Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), bei der eine inflammatorisch bedingte Demyelinisierung und neuroaxonale Schädigungen zu Veränderungen im Gehirn führen [4, 5]. In der Frühphase der Erkrankung können zerebrale Restrukturierungs- und Kompensationsprozesse die neurologischen Einbußen funktionell ausgleichen und so eine weitgehende oder vollständige klinische Remission der neurologischen Symptomatik ermöglichen [5]. Im natürlichen Krankheitsverlauf und auch bei unzureichender Therapie erschöpft sich diese Plastizitätsreserve jedoch zunehmend und es kommt zu einer Behinderungsprogression [6].
MRT-Untersuchung zeit- und kostenintensiv
Die Überwachung der Krankheitsaktivität ist zur Bewertung des Krankheitsverlaufs und der Effektivität der aktuellen Therapie von zentraler Bedeutung. Nur so können Veränderungen innerhalb des ZNS als Ursache des Fortschreitens der Behinderung frühzeitig erkannt werden [4, 7]. Zentrale Biomarker für die Diagnose und die Verlaufskontrolle bei MS sind MRT-Parameter wie die Läsionslast und die Aktivität der Läsionen [1, 2, 7]. Nachteilig sind hier sowohl der hohe Zeit- und Kostenaufwand sowie die Belastung der Patient:innen während der Untersuchung. Neben den MRT-Befunden stützen sich Therapieentscheidungen im Rahmen einer individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung außerdem auf die Anzahl der Schübe im Erkrankungsverlauf, die Schwere und Rückbildung von Schüben, neurologische Symptome sowie bestimmte Liquorparameter [7].
sNfL als Biomarker der aktuellen Krankheitsaktivität
Neurofilamente sind neuronale Strukturproteine, die in großkalibrigen myelinisierten Axonen exprimiert werden und an der Signalübertragung entlang der Axone beteiligt sind [8]. Sie verleihen den Nervenzellfortsätzen Stabilität und ermöglichen ihr radiales Wachstum [3, 8]. Häufigste Form im ZNS sind die Neurofilament-Leichtketten (NfL) mit einem Molekulargewicht von 68 kDA [8, 9]. Im Zuge axonaler Reparaturprozesse gelangen NfL auch im physiologischen Prozess in geringen Mengen über die Blut-Hirn-Schranke in den Blutkreislauf [10]. Bei gesunden Personen im Alter von 20 bis 40 Jahren ohne Vorerkrankung liegen die sNfL-Spiegel im Mittel unter 10 pg/ml [9, 11–13]. Im Laufe des Lebens steigen sie um durchschnittlich etwa 2,5 % pro Jahr an [2, 9, 11].
Setzen im Rahmen von Inflammations- und/oder Degenerationsprozessen bei neurologischen Erkrankungen wie der MS axonale Schäden ein, gelangen vermehrt Neurofilamente aus dem Liquor über die Blut-Liquor-Schranke in den Blutkreislauf [14]. Da die Konzentration von NfL im Blut niedriger ist als im Liquor, werden zur Quantifizierung der Serumspiegel hochsensitive Assays benötigt [10]. So gemessen dienen Serum Neurofilament Leichtketten (sNfL) – in Ergänzung zur MRT und der klinischen Untersuchung – als Marker zur Überwachung der Krankheitsaktivität [15] und können niederschwellig, minimalinvasiv und kosteneffizient ermittelt werden [2].
sNfL-Spiegel korrelieren mit Krankheitsaktivität
Patient:innen mit aktiver RMS weisen insbesondere unbehandelt oder unter einer Therapie mit einem Medikament der niedrigen Wirksamkeitsstufe (Low-Efficacy Therapy; LETa) erhöhte sNfL-Werte im Vergleich zu altersentsprechenden gesunden Kontrollpersonen auf [9, 11, 12]. Erhöhte sNfL-Werte korrelieren mit etablierten klinischen Aktivitätsparametern und sind mit dem Auftreten von MRT-Läsionen, Schüben und Hirnvolumenverlust assoziiert [16]. In einer multizentrischen Kohortenstudie mit 578 MS-Patient:innen über einen medianen Zeitraum von 7,1 Jahren wurde festgestellt, dass hochwirksame krankheitsmodifizierende Medikamente (HETb) bei Patient:innen mit hohen sNfL-Ausgangswerten mit einem niedrigeren Risiko für Behinderungsprogression verbunden waren im Vergleich zu einer LETa. HETb könnten also bei hohen sNfL-Werten eine effektivere Behandlungsoption darstellen [17]. Nach derzeitigem Kenntnisstand gelten sNfL-Werte ≥ 10 pg/ml als Indikator für Krankheitsaktivität und ein erhöhtes Risiko für Behinderungsprogression [12, 17, 18].
Laut einer Studie stiegen bei RMS-Patient:innen die sNfL-Spiegel bereits an, bevor Schübe und neue MRT-Läsionen auftraten [19]. Es wurde außerdem gezeigt, dass bei Patient:innen, die während der Therapie mit einem hocheffektiven Medikament (Wirksamkeitskategorie 3) [7] keine Hinweise auf Krankheitsaktivität zeigten (No Evidence of Disease Activity; NEDA-3), auf individueller Ebene durchgehend niedrige sNfL-Spiegel < 8 pg/ml gemessen werden konnten (Abb. 1) [19].