Die Behandlungsmöglichkeiten des Multiplen Myeloms haben sich in den vergangenen Jahren enorm weiterent-wickelt, und diese rasante Entwicklung wird sich auch in den kommenden Jahren unvermindert fortsetzen.
Alles begann vor etwa 60 Jahren, als die Erkrankung erstmals erfolgreich mit dem Zytostatikum Melphalan behandelt werden konnte – eine Behandlung, die zehn Jahre später durch die Kombination aus Melphalan mit einem Glukokortikoid erweitert wurde. Über nahezu vier Dekaden war diese Kombinationsbehandlung als Therapiestandard beim Multiplen Myelom etabliert. Die Behandlungsergebnisse waren allerdings im Vergleich zu denen, die wir heute mit modernen Kombinationsbehandlungen erreichen können, sehr eingeschränkt. So lag die Rate der kompletten Remissionen unter einer Behandlung mit Melphalan plus Kortikoid nur bei rund 5 %, und die Patienten überlebten im Mittel lediglich zwei bis drei Jahre.
Der nächste Entwicklungsschritt zur Therapie des Multiplen Myeloms war die Etablierung der Hochdosistherapie, gefolgt von der autologen Blutstammzelltransplantation. Durch diese intensivierte Behandlung gelang es, das Überleben der Patienten relevant zu verlängern.
Der Hämatologe Bart Barlogie war es schließlich, der die Tür für neue Medikamente öffnete. Zunächst wurde Thalidomid in die Behandlung eingeführt – eine Substanz, die Remissionen induzierte, wenn Alkylanzien nicht mehr wirkten.
Doch dabei blieb es nicht: Erfreulicherweise setzte in der Folge eine rasante Entwicklung neuer Medikamente ein. Von Proteasom-Inhibitoren und Immunmodulatoren existieren mittlerweile bereits mehrere Generationen von Substanzen, und auch bei der Entwicklung von Antikörper-Therapien ist kein Stillstand zu beobachten.
Heutzutage erreichen fitte Patienten mit modernen Therapien in über 50 % der Fälle eine komplette Remission. Und in Studien, in denen neue Medikamentenkombinationen geprüft werden, kann heute ebenfalls in bis zu 50 % der Fälle eine Negativität beim Nachweis residueller Myelomzellen erzielt werden – ein Hinweis auf besonders tiefe Remissionen. Die Sensitivität dieser Methoden lässt den Nachweis einer einzigen malignen Zelle in einer Million polyklonaler Zellen zu. Das ist in der Rückschau schon ein erstaunlicher Therapiefortschritt.
In dieser Ausgabe von Trillium Krebsmedizin widmen wir uns in sechs Schwerpunktbeiträgen den aktuellen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten beim Multiplen Myelom. Darüber hinaus wagen wir einen Blick in die (nahe) Zukunft, in der ein weiterer Umbruch in der Behandlung besonders schwerer, therapieresistenter Fälle zu erwarten ist.
Der erste Beitrag befasst sich mit modernen Diagnoseverfahren beim Multiplen Myelom. In den letzten Jahren hat sich nämlich nicht nur die Therapie der Erkrankung verbessert, sondern es stehen auch verfeinerte Diagnoseverfahren zur Verfügung. Diagnosekriterien und diagnostische Methoden unterliegen einem stetigen Wandel hin zu immer sensitiveren Untersuchungen, früheren Detektionsmöglichkeiten und genaueren Prognosemarkern. Angesichts dieser Fortschritte wurden die Kriterien zur Diagnosestellung (SLiM-CRAB-Kriterien) überarbeitet, das International Staging System (ISS) um das zytogenetische Risikoprofil erweitert (Revised-ISS) und die Kriterien zur Beurteilung des Therapieansprechens (IMWG-Response-Kriterien) angepasst.
