10 Jahre translationale Infektionsforschung am TWINCORE
Forscherverbünde & Institute
Das TWINCORE, Zentrum für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung in Hannover, widmet sich mit vier Instituten der interdisziplinären Suche nach neuen Strategien für die Diagnose, Vorbeugung und Therapie von Infektionserkrankungen: Die Experimentelle Infektionsforschung analysiert die virale Pathogenese, entwickelt innovative Therapiestrategien und identifiziert Biomarker für Infektionskrankheiten. Die Experimentelle Virologie untersucht, wie humanpathogene Viren ihre Wirtszellen infizieren und über welche Mechanismen sie sich vermehren. Die Infektionsimmunologie erforscht die Wirt-Erreger Interaktionen und die Mechanismen, die der Entstehung und Regulation der infektions-assoziierten Immunantwort zugrunde liegen. Die Molekulare Bakteriologie entwickelt diagnostische Verfahren zur Identifizierung von Antibiotikaresistenzen in bakteriellen Pathogenen und erfasst die Toleranz von Biofilm-assoziierten Bakterien.
Schlüsselwörter: Translation, Infektionsmodelle, neue Therapiestrategien, Pathomechanismen, Modulation von Immunantworten
Am TWINCORE, Zentrum für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung, betreiben derzeit etwa 145 Forschende unterschiedlicher Disziplinen translationale Infektionsforschung. Dieses von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Braunschweig, gegründete Translationszentrum, widmet sich seit nunmehr zehn Jahren unter Leitung des Geschäftsführers Prof. Dr. Ulrich Kalinke Fragestellungen im Bereich der Prävention, Diagnose und Behandlung von Infektionskrankheiten des Menschen. Der Schwerpunkt liegt auf Infektionen des Magen-Darm-Traktes, der Leber, der Lunge, sowie des Zentralnervensystems. Multidisziplinäre Teams verbinden in vier Instituten die Expertise von Klinik und Grundlagen: Sie untersuchen die Pathogenese relevanter Infektionen in einer Kombination aus In-vitro-Testsystemen, Tiermodellen und klinischen Studien.
Institut für Experimentelle
Infektionsforschung
Nach Infektionen zeigen Patienten meist recht unterschiedliche Krankheitsverläufe, obwohl sie sich teilweise mit ähnlichen Krankheitserregern infiziert haben. Dies lässt sich sowohl auf Erreger- sowie wirtsassoziierte Faktoren als auch auf Umwelteinflüsse, welche die Übertragung der Erreger, ihre Replikation und die Immunantwort des Patienten beeinflussen, zurückführen. Die Komplexität des Immunsystems und die Ausweichstrategien der Erreger stellen eine große Herausforderung bei der Erforschung der Pathogenese von Infektionserkrankungen des Menschen dar. Aber genau solche Kenntnisse sind notwendig, um neue präventive und symptomatische Therapiestrategien zu entwickeln. Das Institut für Experimentelle Infektionsforschung unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich Kalinke fokussiert seine Forschung auf (i) die Analyse chronischer Herpesvirusinfektionen, (ii) die Untersuchung infektionsassoziierter Gewebeentzündungen, (iii) die Entwicklung innovativer Therapiestrategien und (iv) die Identifizierung von Biomarkern für Infektionskrankheiten (Leitung PD Dr. med. Frank Pessler).
Um die Interaktion von Erregern mit dem Immunsystem zu untersuchen, werden innovative Mausmodelle ebenso wie humane Blut- und Gewebeproben von gesunden Probanden oder Patienten der MHH eingesetzt. Darüber hinaus werden klinische Beobachtungsstudien durchgeführt. Der Fokus liegt dabei auf der Untersuchung früher Immunreaktionen und der Suche nach Kontrollpunkten, welche die Balance zwischen der Erregerkontrolle und der Gewebezerstörung regulieren [1]. Dafür ist die Analyse von Individuen, die eine erhöhte Anfälligkeit für bestimmte Infektionen zeigen, wie z. B. Patienten mit rheumatischen Erkrankungen [2] oder immunsupprimierte Transplantatempfänger, von besonderem Interesse.
