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Aus der Industrie

Serum Neurofilament Leichtketten als Biomarker bei Multipler Sklerose: Krankheitsaktivität frühzeitig erkennen

Die Magnetresonanztomografie (MRT) ist seit Jahrzehnten Goldstandard im Rahmen der Diagnose und Verlaufskontrolle bei schubförmiger Multipler Sklerose (Relapsing Multiple Sclerosis; RMS). Mit Serum Neurofilament Leichtketten (sNfL) ist ein einfach zu messender Echtzeit-Aktivitätsmarkerin den Vordergrund gerückt, der – zusätzlich zur klinischen Beurteilung und den MRT-Befunden – eine Abschätzung der Krankheitsaktivität und der Prognose erlaubt [1–3].

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), bei der eine inflammatorisch bedingte Demyelinisierung und neuroaxonale Schädigungen zu Veränderungen im Gehirn führen [4, 5]. In der Frühphase der Erkrankung können zerebrale Restrukturierungs- und Kompensationsprozesse die neurologischen Einbußen funktionell ausgleichen und so eine weitgehende oder vollständige klinische Remission der neurologischen Symptomatik ermöglichen [5]. Im natürlichen Krankheitsverlauf und auch bei unzureichender Therapie erschöpft sich diese Plastizitätsreserve jedoch zunehmend und es kommt zu einer Behinderungsprogression [6].

 

MRT-Untersuchung zeit- und kostenintensiv

Die Überwachung der Krankheitsaktivität ist zur Bewertung des Krankheitsverlaufs und der Effektivität der aktuellen Therapie von zentraler Bedeutung. Nur so können Veränderungen innerhalb des ZNS als Ursache des Fortschreitens der Behinderung frühzeitig erkannt werden [4, 7]. Zentrale Biomarker für die Diagnose und die Verlaufskontrolle bei MS sind MRT-Parameter wie die Läsionslast und die Aktivität der Läsionen [1, 2, 7]. Nachteilig sind hier sowohl der hohe Zeit- und Kostenaufwand sowie die Belastung der Patient:innen während der Untersuchung. Neben den MRT-Befunden stützen sich Therapieentscheidungen im Rahmen einer individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung außerdem auf die Anzahl der Schübe im Erkrankungsverlauf, die Schwere und Rückbildung von Schüben, neurologische Symptome sowie bestimmte Liquorparameter [7].

 

sNfL als Biomarker der aktuellen Krankheitsaktivität

Neurofilamente sind neuronale Strukturproteine, die in großkalibrigen myelinisierten Axonen exprimiert werden und an der Signalüber­tragung entlang der Axone beteiligt sind [8]. Sie verleihen den Nerven­zellfortsätzen Stabilität und ermöglichen ihr radiales Wachstum [3, 8]. Häufigste Form im ZNS sind die Neurofilament-Leichtketten (NfL) mit einem Molekulargewicht von 68 kDA [8, 9]. Im Zuge axonaler Reparaturprozesse gelangen NfL auch im physiologischen Prozess in geringen Mengen über die Blut-Hirn-Schranke in den Blutkreislauf [10]. Bei gesunden Personen im Alter von 20 bis 40 Jahren ohne Vorerkrankung liegen die sNfL-Spiegel im Mittel unter 10 pg/ml [9, 11–13]. Im Laufe des Lebens steigen sie um durchschnittlich etwa 2,5 % pro Jahr an [2, 9, 11].

Setzen im Rahmen von Inflammations- und/oder Degenerationsprozessen bei neurologischen Erkrankungen wie der MS axonale Schäden ein, gelangen vermehrt Neurofilamente aus dem Liquor über die Blut-Liquor-Schranke in den Blutkreislauf [14]. Da die Konzentration von NfL im Blut niedriger ist als im Liquor, werden zur Quantifizierung der Serumspiegel hochsensitive Assays benötigt [10]. So gemessen dienen Serum Neurofilament Leichtketten (sNfL) – in Ergänzung zur MRT und der klinischen Untersuchung – als Marker zur Überwachung der Krankheitsaktivität [15] und können niederschwellig, minimalinvasiv und kosteneffizient ermittelt werden [2].

