Genschere trifft Rekombinase: Konditionale Geninaktivierung geht auch einfach

DOI: https://doi.org/10.47184/ti.2021.02.06

Die konditionale Geninaktivierung wird verwendet, um ein Gen kontrolliert in einem bestimmten Gewebe oder zu einem bestimmten Zeitpunkt auszuschalten. Standartmäßig wird dafür heutzutage das Cre/lox-System benutzt. Dabei ermöglicht die Rekombinase Cre die Entfernung von DNA-Abschnitten, die von zwei sogenannten lox-Sequenzen flankiert werden. Dieser Vorgang des Flankierens ist jedoch sehr zeit- und arbeitsintensiv. Er erfordert anspruchsvolle Genomveränderungen und mehrere Generationen, bis das eigentliche Experiment der konditionalen Geninaktivierung durchgeführt werden kann. Eine neue Methode, Cre-Controlled CRISPR oder kurz 3C, stellt nun eine wesentliche Vereinfachung dar. 3C erlaubt eine schnellere Versuchsdurchführung und zusätzlich eine Markierung der Zellen, die die putative Geninaktivierung in sich tragen. Darüber hinaus sollte zukünftig die gleichzeitige konditionale Inaktivierung mehrerer Gene möglich sein

Schlüsselwörter: konditionale Geninaktivierung, Cre/lox-System, CRISPR/Cas9-Technologie

Einleitung

Die Inaktivierung eines Gens und die anschließende Beobachtung der Folgen für den Organismus ist die beste Methode, um die Funktion eines Gens zu untersuchen. In verschiedenen Modellorganismen wie dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans, der Fruchtfliege Drosophila melanogaster, dem Zebrabärbling Danio rerio und der Hausmaus Mus musculus wurden eine Vielzahl von Mutationen in Genen erzeugt, mit denen grundlegende zell- und entwicklungsbiologische Mechanismen aufgeklärt werden konnten [1–4]. Oftmals haben Gene jedoch mehrere Funktionen, die sich je nach Gewebe und Alter unterscheiden. Eine universelle Inaktivierung in jeder Zelle kann dann tiefgreifende Folgen für den Organismus haben und zu Fehlbildungen oder gar zum embryonalen Ableben des Organismus führen. Die Untersuchung der weiteren Genfunktion in einem anderen Gewebe oder zu einem späteren Zeitpunkt kann so stark beeinträchtigt oder sogar unmöglich werden. Um dies zu umgehen, verwendet man die konditionale Geninaktivierung, die es erlaubt, ein Gen kontrolliert in einem bestimmten Gewebe oder zu einem bestimmten Zeitpunkt auszuschalten. Für Organismen mit guter Vorwärtsgenetik wurden zu diesem Zweck temperatursensitive Allele isoliert [5, 6]. Temperatursensitive Allele tragen typischerweise sogenannte Missense-Mutationen, also eine Mutation innerhalb eines Leserasters, bei der ein Kodon so verändert wird, dass eine andere, falsche Aminosäure in das Genprodukt eingebaut wird. Während der Einbau der falschen Aminosäure bei permissiven Temperaturen keine Auswirkungen zeigt, kann es bei restriktiven Temperaturen zu einer Funktionsbeeinträchtigung oder gar einem Funktionsverlust kommen. Mit Hilfe von temperatursensitiven Allelen lassen sich somit die Zeitpunkte bestimmen, in der ein Genprodukt benötigt wird. Eine gewebespezifische Inaktivierung ist damit jedoch nicht möglich. In Säugetieren wurde dieser Ansatz nicht verbreitet angewandt, da diese zum einen gleichwarm sind und sich zum anderen nicht besonders für Vorwärtsgenetik eignen.

