Erythrozyten nach Maß

Rote Blutkörperchen tragen Zucker­moleküle auf ihrer Zelloberfläche, die für die Zuordnung zu einer der vier Blutgruppen A, B, AB und 0 verantwortlich sind. Auf genetischer Ebene bestimmt das Enzym Galactosyltransferase, das in Varianten mit unterschiedlicher Substrat-Spezifität auftritt, welche Antigene unsere Erythrozyten aufweisen. Etwas vereinfacht ausgedrückt beruht der große Unterschied zwischen den verschiedenen Blutgruppen auf einer kleinen Acetylamino-Gruppe, denn die Zucker­ketten der Blutgruppe A (A1 und A2) tragen an ihrem Ende N-Acetyl-Galactosamin (GalNAc), diejenigen der Gruppe B den nicht modifizierten Zucker Galactose (Gal).
Antikörper der IgM-Familie, die sich in den ersten Lebensjahren entwickeln, erkennen diese Zuckerketten, wenn sie auf Zelloberflächen präsentiert werden. Spenden der Blutgruppe Null – sie enthält keines der beiden Antigene – sind die begehrtesten, da sie auch dann verabreicht werden können, wenn die Blutgruppe des Empfängers nicht bekannt ist. Wegen dieser universellen Einsetzbarkeit sind sie ein wertvolles und entsprechend knappes Gut.
Es gibt deshalb seit vielen Jahren Bestrebungen, Blutkonserven der Gruppen A, B und AB von den antigenen Zuckerresten zu befreien und so in universelle Spenden zu verwandeln. Eines der ersten Verfahren beruhte auf einer α-Galactosidase aus Kaffeebohnen. Dieses Enzym ist allerdings nur für Blutgruppe B geeignet, arbeitet im sauren pH-Bereich und muss in ziemlich hoher Konzentration von ein bis zwei Gramm pro Blutspende eingesetzt werden.
Im Jahre 2007 entdeckten die Arbeitsgruppen um Henrik Clausen an der Universität Kopenhagen und Gerlind Sulzenbacher am CNRS-Labor in Marseille neuartige Enzyme, mit denen die Umwandlung beider Blutgruppen-Antigene A und B bei neutralem pH gelang. Für ihren Erfolg hatten die Forscher rund 2.500 Bakterien- und Pilzstämme durchforstet und waren in nur sieben Fällen fündig geworden: Fünf Organismen konnten das Antigen A, zwei das Antigen B spalten.
In der Folge gelang es ihnen auch, ein neutrales Universal-Puffersystem zu entwickeln, in welchem die Spaltung beider Antigene gleichzeitig möglich war, sodass heute ein einheitliches Verfahren zur Umwandlung in Blut der Gruppe Null auf alle antigenhaltigen Konserven angewandt werden kann. Und besser noch: Im Gegensatz zum wenig effizienten Kaffeebohnen­extrakt werden von diesen Enzymen nur gerings­te Mengen benötigt: pro Standardeinheit (200 ml) 60 mg für die Blutgruppe A1, 15 mg für A2, und nur 2 mg für B.
Insbesondere für die Notfallversorgung (wo beispielsweise die Blutgruppe eines Unfallopfers nicht unbedingt bekannt ist) und für kleinere Krankenhäuser (wo sich die Vorhaltung aller vier Blutgruppen nicht lohnt), könnte die Verfügbarkeit solcher „Erythrozyten nach Maß“ eine bedeutsame Lücke schließen. Bereits 2008 begann das US-Unternehmen ZymeQuest mit klinischen Tests, doch infolge der Finanzkrise ging der Firma, die inzwischen Velico Medical heißt, das Geld aus, sodass sie das Verfahren nicht zur Marktreife entwickeln konnte.
Möglicherweise ist die chemische Verwandlungskunst in nicht allzu ferner Zukunft allerdings auch gar nicht mehr nötig, denn parallel dazu arbeiten Forscher inzwischen daran, Blutkonserven jedweder Art biotechnologisch aus Stammzellen oder durch Kultivierung von Knochenmark in vitro herzustellen. Davon erhofft man sich Erythrozyten, die nicht nur für das AB0-System, sondern möglichst für alle 29 Blutgruppenmerkmale des Menschen maßgeschneidert sind.

Dr. Michael Groß
Mitglied der Redaktion




 Blutkonserven aus der Retorte