Zell- und Gentherapien: Reale Hoffnung auf erschwingliche Behandlungen
DOI: https://doi.org/10.47184/td.2023.01.07Von 14. bis 17. November 2022 fand in Düsseldorf das von Prof. Georg Hoffmann organisierte MEDICA LABMED FORUM statt. Der letzte Tag der Veranstaltung, wie auch im letzten Jahr unter der Leitung von Dr. Peter Quick, ist regelmäßig den „Innovative developments in the Life Sciences” gewidmet. Da RNA-Technologien nach dem Durchbruch bei den Impfstoffen in Zukunft auch eine wachsende Bedeutung im Feld der Gentherapien haben werden, befassten sich die Vorträge in diesem Jahr vormittags mit RNA-Technologien in der Medizin und nachmittags mit Gentherapie und -diagnostik.
Schlüsselwörter: Isothermal RT-LAMP, CRISPR-Cas, RNA-Transfer, LNPs, single cell omics, spatial omics, NK-Zellen, Automation, CAST-Seq
RNA-Technologien
Die erste Session widmete sich der Frage, wie man heute „state of the art“ mit RNA im Labor arbeitet. Die Einführung ins Thema übernahmen Dr. Karl von Laer (NEB GmbH) mit dem Vortrag „Isothermal RT-LAMP: New Possibilities in DNA/RNA molecular diagnostics“ und Dr.-Ing. Can Dincer (IMTEK) mit „CRISPR-powered RNA diagnostics“. Dr. Christian Dohmen (Ethris GmbH) berichtete anschließend über die Entwicklung von mRNA-Therapeutika bei Lungenerkrankungen und erfolgreichen Tests zur Stabilität bei der Lagerung, Handhabung und Vernebelung. Dr. Janine Altmüller (MDC für Molekulare Medizin, Berlin) weitete den Blick modernster Forschung schließlich mit dem Beitrag „Single cell and spatial omics revolutionize life science“.
Gentherapie und -diagnostik
Im Austausch mit dem internationalen Publikum unterstrich Prof. Tony Cathomen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gentherapie (DG-GT), Freiburg: „Die RNA-Technologien werden entscheidend zum Erfolg des Genome Editing beitragen. Beim Genom-Editieren ist es wichtig, dass die Genscheren, z. B. vom Typ CRISPR-Cas, nur kurzzeitig zur Expression gebracht werden. Ein sogenannter Hit-and-Run-Ansatz. Die über RNA-Transfer erreichte kurzzeitige Expression der Genscheren reicht aus, um die gewünschten Veränderungen im Erbgut herbeizuführen. Eine Langzeitexpression wie etwa nach DNA-Transfer erhöhte das Risiko von Fehlschnitten und damit von Off-Target-Effekten. Ein gutes Beispiel aus der klinischen Praxis ist der In-vivo-Ansatz zur Therapie der Transthyretin-Amyloidose. Mittels LNPs (Lipid-Nanopartikel) wurden die für den CRISPR-Cas-Komplex kodierenden RNAs in Leberzellen eingebracht, wo sie das krankheitsverursachende Gen in vivo ausschalteten.“
Nach seiner Einführung in den Nachmittag mit dem Titel „Gene Therapy, Genome Editing & Diagnostics – Where are we heading?“ folgte Katja Betts (Progen Biotechnik GmbH, Heidelberg) mit einer Übersicht zur Entwicklung der Rolle von Adeno-assoziierten Viren (AAV).
Prof. Evelyn Ullrich (Experimentelle Immunologie, Frankfurt) erläuterte die besonderen Chancen, die der Einsatz von Natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) eröffnet: NK-Zellen können aus allogenen Quellen mit geringem Risiko für Graft-versus-Host-Reaktionen, Zytokin-Release-Syndrom oder Neurotoxizität generiert werden. Für das NK-Zell-Engineering stehen virale und nicht-virale Technologien zur Auswahl; ferner erhöht die Einführung von chimären Antigen-Rezeptoren (CAR) die natürliche Zytotoxizität von NK-Zellen deutlich und gentechnische Werkzeuge der nächsten Generation werden CAR-NK-Zellen weiter verbessern. Diese Qualitäten werden zu sichereren und auch dadurch kostengünstigeren Behandlungen führen, und nicht zuletzt beschleunigen automatisierte und geschlossene Fertigungssysteme die GMP-Produktion und tragen deutlich zur Kostenreduktion bei.
Dr. Ian Johnston (Miltenyi Biotec B.V. & Co. KG) erläuterte entsprechende Innovationen, die den Teilnehmenden ernstzunehmende Hoffnungen auf künftig erschwinglichere Behandlungen machten: Durch Automation und vollintegrierte Abläufe können CAR-T-Prozesse optimiert und die Zahl der Mitarbeiter:innen, die für eine Behandlung benötigt werden, deutlich reduziert werden.
Qualität => Sicherheit => Kostenreduktion – diese Formel wird bei Zell- und Gentherapien überdeutlich! So veranschaulichte auch Prof. Cathomen den qualitativen Fortschritt mittels Assays zur Detektion von „Off-Target“-Aktivitäten und daraus ggf. resultierender Genotoxizität, und er beschrieb die Ergebnisse der Erprobung eines neuartigen, umfassenden Genotoxizitätstests. CAST-Seq (Chromosomal Aberration analysis by Single Targeted LM-PCR Sequencing [1]) übertrifft selbst bei einer niedrigen Nachweisgrenze (0,01 %) mit nur 75.000 Eingabezellen andere diagnostische Tests zur Bewertung der Genotoxizität von Genom-Editoren. Er nominiert Off-Target-Sites und erkennt chromosomale Strukturvariationen. Darüber hinaus ist CAST-Seq ein quantitativer Assay, der direkt im klinisch relevanten Zelltyp durchgeführt wird, wodurch NGS-basierte Bestätigungstests überflüssig werden.
Fazit
Welche Rolle wird die Labormedizin in der Ära der Nukleinsäure-Therapeutika spielen? Die Schlüsselfragen sind: Wie zielgenau und nebenwirkungssicher erfolgt der Transport der Werkzeuge in den Körper – durch Lipid- und Polymer-basierte Nanopartikel (RNA) oder durch Viren? Treten ungewünschte Aktivierungen des Immunsystems auf? Ist der Therapieerfolg vorhersagbar? Lassen sich Kosten reduzieren? Etwa ein Dutzend RNA-Therapien hat die FDA bereits bis Ende 2021 zugelassen, bis hin zu klinischen Prüfungen von circa zwei Dutzend neuen Verfahren im Jahr 2022. Die größte Hürde bei RNA-Therapeutika ist immer noch die Erleichterung der Abgabe über den First-Pass-Effekt der Leber hinaus. Denn während der ersten Passage des Arzneistoffes durch die Leber kann eine biochemische Umwandlung zu einem wirksamen oder unwirksamen Metaboliten führen. Erforderlich werden Qualitätskontrolle, Diagnostik und Therapiebegleitung in außerordentlich hoher Qualität, standardisiert und möglichst automatisiert. Besonderes Potenzial haben beispielsweise Sequenzierverfahren, DNA-Analysen zur Bestimmung von Short Tandem Repeats (STR-Analytik), Assays zur Qualifizierung der „Delivery“-Systeme, Durchfluss-Zytometrie und funktionale Bioassays. Unterstützung durch die Labormedizin und andere Dienstleister ist gefordert, vor allem mittels Life-Science-Research-Technologien in Abläufen mit diagnostischer Qualität.
Aufzeichnungen der Beiträge des Medica LABMED FORUMS können auf der Veranstaltungswebseite abgerufen werden.