Zelluläre und humorale Abwehr
Infektionserreger treffen in der Blutbahn auf die universelle Abwehrtruppe des Körpers, das innate Immunsystem. Seine zellulären Bestandteile (Granulozyten, Makrophagen, dendritische Zellen und natürliche Killerzellen sowie die kernlosen Thrombozyten) verfügen über Rezeptorgruppen für körperfremde Strukturen (Pattern Recognition Receptors, PRR, Toll-Like Receptors, TLR). Die Bindung der Antigene an diese Rezeptoren induziert die intrazelluläre Synthese pro- und anti-inflam­matorischer Zytokine (z. B. TNF-α und IL-6 bzw. TGF-β und IL-10), die eine adäquate und ausgewogene Immunantwort auf die Erreger in der Initialphase steuern. Mit einer Verzögerung von einigen Stunden folgt die humorale Antwort des innaten Immunsystems, insbesondere  die Synthese verschiedener Akutphasen- und Gerinnungsproteine, darunter C-reaktives Protein (CRP) und Procalcitonin (PCT), Komplement C3, Fibrinogen, Faktor VIII sowie Protein C und S (PC, PS).
Zwischen der zellulären und humoralen Immunabwehr sowie dem Gerinnungs­system bestehen zahlreiche Wechselwirkungen, die in der obigen Abbildung stark vereinfacht dargestellt sind. Proteine des Komplementsystems und Zellen mit Komplementrezeptoren heften sich an spezifische Strukturen auf der Oberfläche der Erreger an und leiten so deren Zerstörung über osmotische Lyse mit anschließender Phagozytose ein. Dabei spielen auch Inhaltsstoffe der neutrophilen Granulozyten (zum Beispiel Oxidasen und Proteasen) eine Rolle. Netzwerke aus dem Chromatin der Granulozyten (Neutrophil Extracellular Traps, NETs) sowie der Von-Willebrand-Faktor (VWF), diverse Adhäsivproteine und Fibrin immobilisieren die Erreger und verhindern so deren Ausbreitung.

 

Abb.: Mechanismen der Gefäßerweiterung, Gefäßschädigung und
Gerinnungsaktivierung



Finaler Zusammenbruch

Da der terminale Komplement-Komplex (MAC) zusammen mit Anaphylatoxinen nicht nur die Infek­tionserreger, sondern auch das Endothel der Blutgefäße angreift, tritt aus den Zellen Flüssigkeit aus. Es resultiert ein Blutdruckabfall, der durch Entzündungsmediatoren (Bradykinin, Stickstoffmonoxid) und Gefäßerweiterung verstärkt wird. Nach der neuen Sepsis­definition ist das Absinken des mittleren arteriellen Blutdrucks (Mean Arterial Pressure, MAP) unter 65 mm Hg, das die Gabe von Vasopressoren erfordert, das entscheidende Kriterium für den Eintritt des Patienten in das Stadium des septischen Schocks. Der als weiteres Schockkriterium geforderte Laktat­anstieg ist das Resultat von unzureichender Gewebeoxygenation, Störung des aeroben Kohlenhydratstoffwechsels bei gleichzeitiger Steigerung der Glykolyse und verminderter hepatischer Laktat-Clearance[3].
Schließlich wird das Endothel durch die Zellschädigung von einer gerinnungshemmenden in eine gerinnungsaktivierende Oberfläche umgepolt. Das beinhaltet die Stimulierung der Biosynthese von Ad­häsivproteinen, des Gerinnungsaktivators TF (Tissue Factor) und des Fibrinolyse­inhibitors PAI-1 (Plasminogen Aktivator Inhibitor-1).
In einem positiv rückgekoppelten Teufelskreis zwischen Inflammation und Hämostase erschöpfen sich die betroffenen humoralen Systeme einschließlich der jeweiligen Kontrollproteine und der Zytokinmaschinerie, weil der Verbrauch nicht mehr durch Neusynthese kompensiert werden kann. Blutungen und intravaskuläre Thrombosen in Gewebe und Organen sind die letztendlich oft tödliche Folge. Sie bringen die Mikrozirkulation zum Erliegen, es kommt zur Schädigung einzelner Organe und schließlich zum Tod im Multiorganversagen (Multiple Organ Dysfunction Syndrome, MODS).