 

sNfL-Spiegel korrelieren mit Krankheitsaktivität

Patient:innen mit aktiver RMS weisen insbesondere unbehandelt oder unter einer Therapie mit einem Medikament der niedrigen Wirksamkeitsstufe (Low-Efficacy Therapy; LETa) erhöhte sNfL-Werte im Vergleich zu altersentsprechenden gesunden Kontrollpersonen auf [9, 11, 12]. Erhöhte sNfL-Werte korrelieren mit etablierten klinischen Aktivitätsparametern und sind mit dem Auftreten von MRT-Läsionen, Schüben und Hirnvolumenverlust assoziiert [16]. In einer multizen­trischen Kohortenstudie mit 578 MS-Patient:innen über einen medianen Zeitraum von 7,1 Jahren wurde festgestellt, dass hochwirksame krankheitsmodifizierende Medikamente (HETb) bei Patient:innen mit hohen sNfL-Ausgangswerten mit einem niedrigeren Risiko für Behinderungsprogression verbunden waren im Vergleich zu einer LETa. HETb könnten also bei hohen sNfL-Werten eine effektivere Behandlungsoption darstellen [17]. Nach derzeitigem Kenntnisstand gelten sNfL-Werte ≥ 10 pg/ml als Indikator für Krankheitsaktivität und ein erhöhtes Risiko für Behinderungsprogression [12, 17, 18].

Laut einer Studie stiegen bei RMS-Patient:innen die sNfL-Spiegel bereits an, bevor Schübe und neue MRT-Läsionen auftraten [19]. Es wurde außerdem gezeigt, dass bei Patient:innen, die während der Therapie mit einem hocheffektiven Medikament (Wirksamkeitskategorie 3) [7] keine Hinweise auf Krankheitsaktivität zeigten (No Evidence of Disease Activity; NEDA-3), auf individueller Ebene durchgehend niedrige sNfL-Spiegel < 8 pg/ml gemessen werden konnten (Abb. 1) [19].

Bei Patient:innen mit einem Schubereignis stiegen dagegen rund fünf Monate vor dem Schub die sNfL-Spiegel an. Nach dem Schub nahmen sie noch für etwa drei Monate weiter zu, bevor sie kontinuierlich wieder absanken [19].

 

Krankheitsaktivität frühzeitig erkennen

Angesichts dieser Befunde kann die routinemäßige Messung der sNfL-Spiegel in der Praxis dazu beitragen, bei unauffälligen RMS-Patient:innen subklinische Krankheitsaktivität aufzudecken, noch bevor neue ZNS-Läsionen und/oder Schübe auftreten [16, 19, 20]. Die Krankheitsaktivität kann somit in Echtzeit überwacht werden, um Behandlungsstrategien im Rahmen individueller Therapieentscheidungen rechtzeitig anzupassen [2]. Die sNfL-Werte könnten dabei das Abschätzen des kurz-, mittel- und langfristigen Risikos für Krankheitsaktivität von MS-Patient:innen unterstützen. Bei anhaltend hohen sNfL-Werten sollte eine Anpassung der Therapie erwogen werden. Expert:innen raten, sich hierzu am klinischen Schwellenwert von 10 pg/ml zu orientieren [18, 21].

 

sNfL – einfache Gewinnung, stabil in der Handhabung

Zur Analyse von Biomarkern im Rahmen der Diagnose der MS und anderer inflammatorischer und neurodegenerativer Erkrankungen des ZNS wurden lange Zeit vor allem Liquorproben herangezogen. Die Lumbalpunktion ist jedoch für Patient:innen meist ein belastender Eingriff, der zudem mit einem hohen Kostenaufwand für das Gesundheitssystem verbunden ist. Die Bestimmung der oligoklonalen Banden im Liquor zur Diagnosesicherung einer MS eignet sich auch nicht zur Verlaufskontrolle. Als sensitive, komfortablere und kosteneffizientere Alternative werden daher zunehmend sNfL-Tests aus Blutproben durchgeführt [22]. Neurofilamente sind sowohl in Serum- als auch in Liquorproben stabil [1, 23–25]. Unter Laborbedingungen bleiben die sNfL-Werte über bis zu sechs Gefrier-Tau-Zyklen hinweg stabil. Bei Raumtemperatur sind sNfL bis zu sieben Tage stabil [25].