Der Einfluss früher antiviraler Immunantworten auf den Verlauf von Infektionserkrankungen ist ein weiterer Fokus. Allgemeine Prinzipien der Immunprotektion werden im Zusammenhang mit Virus-induzierten Gewebsentzündungen, wie Hepatitis und Enzephalitis untersucht. Zu den Viren, die in den Forschungsprojekten am Institut analysiert werden, zählen humane Viren mit einem besonderen Fokus auf dem humanen Zytomegalievirus (HCMV) und dem Herpes Simplex Virus (HSV) sowie Modellviren, die im Maussystem untersucht werden, zu denen das vesikuläre Stomatitis Virus (VSV) und das murine Zytomegalievirus (MCMV) zählen [3].
Institut für Infektionsimmunologie
Die Mitarbeiter von Prof. Dr. Thomas Pietschmann am Institut für Experimentelle Virologie erforschen, wie es humanpathogenen Viren gelingt, ihre Wirtszellen zu infizieren und welche Mechanismen sie nutzen, um sich erfolgreich zu vermehren. Bei der Gründung des Institutes richtete sich das Augenmerk der Forscher zunächst auf das Hepatitis C-Virus (HCV), im Laufe der Zeit hat sich das Forschungsinteresse auch auf das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) und auf das respiratorische Synzytialvirus (RSV) erweitert.
Die HCV-Infektion ist seit der Einführung von direkt antiviral wirkenden Medikamenten heilbar, eine schützende Impfung steht allerdings bisher nicht zur Verfügung. Für die Entwicklung eines protektiven Impfstoffes werden geeignete Tiermodelle benötigt. Aufgrund des sehr engen Wirtstropismus von HCV lassen sich aber beispielsweise Mäuse nicht infizieren. Im Institut werden verschiedene Aspekte dieses Phänomens untersucht [1]und beispielsweise folgende Fragestellungen adressiert: Welche Faktoren verhindern, dass HCV murine Zellen infiziert? Welche Anpassungen benötigt das Virus, um diese Hürden zu überwinden? Welche humanen Faktoren werden für die Infektion benötigt? Parallel hierzu werden die Charakteristika einer vor HCV-Infektion schützenden Immunantwort analysiert. Diese Information fließt in die Entwicklung eigener Impfstoffkandidaten ein, die in vitro und in vivo hinsichtlich ihrer Immunogenität untersucht werden.
Das respiratorische Synzytialvirus ruft Infektionen der unteren Atemwege hervor, diese haben vor allem in Neugeborenen und Kleinkindern häufig schwerwiegende Verläufe. Weltweit gibt es jährlich über 30 Millionen Fälle, die Zahl der Todesfälle durch RSV wird auf bis zu 200.000 geschätzt. Gegen RSV gibt es keinen zugelassenen Impfstoff und die therapeutischen Optionen sind limitiert. Die Suche nach neuen Wirkstoffen gegen die RSV-Infektion und die Charakterisierung von möglichen Kandidaten ist ein zentrales Projekt am Institut für Experimentelle Virologie [2].
Die Nachwuchsgruppe „Angeborene Immunität und Virale Evasion“ unter der Leitung von Juniorprofessorin Dr. Christine Goffinet untersucht die Mechanismen der angeborenen Immunabwehr, die während der Infektion mit HIV-1 ablaufen und wie es das Virus schafft, diese zu umgehen. Dabei stehen vor allem die beteiligten Moleküle in der zellulären Signalkette des Interferonsystems im Fokus der Wissenschaftler [3].