Biomarker im klinischen Einsatz
Weit über 100 verschiedene Biomarker wurden für die Sepsis beschrieben, und die Zahl einschlägiger Publikationen nahm nahezu linear von nur 15 im Jahr 1990 auf aktuell über 600 zu[6]. Leider besagt die Menge nichts über den klinischen Nutzen: Nur wenige der vorgeschlagenen Parameter kommen in der Labordiagnostik tatsächlich zum Einsatz, und kaum einer hat es bislang in die Leitlinien geschafft.
Unter den Serummarkern ist das CRP, ein Akutphasen-Protein aus dem Komplementsystem, wohl am weitesten verbreitet, weil es bei bakteriellen Infektionen sehr hohe Konzentrationen von mehreren hundert mg/l erreicht und deshalb mit einfachen Labor- und Schnelltests leicht nachgewiesen werden kann. Allerdings ist es unter allen Entzündungsmarkern auch eines der trägsten: Es wird nach Stimulation durch Zytokine (IL-1, IL-6) in der Leber synthetisiert, beginnt nach etwa fünf Stunden anzusteigen und erreicht seinen Peak nach ein bis zwei Tagen[7]. Da es – wie alle Akutphasen-Proteine – auch bei nicht-infektiösen Gewebeschädigungen sowie bei chronischen Entzündungen erhöhte Werte liefert, sind Sensitivität und Spezifität für die Erkennung bakterieller Infekte bzw. der Sepsis unzureichend. In der deutschen Leitlinie[4] wird CRP bei entsprechendem klinischem Verdacht zur Indikationsstellung für eine Blutkultur empfohlen (Evidenzgrad C), in der internationalen Version findet es keine Erwähnung.
Bedeutsamer, wenn auch messtechnisch aufwendiger, ist das Procalcitonin (PCT). Es liegt im Blut von Gesunden in extrem niedriger Konzentration (< 0,5 µg/l oder  0,5 ng/ml) vor, und steigt bei bakteriellen Infektionen sehr rasch innerhalb von 4 bis 12 Stunden um zwei bis drei Zehnerpotenzen an. Die deutsche Leitlinie[4] empfiehlt bei erhöhten Werten und klinischem Verdacht das Anlegen einer Blutkultur. Zudem macht sie für PCT – im Gegensatz zu CRP – Aussagen über die Wahrscheinlichkeit einer Sepsis (wenn auch nur mit Evidenzgrad C): „Bei Procalcitoninkonzentrationen von < 0,5 ng/ml im Serum ist eine schwere Sepsis oder ein septischer Schock unwahrscheinlich, ab einem Schwellenwert von 2,0 ng/ml hochwahrscheinlich. Dabei ist zu beachten, dass ein operatives Trauma und andere Ursachen zu einer transitorischen Procalcitonin (PCT)-Erhöhung führen können.“
Nach einer aktuellen Metaanalyse mit 3.244 Patienten aus 30 Studien erreicht PCT allerdings nur Sensitivitäten und Spezifitäten von rund 0,78, um eine Sepsis von anderen Erkrankungen diagnostisch abzugrenzen. Die internationale Leitlinie[5] empfiehlt den Test deshalb nicht für die Sepsisdiagnostik, sondern schreibt nur sehr vorsichtig, dass „PCT oder ähnliche Biomarker“ den Kliniker beim Absetzen empirisch verabreichter Antibiotika unterstützen können, wenn der Patient anfangs septisch erschien, später aber keine Zeichen einer Infektion aufweise (Evidenzgrad 2C). Hintergrund dieser Aussage ist, dass ein Abfall der PCT-Werte mit einer Halbwertszeit von etwa einem Tag einen Erfolg der antibiotischen Therapie anzeigt, während beständig hohe oder gar steigende Werte prognostisch ungünstig sind.

