Modell-erkrankung für die personalisierte Onkologie“, betonte Prof. Sonja Loges, Mannheim, im Rahmen des Onkologischen Symposiums 2022. Das sei darin begründet, dass eine große Anzahl an Treibermutationen und Fusionen bekannt sei, die eine Rolle bei der onkogenen Transformation spielen. Die Rolle der Amplifikationen sei dagegen noch nicht abschließend geklärt. „Wir können mittlerweile über 50 % der Patient:innen mit Lungen-Adenokarzinomen mit molekular zielgerichteten Substanzen – überwiegend Tyrosinkinase-Inhibitoren – behandeln.“
Auch für Patient:innen ohne nachweisbare Treiberalterationen stehen mit der Immunonkologie inzwischen effektive Optionen zur Verfügung. Loges erinnerte in diesem Kontext daran, dass die Immuntherapie aufgrund ihres Einsatzes in Abhängigkeit vom Marker PD-L1 heute ebenfalls personalisiert stattfinde. So kann etwa bei Patient:innen, die diesen Marker in hohem Maße exprimieren, eine Monotherapie mit einem Checkpoint-Inhibitor in Erwägung gezogen werden, während ansonsten bevorzugt die Kombination aus einem Checkpoint-Inhibitor mit einer Chemotherapie zum Einsatz kommt.
„Letztlich ist die Therapie für alle Patient:innen mit NSCLC personalisiert“, so die Mannheimer Thoraxonkologin.
Längeres Überleben
Zielgerichtete Therapien tragen erheblich dazu bei, die Überlebenszeit von Patient:innen mit NSCLC zu verlängern. Wie Loges berichtete, weisen hochrangig publizierte Daten aus Deutschland, den USA und Frankreich darauf hin [1–3]. Inzwischen zeigten aktuelle Studien und Registerauswertungen mit sequentiellen Therapien und Nächstgenerations-Inhibitoren sogar noch bessere Überlebensergebnisse als die genannten Publikationen aus den Jahren 2013 bis 2016.
Ohne molekulare Testung geht nichts
Alle Patient:innen mit NSCLC sollten vor Einleitung einer Erstlinientherapie NGS(Next Generation Sequencing)-basiert breit molekular getestet werden, um alle relevanten Biomarler zu identifizieren, betonte Loges. Allerdings sei die Testfrequenz in Deutschland nach wie vor unbefriedigend. „Selbst bei EGFR-Testungen gibt es noch Lücken. Daran müssen wir arbeiten.“
Liquid Biopsy gewinnt immer mehr an Bedeutung
Neben der Gewebediagnostik gewinnt das Verfahren der Liquid Biopsy immer mehr an Bedeutung. Laut Loges aus gutem Grund: Die Gewebediagnostik hat den Nachteil, dass die Probenentnahme invasiv erfolgen muss und das Probenmaterial mengenmäßig begrenzt und zudem nicht immer repräsentativ für die Gesamttumorlast ist. Dagegen kann das nicht invasive Verfahren der Liquid Biopsy im Behandlungsverlauf komplikationslos wiederholt werden. Es ist zudem davon auszugehen, dass die Flüssigprobe die Gesamttumorlast gut repräsentiert und abdeckt.
Die Analyse der zirkulierenden Tumor-DNA (ctDNA) kann entweder in Form einer Panelsequenzierung oder mittels „digital droplet PCR“ (ddPCR) erfolgen. Das erstgenannte Verfahren hat den Vorteil, dass eine Vielzahl von Genen gleichzeitig analysiert werden kann. Dagegen untersucht die ddPCR gezielt einzelne Alterationen, ist dabei aber sensitiver als die Paneldiagnostik. Laut Loges kann die Liquid Biopsy besonders hilfreich bei der Therapieüberwachung und dem Nachweis von Resistenzen unter laufender, molekular basierter Therapie eingesetzt werden. Denn bei Resistenzentwicklung gegenüber zielgerichteten Substanzen seien eine erneute Probennahme und eine weitere molekulare Testung nötig.
