Immunmetabolismus leicht gemacht

Immunologie leicht gemacht

Neue Erkenntnisse der letzten Jahre zeigen, dass der Zellstoffwechsel nicht nur ein Nebenprodukt der Zellaktivierung ist. Welche Nährstoffe aufgenommen und wie sie verarbeitet werden wird nicht nur von den Energiebedürfnissen der Zelle bestimmt, sondern ist eng mit deren Funktion verknüpft. Man ist was man isst – dies gilt nun auch für Immunzellen. Da man durch die Veränderung des Zellstoffwechsels die Funktion der Zellen modulieren kann, eröffnet uns der Forschungsbereich des Immunmetabolismus neue Wege, das Immunsystem zu manipulieren. Metabolische Inhibitoren könnten in Zukunft verwendet werden, um die Immunantwort in autoimmunen Erkrankungen oder bei Organtransplantation zu steuern oder um Immuntherapien effektiver zu machen. 
Schlüsselwörter: Immunmetabolismus, Metabolismus, Immunsystem, Glykolyse, Oxidative Phosphorylierung

Einleitung

Zum ersten Mal hört man möglicherweise in der Schule etwas über den Zellmetabolismus, wenn auf die Funktion der Mitochondrien eingegangen wird. Während dieser Zeit findet man die kleinen Eindringlinge, die in unseren Zellen leben, für uns Energie generieren, aber auch über den Zelltod entscheiden, vielleicht interessant. Die Begeisterung für den Zellstoffwechsel schwindet aber, wenn man tiefer in die verschiedenen Zellstoffwege eindringt und man sich mit komplexen metabolischen Reaktionen auseinandersetzen muss. In der Vergangenheit fühlten sich bei der Erwähnung von Zellmetabolismus daher nicht viele Immunologen angesprochen. Was ist schon Spannendes dabei, wenn Zellen Nährstoffe aufnehmen und in Energie und Biosynthesevorläufermoleküle umwandeln? Eine Zelle, die proliferiert, nimmt mehr Nährstoffe auf als eine ruhende Zelle – so what? Wieso sollte man sich der Erforschung des Metabolismus widmen? Die letzten Jahre brachten die überraschende Erkenntnis, dass der Metabolismus der Immunzellen nicht nur ein passiver Prozess ist, der sich den Energiebedürfnissen der Zelle anpasst. Im Gegenteil, er wird dynamisch reguliert und spielt eine aktive Rolle in der Steuerung der Immunantwort. So konnte man zeigen, dass sich die verschiedenen Immunzelltypen in ihrem metabolischen Profil unterscheiden und der Zellstoffwechsel die Entwicklung und Funktion der Immunzellen steuern kann [1–3]. Durch die interessanten Erkenntnisse der letzten Jahre werden nun immer mehr Immunologen dazu motiviert, ihre alten Biochemie-Lehrbücher zurate zu ziehen und die metabolischen Vorgänge in Immunzellen besser zu untersuchen.