Das Cre/lox-System

Das Cre/lox-System stammt ursprünglich aus dem Bakteriophagen P1 und ist heutzutage die am häufigsten verwendete Technik zur konditionalen Geninaktivierung bei Säugetieren, aufbauend auf präzisen Genomveränderungen mittels homologer Rekombination in embryonalen Stammzellen  [4, 7]. Die Rekombinase Cre bindet an ihre spezifische Zielsequenz, die auch als lox-Sequenz bezeichnet wird (Abb. 1A). Es gibt eine Reihe verschiedener lox-Sequenzen, die sich nur geringfügig in ihrer Basenabfolge unterscheiden. loxP ist dabei die bekannteste lox-Sequenz. In Abhängigkeit der Orientierung der lox-Sequenzen resultiert die Rekombination in einer Inversion oder einer Deletion des von den lox-Sequenzen flankierten Bereichs. Eine konditionale Geninaktivierung kann somit in einer Cre-abhängigen Weise erreicht werden, wenn das Zielgen oder zumindest ein kritisches Exon des Zielgens von lox-Sequenzen flankiert wird. Ein solches von lox-Sequenzen flankiertes Gen wird oftmals auch als „gefloxtes Allel“ bezeichnet (Abb. 1B). Eine gewebespezifische Expression der Rekombinase Cre erlaubt damit die Inaktivierung des Zielgens in dem Cre-positiven Gewebe, während in anderen Geweben das Zielgen unverändert bleibt. Liganden-induzierbare Cre-Varianten bieten eine zusätzliche zeitliche Kontrolle der Cre-vermittelten Rekombination und erlauben das gezielte Ausnutzen späterer Aspekte einer dynamischen Cre-Expression (Abb. 1C) [8]. 

Hierbei nutzt man die Fusion von Cre mit einem modifizierten Östrogenrezeptor (z. B. CreERT2), wodurch die Cre-Rekombinase im Zytoplasma durch das zelleigene Protein Hsp90 zurückgehalten wird. Erst die Applikation des Liganden erlaubt die Freisetzung und Translokation von Cre in den Zellkern und die anschließende Rekombination.

CRISPR/Cas9-Technologie

Die Anwendung der Genschere CRISPR/Cas9 vereinfachte die Herstellung von gefloxten Allelen in Säugetieren signifikant [9]. CRISPR/Cas9 macht sich die Endonukleaseaktivität von Cas9 zu Nutze, die durch eine sequenzspezifische guide RNA (gRNA) an eine bestimmte Stelle im Genom gesteuert wird. Nur bei einem Vorhandensein beider Komponenten, Cas9 und gRNA, bildet sich ein aktiver Ribonukleoproteinkomplex, der einen gezielten DNA-Doppelstrangbruch verursacht, wenn im Genom die sogenannte PAM-Sequenz (protospacer adjacent motif) unmittelbar stromabwärts der Zielsequenz liegt. Im Anschluss werden zelleigene Reparaturmechanismen stimuliert, die zu einer Geninaktivierung führen oder zur Integration von Fremd-DNA genutzt werden können (Abb. 2A). 

Die Geninaktivierung wird verursacht durch eine fehleranfällige DNA-Reparatur (non-homologous end joining: NHEJ oder auch microhomology-mediated end joining: MMEJ). Als Konsequenz der fehlerhaften Reparatur entstehen kleine Insertionen oder Deletionen (Indels) in der kodierenden Sequenz des Zielgens. Dadurch verschiebt sich das Leseraster und das Genprodukt wird nicht in seiner ursprünglichen Form hergestellt [10]. Die zielgenaue Integration von Fremd-DNA wird mittels homologer Rekombination beim Vorhandensein einer Matrizen-DNA bewerkstelligt [11, 12]. Während CRISPR/Cas9 die Generierung von gefloxten Allelen in Säugetieren vereinfachte und beschleunigte, eröffnete diese Technologie in anderen Organismen, z. B. dem Zebrafisch, erst die generelle Möglichkeit der präzisen Generierung von gefloxten Allelen [13, 14]. Allerdings sind auch hier genauso wie in Säugetieren die entsprechenden Genomveränderungen für das notwendige Flankieren des Zielgens mit lox-Sequenzen sehr zeit- und arbeitsintensiv, bis das eigentliche Experiment der konditionalen Geninaktivierung durchgeführt werden kann. Darüber hinaus kann man Zellen, in denen das Zielgen inaktiviert wurde, in den meisten Fällen nicht einfach erkennen, da sie nicht mit einem simplen Reporter, z. B. mit dem grün fluoreszierenden Protein GFP, markiert sind. Außerdem erfordert die Cre-vermittelte Geninaktivierung von gefloxten Allelen zwei unabhängige Rekombinationsereignisse, was in Geweben mit geringer Rekombinationseffizienz nur schwer erreichbar ist [15]. Aufgrund dieser Nachteile von gefloxten Allelen suchten wir nach einer alternativen Methode und entwickelten Cre-Controlled CRISPR oder die 3C Mutagenese [16].