 

In-vitro-Diagnostik-Test für die klinische Routine verfügbar

Bislang musste bei der sNfL-Messung auf nicht-CE-zertifizierte Tests zurückgegriffen werden. So wurde bislang z. B. der Quanterix Simoa® NfLAssay als Research Use Only-Assay − ein als sogenannter In House In-vitro-Test entwickelter Lab Developed-Test − verwendet [26]. Mit dem Atellica® IM Neurofilament Light Chain (NfL)-Test erhielt im Juni 2024 das erste Testverfahren zur quantitativen Messung der sNfL-Spiegel in humanen Blut- und Serumproben die CE-Zertifizierung [15]. Der Atellica® IM NfL-Test dient dem Zweck – in Verbindung mit Befunden aus klinischen Untersuchungen, bildgebenden Verfahren und Laboranalysen – zu erkennen, ob bei erwachsenen Patient:innen (18 bis 55 Jahre) mit schubförmiger MS innerhalb von zwei Jahren ein erhöhtes oder verringertes Risiko für Krankheitsaktivität besteht [15]. Bei dem neuen In-vitro-Diagnostikum handelt es sich um einen Sandwich-Immunoassay auf Basis der Acridinium-Ester-Chemilumineszenz-Technologie, für den zwei Anti-NfL-Antikörper verwendet werden [27]. Diese hochsensitive Technologie ermöglicht die direkte chemiluminometrische sNfL-Messung und kann auf den Analysesys­temen Atellica® IM und ADVIA Centaur XP/XPT angewendet werden [15]. Die Anzahl der vom System gemessenen RLUs (Relative Light Units) steht im direkten Verhältnis zur Menge an sNfL in der Patientenprobe [27]. Der lineare Messbereich des Atellica® IM Analyzers aus Serum oder EDTA-Plasma liegt bei 3,0 bis 300,0 pg/ml [27]. In präklinischen Untersuchungen erwies sich der Assay als hochsensitiv, hochspezifisch und reproduzierbar [28]. Für serielle Messungen von sNfL-Werten wird empfohlen, konsequent nur einen Probentyp (Serum oder EDTA-Plasma) zu verwenden [27]. Der Atellica® IM NfL-Test wurde mit drei weiteren automatisierten sNfL-Assays verglichen. Analysiert wurden EDTA-Plasmaproben neu diagnostizierter und therapierter Patient:innen mit amyotropher Lateralsklerose (ALS) oder MS. Der Anteil der Patient:innen, bei denen erhöhte sNfL-Werte ermittelt wurden, war bei allen vier Assays vergleichbar [29].

 

sNfL in der klinischen Praxis

Erste Erfahrungen in der Implementierung der sNfL-Messung in eine klinische Routine zeigen, dass der Marker Neurolog:innen dabei unterstützen kann, die Krankheitsaktivität zu bestimmen und so die Wirksamkeit der aktuellen Therapie zu überwachen [30–32]. Das Potenzial der sNfL-Messung als Biomarker geht jedoch weit über die MS hinaus. Denn auch bei spinaler Muskelatrophie [33], ischämischem Schlaganfall [34, 35], Chorea Huntington [36], ALS [36], der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit [36], Demenz [36] und Polyneuropathien [37] sowie beim Herzstillstand [38, 39] sind die sNfL-Spiegel im Blut erhöht.

 

Fazit

Diagnose und Verlaufskontrolle bei RMS waren seit den Anfängen der Immuntherapien eine Domäne der MRT. Mit ihr lassen sich anhand der T2-Läsionen und der Kontrastmittel-anreichernden T1-Läsionen aber nur die Folgen vorausgegangener Krankheitsaktivität bzw. akute Entzündungsprozesse erkennen. Mit sNfL steht nun erstmals ein Biomarker mit dem Potenzial zum routinemäßigen Einsatz in der täglichen Praxis zur Verfügung, der zum Diagnosezeitpunkt und im weiteren Krankheitsverlauf auch eine Einschätzung der Prognose erlaubt. Nach Therapiebeginn könnte er frühzeitig auf ein erhöhtes Risiko erneuter Krankheitsaktivität hinweisen – noch bevor neue ZNS-Läsionen oder klinische Schübe auftreten. Die Krankheitsaktivität kann somit in Echtzeit überwacht werden, um Behandlungsstrategien rechtzeitig anzupassen. Die sNfL-Spiegel sind aus einer Blut- oder Serumprobe niederschwellig, minimalinvasiv und kosteneffizient zu ermitteln. Erste In-vitro-Diagnostik-Assays ebnen nun den Weg für den Einzug der routinemäßigen Bestimmung der sNfL-Spiegel in die tägliche Praxis.

Mit freundlicher Unterstützung von Novartis Pharma GmbH
Autor
Dr. Matthias Herrmann