Weitere Biomarker
Aus der Vielzahl weiterer Entzündungsmarker, die für den Einsatz bei Sepsis diskutiert wurden, seien im Folgenden einige wenige herausgegriffen, die den Status rein wissenschaftlicher Studien hinter sich gelassen haben und kommerziell verfügbar sind.
Der Rezeptor CD14 auf der Oberfläche von Monozyten/Makrophagen und Neutrophilen ist unter anderem für die Bindung von bakteriellen Lipopoly­sacchariden (LPS, Endotoxin) verantwortlich. Bei bakteriellen Infektionen bildet sich durch Ablösung von CD14 das Fragment sCD14-ST, auch Presepsin (PSEP) genannt, das – ähnlich wie IL-6 – deutlich schneller als PCT ansteigt und deshalb früher auf eine Sepsis hinweisen könnte. Der Spiegel korrespondiert mit dem Schweregrad der Sepsis und dem Erregernachweis in der Blutkultur. Eine aktuelle Metaanalyse verschiedener Studien bei über 1.800 erwachsenen SIRS-Patienten mit oder ohne Sepsis ergab eine Sensitivität von 0,86 bei einer Spezifität von 0,78 (AUC-Wert 0,89)[8]. PSEP wird über die Niere ausgeschieden, sodass ein Konzentrationsanstieg auch auf eine Nierenschädigung hinweisen kann.
Interleukin-6 (IL-6) erreichte in einigen Studien eine ähnlich gute Aussagekraft wie PCT zur Diagnose einer Sepsis sowie zur Prognose des Ausgangs; in anderen war IL-6 dem PCT unterlegen. Dieses Zytokin wird vor allem von Pädiatern bei Verdacht auf eine Neonatalsepsis bevorzugt, da gesunde Neugeborene erhöhte PCT-Werte aufweisen können. In Kombination mit IL-6 und IL-8 wird gelegentlich auch LBP (Lipopolysaccharid-bindendes Protein) zur Sepsisdiagnostik eingesetzt. Es bildet Komplexe mit LPS, die wiederum an CD14 und einen der Toll-Like-Rezeptoren binden. Da LBP weniger stark ansteigt als PCT und CRP, konnte es sich jedoch nicht in großem Umfang durchsetzen.
Neben der Entzündung spielt, wie oben dargestellt, die Gerinnung eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Sepsis und septischem Schock, denn bei diesen Patienten kommt es häufig zu einer Verbrauchskoagulopathie. Deshalb ist die engmaschige Kontrolle von Biomarkern der Hämostase – vor allem Thrombozyten, Fibrinmonomere (FM), D-Dimer und Protein C (PC) – ein wesentlicher Baustein der labormedizinischen Intensivüberwachung. Nach einer ROC-Analyse an 126 Patienten mit Verdacht auf eine Verbrauchskoagulopathie kam dem Protein C die höchste prognostische Aussagekraft zu[9]. Niedrige, nach anfänglichem Abfall nicht wieder ansteigende PC-Spiegel erwiesen sich als besonders ungünstig.
Neuere Arbeiten zeigen, dass auch stark erniedrigte Spiegel der am Gerinnungssys­tem beteiligten Protease ADAMTS-13 bei Sepsis prognostisch ungünstig sind[10]. Es kommt durch diesen Mangel zur Bildung von extrem hochmolekularen Formen des Von-Willebrand-Faktors, die beim septischen Schock an thromboembolischen Verschlüssen, insbesondere im Bereich der Mikrozirkulation und in den Organen, beteiligt sind.
Schließlich ist zu erwähnen, dass als Marker des finalen Organversagens die seit langem etablierten Laborparameter ihre Bedeutung behalten: Troponine und natriuretische Peptide für den Herzmuskel, Blutgase für die Lunge, Transaminasen und Bilirubin für die Leber, Kreatinin und Cystatin C für die Nieren. Speziell für die Nierenfunktion werden neuere Biomarker wie NGAL (Neutro­phil Gelatinase-associated Lipocalin) oder eine Kombination aus IGFBP-7 (Insulin-like Growth Factor Binding Protein-7) und TIMP-2 (Tissue Inhibitor of Metalloproteinases-2) angeboten, die das störanfällige und sehr spät ansteigende Kreatinin ersetzen sollen.

Mit Omics in die Zukunft?

Wegen der komplexen Interaktion der verschiedenen biologischen Systeme bei der Entstehung einer Sepsis erscheint das Zusammentragen möglichst vieler Mosaiksteinchen sinnvoll. Hierfür bieten die sogenannten Omics-Technologien (Genomics, Proteomics etc) gute Voraussetzungen, da sie in einem einzigen Analysengang extrem viele, wenn nicht sogar alle Vertreter einer bestimmten Molekülklasse (DNA, mRNA, miRNA, Proteine usw.) erfassen. So wählte eine Gruppe aus Israel mit Proteomics-Verfahren aus insgesamt 600 Kandidatenproteinen eine Kombination von Biomarkern aus, die eine Unterscheidung von viralen und bakteriellen Infektionen mit einer AUC von 0,94 lieferte und somit besser als herkömmliche Einzelmarker abschnitt[11]. Die höchste Aussagekraft hatte das Protein TRAIL (bei Virusinfektionen erhöht, AUC 0,89). Für eine solche Proteinmarkerkombination wird derzeit angeblich ein Schnelltest entwickelt.
Eine kanadische Studie analysierte Genexpressionsprofile für Endotoxintoleranz in Immunzellen als potenzielle Sepsismarker: Mit 593 Pa­tienten erhielten die Autoren eine überraschend hohe AUC von 0,96[12]. Auch microRNAs wurden als Erfolg versprechende Marker beschrieben[13]. Insbesondere miR-150 und miR-4772-5p-iso waren bei Sepsis in Monozyten differenziell exprimiert.

Ausblick
1969 gab Surgeon General William Stewart, der höchste Gesundheitsbeamte der USA, vor Abgeordneten des Kongresses zu Protokoll, es sei an der Zeit, „das Buch der Infektionskrankheiten zu schließen“. Leider ist aus diesem Buch nun leider doch eine mehrbändige Reihe geworden, die sich angesichts der rapiden Entwicklung von Resistenzen zu einer ganzen Bibliothek auszuwachsen droht. Damit muss wohl auch die Hoffnung, dass man die Sepsis durch Antibiotika dauerhaft besiegen könne, vorerst aufgegeben werden. Zu fordern sind verstärkte Forschungsanstrengungen, um zumindest die Folgen der Infektion, insbesondere die Entgleisung der Immunabwehr zu verhindern oder so frühzeitig zu erkennen, dass man sie noch beherrschen kann.
Eine aktuelle Bestandsaufnahme des amerikanischen NIH (https://clinicaltrials.gov/National Institutes of Health) vom Februar 2016 macht allerdings wenig Mut: Gerade einmal 0,5% der dort gelisteten klinischen Studien befassen sich mit der Sepsistherapie und weniger als 0,2% mit der Sepsisdiagnostik. Für die dritthäufigste Todesursache der Welt ist das eindeutig zu wenig.    

 

Literatur