Cre-Controlled CRISPR

3C basiert auf einem einfachen Cre-Effektor-Konstrukt (Abb. 2B). Ein Promotor treibt die Expression eines gefloxten ersten Leserasters, das ein Stopp- und Polyadenylierungssignal trägt. Nachgeschaltet liegt ein zweites Leseraster, das ein Cas9-GFP-Fusionsprotein kodiert. Das gleiche Konstrukt exprimiert außerdem unter der Kontrolle eines U6 Promotors eine funktionelle gRNA, die in Kombination mit Cas9 im Leseraster des Zielgens einen Doppelstrangbruch verursacht. In der Abwesenheit von Cre ist der Grundzustand neutral, da zwar die gRNA, aber nicht das Cas9-Protein vorhanden ist und sich somit kein funktioneller Ribonukleoproteinkomplex bilden kann. Das Zielgen bleibt intakt und kann seine normale Genfunktion erfüllen. Im Gegensatz dazu führt die erfolgreiche Cre-vermittelte Rekombination zur Expression des Cas9-Proteins. Dieses bildet nun mit der gRNA einen aktiven Ribonukleoproteinkomplex und induziert einen Doppelstrangbruch im Leseraster des Zielgens. Die anschließende, fehleranfällige Reparatur mittels NHEJ oder MMEJ generiert Indels in der kodierenden Sequenz des Zielgens, wodurch es zu einer Leserasterverschiebung und damit zum Ausfall des Genprodukts kommt. Nachbarzellen, die kein Cre exprimieren, werden keine Rekombination durchführen und somit weiter den neutralen Grundzustand des Konstrukts aufweisen. Das Zielgen wird somit konditional inaktiviert. Neben seiner wesentlich einfacheren Etablierung und schnelleren Verfügbarkeit für das eigentliche Experiment bietet 3C aber noch den weiteren Vorteil, dass durch die Fusion von Cas9 mit dem grün fluoreszierenden Protein GFP alle erfolgreich rekombinierten Zellen markiert sind. Damit lassen sich nun die Zellen, die die putative Geninaktivierung in sich tragen, eindeutig im Gewebe identifizieren und ihr Verhalten kann über die Zeit verfolgt werden. Die fluoreszente Markierung erlaubt darüber hinaus auch die Isolierung der Zellen mittels Durchflusszytometrie (FACS: fluorescence-activated cell sorting) und deren Analyse mit den verschiedensten Omiks-Technologien, z. B. Transkriptomik. Schlussendlich – die 3C Mutagenese sollte skalierbar sein, auch wenn wir dies bisher noch nicht gezeigt haben. Durch das einfache Hinzufügen weiterer U6-Promotoren in das Cre-Effektor-Konstrukt können zusätzliche gRNAs exprimiert werden, die Doppelstrangbrüche in weiteren Zielgenen erzeugen und diese damit inaktivieren. Folglich wird es damit möglich sein, mehrere Zielgene gleichzeitig konditional in einem Organismus zu inaktivieren. Aufgrund der Vielzahl der Vorteile gegenüber gefloxten Allelen gehen wir davon aus, dass unsere 3C Mutagenese eine Vielzahl von möglichen Anwendungen für konditionale Geninaktivierungsstudien ermöglichen wird und die existierenden alternativen Methoden wie CRISPR-Switch verbessern bzw. sinnvoll ergänzen wird [17, 18].

Autoren
Dr. Stefan Hans
Technische Universität Dresden Center for Molecular and Cellular Bioengineering (CMCB)
CRTD – Center for Regenerative Therapies Dresden
Prof. Dr. Michael Brand
Technische Universität Dresden Center for Molecular and Cellular Bioengineering (CMCB)
CRTD – Center for Regenerative Therapies Dresden