Überraschende Befunde
Zwei Phänomene indes haben in den letzten Jahren eine Diskussion um den Stellenwert des C4d-Tests entfacht[7]. Zum einen fand man bei chronischer Abstoßung Biopsien ohne Nachweis von C4d in den Kapillaren, jedoch mit Kapillaritis, positivem DSA und Hochregulierung endotheliarer Aktivierungsgene. Das war die Geburtsstunde der „C4d-negativen, Antikörper-vermittelten Abstoßung“. Möglicherweise trug die relativ insensitive Paraffin-Methode zu diesem Konzept bei. Zu bedenken ist aber auch, dass eine Biopsie nur eine Momentaufnahme im gesamten Transplantationsverlauf ist, in dem die C4d-Intensität erheblich fluktuieren kann. Wie dem auch sei, eine eigens gegründete Arbeitsgruppe kümmert sich bei den Banff-Konferenzen inzwischen regelmäßig darum[8].
Zum anderen rüttelte das Phänomen der „Akkommodation“ bei AB0i-Nierentransplantationen am diagnostischen Wert von C4d. AB0i-Transplantationen (Lebendspenden) können seit einigen Jahren problemlos durchgeführt werden, wenn zuvor die Anti-Blutgruppenantikörper im Empfänger durch geeignete Maßnahmen (Immunadsorption, Plasmapherese, Gabe von Rituximab, Immunglobulinen etc.) ausreichend entfernt wurden. Die Transplantatfunktion ist dann meist sehr gut, aber in den Biopsien findet man gleichwohl kapilläres C4d. Diese Akkommodation, d. h. Antikörper-Bindung auf Zellen, ohne Schaden anzurichten, war für einige Fachleute sogleich Anlass, den C4d-Test insgesamt zu hinterfragen.
Einige wichtige Details hatte man aber nicht beachtet: Es ist ein großer Unterschied, ob eine Abstoßung durch Anti-HLA-Antikörper (meist IgG, weniger IgM) oder durch Anti-Blutgruppen Antikörper (IgM) ausgelöst wird. HLA-Moleküle sind Proteine, die transmembranal in der Endothelzelle verankert sind, Blutgruppenmoleküle sind Polysaccharide mit nur oberflächlicher Membranbindung. Dies bedingt auch unterschiedliche Wege der Signaltransduktion nach einer Antikörper-Bindung. Ferner haben in der AB0i-Situation die Antikörper einen niedrigen Titer, bei höheren Titern erfolgt unweigerlich eine Abstoßung.
Diese Erkenntnisse setzen sich erst langsam durch[9]. Sie erklären aber, warum es bei HLA-Inkompatibilität keine Akkommodation gibt und der C4d-Test seine Wertigkeit behält. In der AB0i-Situation ist der C4d-Test diagnostisch tatsächlich nicht weiterführend.
Zirkulierende Alloantikörper
Die Übereinstimmung von zirkulierenden Alloantikörpern im Blut (gemessen in vitro mit Lymphozyten im Zytotoxizitätstest oder mittels Durchflusszytometrie) und kapillärem C4d (Biopsie in vivo), war zu keiner Zeit perfekt. Trotz einer großen Schnittmenge (bei HLA-Molekülen) unterscheiden sich endotheliale und lymphozytäre Antigenexpression bezüglich Muster, Verteilung und Dichte; unter anderem sind bestimmte Antigene auf Endothelzellen präsent, nicht aber auf Lymphozyten, und umgekehrt. Entsprechend unterschiedlich fällt auch der jeweilige Nachweis von Antikörpern aus. Zudem kann es sein, dass Alloantikörper im Transplantat absorbiert und konzentriert werden, dort kapilläres C4d deponieren, in der Zirkulation aber nur in Spuren vorhanden sind und sich dem In-vitro-Nachweis entziehen.
In letzter Zeit wurde die In-vitro-Bestimmung von zirkulierenden Alloantikörpern immer weiter verbessert. Eine deutliche Steigerung von Sensitivität und Spezifität beim Nachweis von HLA-Reaktivitäten konnte durch neue Techniken wie der Luminex-basierten „Single-Antigen-Bead“-Technologie erzielt werden. Es lag auf der Hand, die Komplement-aktivierenden Eigenschaften von Alloantikörpern auch mit diesem Test zu bestimmen. Damit, so die Hoffnung, sollten klinisch relevante, also schädliche von weniger schädlichen Antikörpern unterschieden werden, sozusagen als Surrogat für den C4d-Test.
Diese Hoffnung hat sich nicht zufriedenstellend erfüllt. Es kam erneut heraus, dass die wichtigste Determinante für die Komplement-Aktivierung in vitro die Stärke der Antikörper-Bindung ist. Ferner kann insbesondere die Komplement-Komponente C3 im Test zum sogenannten „Prozonen-Phänomen“ führen und die Antikörper-Bestimmung empfindlich stören. Ob dann Maßnahmen wie Serumverdünnung, Hitzeinaktivierung oder die Verwendung von rekombinantem C1q den diagnostischen Wert verbessern, bleibt bislang fraglich.[10].
Schlussfolgerung
Der immunhistologische C4d-Test trug in den letzten beiden Jahrzehnten maßgeblich zum besseren Verständnis von humoralen Immunreaktionen in der Transplantationsmedizin bei. Er hat auch den Weg zur Entwicklung neuer Therapieformen bereitet, insbesondere bei der chronischen Abstoßung, einem weiterhin ungelösten Problem. Gut möglich, dass verfeinerte molekularbiologische Methoden in naher Zukunft neue Erkenntnisse liefern und den C4d-Test ablösen. Bis es soweit ist, bleibt er jedoch unerlässlich für die Diagnose und für das Therapie-Monitoring bei humoralen Abstoßungen.