Serie "Vom Biomarker zur Therapie": CD33
Die klassische Diagnostik der akuten myeloischen Leukämie (AML) beruhte ausschließlich auf der Morphologie der Zellen, anhand derer die Erkrankung in gut ein halbes Dutzend verschiedene Formen zerfiel. In den letzten beiden Jahrzehnten wurde das Bild sehr viel komplizierter – zunächst mithilfe der Zytogenetik und schließlich durch die molekularbiologische Charakterisierung submikroskopischer genetischer Aberrationen. Insgesamt geht deshalb der Trend zu einer immer stärkeren Differenzierung in Subgruppen – in der Hoffnung und gelegentlich auch bereits in der Gewissheit, dass die genetischen Veränderungen nicht nur die Prognose unterschiedlich beeinflussen, sondern auch die Entwicklung spezifischer Therapeutika gestatten.Das CD33-Oberflächenantigen widersetzt sich diesem Trend insofern, als es auf den Blasten der überwiegenden Mehrzahl der AML-Erkrankungen zu finden ist. Deshalb – und weil es andererseits als Marker relativ spezifisch für myeloische Zellen ist – eignet es sich als Angriffspunkt für Therapien, die bei den meisten Patienten mit AML einsetzbar sein sollten. Dass die Verhältnisse nicht ganz so einfach sind, zeigt die wechselvolle Entwicklungsgeschichte des bisher einzigen CD33-spezifischen Medikaments: Das Antikörper-Toxin-Konjugat Gemtuzumab Ozogamicin wird aufgrund der verfügbaren Studiendaten derzeit in Ergänzung zur klassischen Chemotherapie vor allem bei Patienten mit günstigem und eventuell intermediärem Risiko nach den ELN-Kriterien eingesetzt, bei denen es auf jeden Fall das ereignisfreie Überleben verlängern kann.Darüber hinaus wird derzeit intensiv an weiteren Therapieansätzen gearbeitet, die CD33 als Angriffspunkt nutzen (neben weiteren Immunkonjugaten v. a. bispezifische Antikörper und CAR-T-Zellen).
Siglec-3; CD33, AML akute myeloische Leukämie, Antikörper-Toxin-Konjugat, Gemtuzumab Ozogamicin, bispezifische Antikörper, CAR-T-Zellen, Immuntherapie, Radio-Immuntherapeutika
Der Transmembran-Rezeptor CD33, auch als Siglec-3, gp67 oder p67 bekannt, stellt einen klassischen Biomarker der myeloischen Vorläuferzellen dar. Es handelt sich dabei um ein Typ-I-Transmembran-Glykoprotein mit einem Molekulargewicht von 67 kDalton, das in erster Linie auf Zellen der myeloischen Linie exprimiert wird [1], aber auch auf einigen lymphatischen Zellen zu finden ist, nicht hingegen auf pluripotenten Stammzellen [2]. Es lässt sich auf Granulozyten- und Makrophagen-Vorläuferzellen im Knochenmark, aber auch auf Monozyten im peripheren Blut nachweisen.
CD33 bindet an Sialinsäure-Reste und zählt daher zur SIGLEC-Familie von Lectinen (Sicalic acid binding Ig-like lectins). Es gehört außerdem zur Immunglobulin-Superfamilie, weil der extrazelluläre Anteil des Rezeptors zwei Immunglobulin-Domänen enthält (IgV und IgC2). Das Gen für CD33 auf dem langen Arm von Chromosom 19 wurde erstmals vor über 30 Jahren isoliert und ähnelt dem für das B-Zell-Antigen CD22 [3]. Als Sialinsäure-abhängiges Zelladhäsions-Molekül spielt CD33 eine Rolle bei der Vermittlung von Interaktionen zwischen Zellen und hilft, Immunzellen in einem Ruhezustand zu halten [4–6]. Wenn CD33 an Liganden wie Komplement C1q oder an sialylierte Glykoproteine bindet, wird über ITIM-Komponenten (Immunoreceptor Tyrosine-based Inhibitory Motif) am intrazellulären Anteil des Rezeptors eine inhibitorische Signalkaskade ausgelöst; an einem der repressiven Effekte auf die Aktivierung von Monozyten ist etwa eine Phosphoinositol-3-Kinase (PI3K) beteiligt [5].
Bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) kommt es zu einer malignen Entartung myeloischer Vorläuferzellen des Knochenmarks. Eine ungehemmte Proliferation dieser Zellen mit entsprechendem Überlebensvorteil führt zu einer Verdrängung der physiologischen Blutbildung. Da es sich bei CD33 um einen klassischen Biomarker der myeloischen Linie handelt, lässt sich dieser immunhistochemisch bzw. immunphänotypisch auf myeloischen Vorläuferzellen nachweisen und wurde bereits vor mehr als 35 Jahren in hohen Konzentrationen auf myeloischen Blasten bei Patienten mit AML identifiziert (Abb. 1; [7]).