Institut für Infektionsimmunologie
Am Institut für Infektionsimmunologie beschäftigen sich die Wissenschaftler unter der Leitung von Prof. Dr. Tim Sparwasser mit aktuellen Fragestellungen im Bereich der Infektionsimmunologie. Ziel ist es, ein besseres Verständnis der Wirt-Erreger Interaktionen zu erlangen und die Mechanismen zu erforschen, die der Entstehung und Regulation der infektions-assoziierten Immunantwort zugrunde liegen. Ein wichtiger Fokus liegt dabei auf der Untersuchung von dendritischen Zellen (DC) als Zielstrukturen für die Entwicklung neuer Vakzine. Mithilfe von neuentwickelten genetischen Modellen erforschen die Wissenschaftler unter anderem die Rolle der unterschiedlichen, hochspezialisierten DC-Subpopulationen bei Infektionen. Sie konzentrieren sich dabei auf die Frage, wie sich durch spezifisches Antigen-targeting, z. B. über den pattern-recognition-Rezeptor DC-SIGN, DCs spezifischer aktivieren lassen. Daneben werden neue niedermolekulare Stoffe untersucht, die sich als Adjuvantien für eine sichere und gezielte Aktivierung von DCs im Rahmen von Vakzinierungen eignen. Ein weiteres zentrales Thema der Arbeiten am Institut ist es, die Rolle der verschiedenen T-Zell Subpopulationen zu verstehen und neue Wege zur Immunmodulation zu erforschen, d. h. T-Zellantworten gezielt zu manipulieren. Zu diesem Zweck konnten in den letzten Jahren genetische Modelle entwickelt werden, wie z. B. die DEREG Maus, die es erlaubt, regulatorische T-Zellen während Infektions- und Entzündungsprozessen gezielt in vivo zu depletieren. Eine vielversprechende Möglichkeit, die T-Zellantwort zu steuern, bieten auch spezielle mikrobielle Metaboliten, die am Institut charakterisiert und auf ihre immunmodulatorische Aktivität getestet werden. So konnte von den Forschern gezeigt werden, dass durch einen Eingriff in den zellulären Fettsäuremetabolismus von T-Zellen die Entwicklung von entzündungsfördernden Th17-Zellen inhibiert und stattdessen regulatorische T-Zellen induziert werden [1].
Die Auswirkung des zellulären Metabolismus auf die Interaktion zwischen Pathogen und dem Wirt wird von der Arbeitsgruppe um Dr. Luciana Berod am Institut untersucht [2]. Neue translationale Ansätze für die Modulation der Immunantwort im Darm zu entwickeln ist das Ziel der Arbeitsgruppe um PD. Dr. Matthias Lochner, die sich mit den Regulationsmechanismen des intestinalen Immunsystems während gastrointestinaler Infektionen und Entzündungsreaktionen beschäftigt [3].
Institut für Molekulare Bakteriologie
Das Auftreten von Krankenhausinfektionen ist eine große Herausforderung für die moderne Medizin. Der Erfolg antibiotischer Behandlungen solcher Infektionen wird zunehmend durch die Resistenzentwicklung von pathogenen Bakterien erschwert. Neben der Verbreitung von Multiresistenzen sind chronische Infektionen ein großes Problem. Konventionelle antibiotische Therapien vermögen kaum Biofilm-assoziierte Infektionen erfolgreich zu bekämpfen. Der wissenschaftliche Schwerpunkt des Instituts für Molekulare Bakteriologie unter der Leitung von Prof. Dr. Susanne Häußler liegt in der Entwicklung von modernen diagnostischen Verfahren, die nicht nur Antibiotikaresistenzen in bakteriellen Pathogenen zuverlässig identifizieren, sondern die auch die Toleranz von Biofilm-assoziierten Bakterien erfassen.
Das übergeordnete Ziel des Instituts für Molekulare Bakteriologie ist die Entschlüsselung von genetischen Determinanten der Adaptation des problematischen Krankenhauskeims Pseudomonas aeruginosa an einen akuten und chronischen Infektionsstatus und der Ausbildung von bakteriellen Resistenzen. Die Durchführung von genom-weiten Phänotyp-Genotyp Korrelationsstudien ist dabei ein zentrales Thema der Arbeitsgruppe. Assoziationsstudien werden auf einer großen Genexpressions- und Sequenzvariations-Datengrundlage durchgeführt [1]. Diese beruht auf umfangreichen DNA- und RNA-Sequenzierungen von einer großen Anzahl von klinischen P. aeruginosa Isolaten. Das Ziel der Assoziationsstudien ist die Identifikation von Biomarkern der bakteriellen Virulenz [2], aber auch von Biomarkern der Biofilm-Toleranz in individuellen klinischen Stämmen [3]. Außerdem steht die Detektion von genetischen Markern der antimikrobiellen Resistenz und von Markern, die eine Subtypisierung von bakteriellen Pathogenen erlauben, im Vordergrund. Ziel der Wissenschaftler ist es, molekulare Grundlagenforschung, moderne Technologie und datengetriebene Forschung zu kombinieren, um neue molekulare diagnostische Verfahren zu entwickeln, die eine zeitnahe und hochaufgelöste molekulare Resistenzbestimmung von klinischen Isolaten erlauben. Die molekulare Diagnostik stellt darüber hinaus die Basis für die Entwicklung von neuen Maßnahmen zur Infektionsprävention und von alternativen Therapiestrategien zur Bekämpfung von Multiresistenzen und chronischen Biofilm-assoziierten Infektionen.