Grundlagen des Zellstoffwechsels

Vor allem die Erkenntnisse der Krebsforschung machten den Zellstoffwechsel zu einem faszinierenden und lohnenden Forschungsgebiet. Schon Anfang des vorigen Jahrhunderts beobachtete der deutsche Nobelpreisträger Otto H. Warburg, wie Krebszellen trotz der Gegenwart von Sauerstoff ihren Stoffwechsel radikal verändern, viel Glukose aufnehmen und Laktat sekretieren. Um Energie zu gewinnen, wird Glukose im Zytosol in mehreren aufeinanderfolgenden Schritten zu Pyruvat abgebaut, ein Vorgang, der als Glykolyse bezeichnet wird. Pyruvat kann weiter zu Laktat vergärt und aus der Zelle ausgeschieden werden. Bedient sich die Zelle nur der Glykolyse zur Energiegewinnung, kann sie pro Glukosemolekül zwei Moleküle ATP generieren. Alternativ zur Vergärung kann Pyruvat jedoch auch in die Mitochondrien eingeschleust werden und dort im Citratzyklus (auch Krebs- oder Tricarbonsäurezyklus genannt) vollständig zu CO2 oxidiert werden. Der Citratzyklus stellt eine zyklische Reaktionskette dar; hier werden die Reduktionsäquivalente Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid (NADH) und Flavin-Adenin-Dinukleotid (FADH2) hergestellt, die anschließend an die Proteine der Atmungskette weitergereicht werden, um dort als Elektronendonatoren zu dienen. Die Energie, die durch die stufenweise Übertragung von Elektronen auf Sauerstoff frei wird, treibt die Synthese von ATP an. Diesen Prozess nennt man oxidative Phosphorylierung. Eine Zelle, die Glukose vollständig oxidiert, kann pro Molekül Glukose bis zu 36 Moleküle ATP gewinnen. Dieser Stoffwechselweg ist also eindeutig energieeffizienter, verglichen mit dem verkürzten Prozess in Richtung der Laktatsekretion. Wieso bevorzugen Krebszellen also einen Stoffwechselweg mit geringerer Energieeffizienz? Man könnte geneigt sein, die hohe Mutationsrate der Krebszellen als Ursache für dieses sonderbare Verhalten zu sehen. Krebszellen sind ja nicht „normal“, womöglich entspricht dieses metabolische Profil durchaus ihrem, durch Mutationen entstandenen, abnormalen Zustand. Inzwischen hat man aber die verstärkte Sekretion von Laktat auch bei aktivierten, gesunden Immunzellen beobachtet. Sie ist somit eher ein Kennzeichen für stark proliferierende Zellen und nicht das Resultat maligner Entartung.
Der Vorteil, Glykolyse zu betreiben, könnte darin liegen, dass dieser Prozess auch unter Sauerstoffmangel stattfinden kann. Im Gegensatz dazu ist Sauerstoff als Elektronenakzeptor für die oxidative Phosphorylierung absolut notwendig. Die Fähigkeit, Energie unter Sauerstoffmangel zu erzeugen, ist deshalb für Krebszellen vorteilhaft, da die Sauerstoffversorgung in Tumoren mangelhaft sein kann. Sauerstoffmangel scheint aber weder der einzige noch der wichtigste Grund zu sein, warum stark proliferierende Zellen verstärkt Laktat sekretieren. Krebszellen oder aktivierte Immunzellen vergären Glukose auch in Situationen, in denen  ausreichend Sauerstoff vorhanden ist (aerobe Glykolyse). Die hohe Laktatsekretion scheint eine schnelle Zellteilung auf vielfache und komplexe Art und Weise zu unterstützen. Wie das? Unter anderem könnte ein starker glykolytischer Fluss den Zellen ermöglichen, glykolytische Intermediate abzuzweigen, die für die Biosynthese von Nukleotiden wichtig sind. Außerdem wird bei der Laktaterzeugung NAD+ regeneriert – ein wichtiger Co-Faktor für die Biosynthese. Möglicherweise beeinflusst der glykolytische Fluss auch weitere Vorgänge in den Zellen. Die Vorteile, die die aerobe Glykolyse mit sich bringt, werden in der Literatur immer noch stark diskutiert [4].

Die Funktion der Immunzellen ist eng mit dem metabolischen Profil verbunden

Der Zellmetabolismus in Einzellern, wie Bakterien oder Hefezellen, kann relativ geradlinig reguliert werden. Gelangen Hefezellen in nährstoffreiches Medium, beginnen sie damit, die Nährstoffe aufzunehmen, um sich dann so lange zu teilen, bis die Nährstoffe verbraucht sind oder sie durch ihre eigenen Abfallprodukte gehemmt werden. Im Gegensatz dazu müssen Immunzellen fähig sein, der Versuchung zu widerstehen, alle vorhandenen Nährstoffe aufzunehmen und metabolisch aktiv zu werden. In einem vielzelligen Organismus kann die Zellteilungsrate nicht nur vom Vorhandensein von Nährstoffen abhängen. Immunzellen müssen auf das Signal warten, das der Körper aussendet, wenn er infiziert wurde, und welches ihnen dann vermittelt, dass sie sich jetzt teilen sollen. Erst dann dürfen sie Nährstoffe in größeren Mengen aufnehmen und Biomasse aufbauen. Der Metabolismus der Zellen muss also genau an die Aufgaben der Zellen angepasst werden. Bekommen Immunzellen das Signal sich zu teilen, werden intrazelluläre Signalwege aktiviert, die nicht nur die Replikation der DNA in die Wege leiten, sondern auch das metabolische Programm der Zellen selbst anpassen. Dabei werden verstärkt Proteine gebildet, die Nährstoffe in die Zelle transportieren, oder Enzyme aktiviert, die dann an den verschiedenen Stoffwechselwegen beteiligt sind.
Welche Nährstoffe aufgenommen und wie sie verarbeitet werden, ist aber nicht nur davon abhängig, ob sich die Zellen teilen oder nicht. Naive B-Zellen und Plasmazellen sind beides Populationen, die nicht proliferieren, sich aber in ihrem metabolischen Profil stark unterscheiden. Naive B-Zellen nehmen nur wenig Glukose auf, im Gegensatz zu Plasmazellen, die Glukose hauptsächlich für die Glykosylierung von Antikörpern nutzen [5]. Darüber hinaus scheint es Unterschiede in der Verwendung von Glukose zwischen langlebigen und kurzlebigen Plasmazellen zu geben. Langlebige Plasmazellen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Pyruvat in ihren Mitochondrien verstoffwechseln können. Im Gegensatz dazu scheinen die kurzlebigen Plasmazellen diese Fähigkeit nicht zu besitzen [5]. In diesem Fall bestimmt die metabolische Flexibilität also die Langlebigkeit der Zellen. Als zweites Beispiel könnte man das metabolische Programm der Makrophagen nehmen. Makrophagen, die mit dem Zytokin IL-4 stimuliert werden (M2-Makrophagen), verlassen sich eher auf oxidative Phosphorylierung, wohingegen Makrophagen, die mit LPS stimuliert werden (M1-Makrophagen), ihre glykolytische Rate erhöhen [2]. Solche Makrophagen proliferieren nicht; deshalb ist die Hauptaufgabe ihrer erhöhten Glykolyse in diesem Fall nicht die Unterstützung der Zellteilung [2]. M1-Makrophagen weisen eine weitere metabolische Besonderheit auf: Der Citratzyklus ist in diesen Zellen unterbrochen, was zur Akkumulation von Citrat führt. Die Ansammlung von Citrat wiederum unterstützt die Produktion der Effektormoleküle NO, reaktive Sauerstoffspezies und Itaconat [2]. Diese Moleküle spielen eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Pathogenen. Das bedeutet, dass die Funktion der Makrophagen direkt an ihr metabolisches Profil gebunden ist. Die genannten Beispiele zeigen, dass verschiedene Parameter, wie die Proteinsyntheserate, Lebensdauer oder die Zytokinsekretion, eng mit dem metabolischen Profil der Zellen verbunden sind. Weitere Experimente zeigten, dass man die Funktion von Immunzellen steuern kann, indem man das metabolische Programm der Zellen mithilfe von chemischen Inhibitoren oder durch genetische Strategien ändert.