Eine Liquid Biopsy sollte mindestens dann zum Einsatz kommen, wenn eine Gewebediagnostik nicht durchführbar oder nicht aussagekräftig ist, sagte Loges. In der „idealen Welt“ seien sogar beide Verfahren gemeinsam hilfreich, um ein Maximum an Information über den Tumor zu gewinnen. Derzeit werde daran gearbeitet, dass Liquid Biopsies verstärkt auch in die Kostenerstattung integriert werden.
Moderne Netzwerke
Spezialsprechstunden, molekulare Tumorboards oder Netzwerke (z. B. nNGM, NCT/DKFZ/DKTK MASTER) sind laut Loges bedeutsam, um moderne, komplexe Medizin verantwortungsvoll und patienten-orientiert durchführen zu können. So sollte jede:r Krebspatient:in die Möglichkeit zur Testung und anschließenden Vorstellung in einem molekularen Tumorboard haben.
Als bedeutendes Netzwerk beim NSCLC stellte Loges das Nationale Netzwerk Molekulare Medizin (nNGM) vor, das von der Universität Köln (Prof. Jürgen Wolf, Prof. Reinhard Büttner) koordiniert wird und deutschlandweit inzwischen 23 Netzwerkzentren, 175 Praxen/MVZs sowie 189 Krankenhäuser umfasst. Im Jahr 2021 wurden rund 15.000 Erkrankte mit NSCLC und damit 50 % der gesamten Zielpopulation im Rahmen des Netzwerks erfasst.
Das nNGM bietet eine harmonisierte NGS-basierte, molekulare Testung, harmonisierte Interpretationen und Empfehlungen sowie eine zentrale Evaluation bei voller Erstattung der Leistungen durch die Krankenkassen an. Besonderer Wert wird laut Loges auf die Qualitätskontrolle gelegt, die durch systematische Ringversuche an allen Netzwerkzentren sichergestellt wird. „Das nNGM ist ein gutes Beispiel für eine wissengenerierende Versorgung“, so das Fazit der Mannheimer Thoraxonkologin.
Präzisionsmedizin der Zukunft
„Präzisionsonkologie muss sich auch weiterentwickeln“, konstatierte Loges. Besondere Bedeutung kommt hier der Charakterisierung bisher unbekannter Mutationen jenseits der bekannten Treiberalterationen zu, die einzeln oder in Kombination mit anderen genetischen Veränderungen auftreten könnten. Allein in Deutschland seien mehr als 2.000 Patient:innen von solchen uncharakterisierten Mutationen betroffen. „Das ist eine Area of Unmet Need“, sagte Loges.
Loges und ihre Kolleg:innen konnten bei Untersuchungen im zellbasierten System bereits zahlreiche sehr seltene EGFR-Mutationen identifizieren, die als Treiberalterationen fungieren. Auf Basis der Erkenntnisse wurde eine neue Klassifikation der seltenen EGFR-Mutationen mit entsprechenden Behandlungsmöglickeiten vorgeschlagen. Diese hätte auch bereits Eingang in die aktuelle Version der Onkopedia-Leitlinien zum NSCLC gefunden [4]. Demnach profitieren Erkrankte mit sehr seltenen EGFR-Mutationen eher von EGFR-TKI als von Chemo- oder Immuntherapien.
Loges erinnerte daran, dass es möglich sein muss, den Zugang zu innovativen Therapien für alle Patient:innen zu sichern. So sei etwa die Marktrücknahme der Substanz Amivantamab zur Behandlung von Erkrankten mit NSCLC und EGFR-Exon-20-Mutationen „eine Katastrophe“. Es müsse nach Lösungen gesucht werden, damit alle Patient:innen, auch jene mit seltenen Mutationen, angemessen behandelt werden können. Darüber hinaus müssten die Patientenpartizipation und Education gestärkt werden.