Die metabolische Umgebung ändert die Funktion der Zellen

Die Nährstoffaufnahme und Verarbeitung wird stark durch die intrazellulären Signalwege reguliert. Umgekehrt spielt die metabolische Umgebung aber auch eine wichtige Rolle in der Steuerung der Zellfunktion. Die Zellen müssen fähig sein, sich dem Nährstoffangebot anzupassen. Energetisch anspruchsvolle Vorgänge dürfen nur dann stattfinden, wenn ausreichend Nährstoffe dafür zur Verfügung stehen. Da aber nicht nur das Überleben von Immunzellen, sondern auch ihre Funktion vom Zellstoffwechsel abhängen, können Änderungen im metabolischen Milieu weitreichende Folgen für den Ablauf der Immunantwort haben. Beispielsweise wurde gezeigt, dass Effektor-T-Zellen mit Tumorzellen um Glukose konkurrieren [6]. Obwohl naive T-Zellen gut mit wenig Glukose auskommen können, brauchen die aktivierten Effektor-T-Zellen mehr Glukose, um Krebszellen zu bekämpfen. Da aber Tumorzellen selbst viel Glukose verbrauchen, wird die Effektorfunktion der T-Zellen in der Tumorumgebung gehemmt. Ändert man T-Zellen genetisch so, dass sie ihre Glukoseaufnahme steigern, werden sie effektiver bei der Bekämpfung von Tumoren [6]. Weiterhin gibt es Hinweise darauf, dass durch Diabetes [7], Fettleibigkeit [8], Änderungen im Darmmikrobiom [9–11] und andere Pathologien das metabolische Milieu der Immunzellen und somit auch deren Funktion geändert wird. Um zu verstehen, wie Immunzellen auf Pathogene, Krebszellen oder andere Gefahren reagieren, ist es deshalb wichtig, die metabolische Umgebung der Zellen mit in Betracht zu ziehen.

Wieso ist das alles wichtig?

Neueste Forschungsergebnisse zeigen deutlich, dass Metabolismus und Signalleitung in Immunzellen stark vernetzt sind. Man kann also die Funktion der Zellen steuern, indem man ihren Metabolismus verändert. Die Erkenntnisse aus dem Immunmetabolismus könnten deshalb helfen, neue therapeutische Ansätze zu entwickeln. Zum Beispiel könnte man die starke Abhängigkeit aktivierter B-Zellen von der Glykolyse nutzen, um durch die Inhibierung der Glykolyse selektiv aktivierte B-Zellen zu töten, dabei aber gleichzeitig naive B-Zellen verschonen [12]. Da vornehmlich aktivierte B-Zellen zur Autoimmunität beitragen, könnte also die Glykolyse als Zielscheibe für neue Therapeutika dienen. Durch die Inhibierung der Glykolyse in Tiermodellen konnten bereits Symptome von Autoimmunität gelindert werden [13]. Die Ergebnisse weiterer Tierexperimente eröffnen Möglichkeiten für den Einsatz metabolischer Inhibitoren nicht nur in der Behandlung von Autoimmunerkrankungen, sondern auch bei Transplantatio­nen [14], oder bei der Herstellung von Krebs bekämpfenden T-Zellen in der Immuntherapie [15]. Die Erforschung des Immunmetabolismus bietet also nicht nur einen neuen Einblick in die faszinierende Welt der Immunzellen, sondern eröffnet auch neue Therapiemöglichkeiten.

Autor
Dr. Julia Jellusova
Signalling Research Centres BIOSS and CIBSS und Fakultät für Biologie III
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Schänzlestr. 18, 79104 Freiburg