Ein Thema, das derzeit im Fokus des wissenschaftlichen Interesses steht, ist das Management des Smoldering Myeloms (SMM), der asymptomatischen Vorstufe des Multiplen Myeloms. Wie dass SMM definiert wird und welche Risiken dieser Myelom-Frühform zugerechnet werden, hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Heute wissen wir, dass der klinische Verlauf des SMM äußerst variabel ist. Das Spektrum reicht von Patienten, die nie eine behandlungsbedürftige Myelomerkrankung erreichen, bis hin zu Betroffenen, deren Erkrankung innerhalb weniger Monate in ein therapiebedürftiges Stadium übergeht.
Bis heute existiert weder ein Behandlungsstandard noch eine einheitliche Therapieempfehlung für das SMM. Doch durch exaktes Staging in Kombination mit einer geeigneten Risikostratifizierung ist es möglich, den Übergang in ein behandlungsbedürftiges Multiples Myelom rechtzeitig zu erkennen. Klinische Studien evaluieren derzeit, ob möglicherweise eine frühzeitige Therapie des SMM sinnvoll ist, um für betroffene Patienten einen Überlebensvorteil zu erreichen.
Die Hochdosistherapie (HDT) mit anschließender autologer Blutstammzelltransplantation (ASZT) ist auch nach mehreren Dekaden der Anwendung immer noch die empfohlene Primärtherapie für den fitten Patienten. Wegen der nach wie vor großen Bedeutung dieser Behandlungsstrategie wird die Indikation zur HDT in einem eigenen Schwerpunkt-Beitrag ausführlich beschrieben.
Durch die inzwischen etablierte Kombination von HDT mit monoklonalen Antikörpern, Proteasom-Inhibitoren, Immunmodulatoren und einem Steroid erreichen die meisten Patienten, die für diese Behandlung geeignet sind, hohe Ansprechraten sowie tiefe und anhaltende Remissionen. Deshalb bleibt die HDT mit ASZT momentan der Erstlinien-Goldstandard für den transplantablen Myelompatienten. Dies ist allerdings nicht für alle Zeit in Stein gemeißelt, denn angesichts der raschen Weiterentwicklung pharmakologischer Kombinationsbehandlungen beim Myelom gehört die HDT als Erstlinienoption immer wieder auf den wissenschaftlichen Prüfstand.
Auch für nicht-transplantable Patienten hat sich die Erstlinienbehandlung des neu diagnostizierten Multiplen Myeloms in den letzten Jahren signifikant geändert. Bei Patienten, die nicht für eine ASZT infrage kommen, stehen in der Erstlinie verschiedene Kombinationstherapien zur Verfügung, die jeweils zwei der drei Hauptmedikamentenklassen Proteasom-Inhibitoren, Immunmodulatoren und monoklonale Antikörper beinhalten – mit bisher unerreichten Raten an tiefen, langanhaltenden Remissionen.
Dennoch: Trotz der hohen Ansprechraten, die heute in der ersten Behandlungslinie erreichbar sind, ist und bleibt das Multiple Myelom eine Erkrankung, für die Rezidive typisch sind. Erschwerend kommt hinzu, dass die Remissionsraten mit jedem Rückfall deutlich geringer ausfallen, die Refraktärität gegenüber etablierten Therapien zunimmt und Rezidive mit fortschreitendem Krankeitsverlauf immer schneller auftreten.
Doch auch in der rezidivierten Situation haben sich die medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten wesentlich weiterentwickelt, wie der Beitrag zur Rezidivtherapie im Detail ausführt. Mit dem Einsatz von Kombinationen aus Immunmodulator-, Proteasom-Inhibitor- oder Antikörper-basierten Therapien im ersten Rezidiv sowie Anti-CD38-Antikörper-haltigen und/oder Pomalidomid-haltigen Kombinationstherapien in nachfolgenden Rezidiven konnten die Therapieergebnisse deutlich verbessert werden. Seit Kurzem steht erstmals auch ein Antikörper-Wirkstoff-Konjugat für mehrfach vorbehandelte Patienten zur Verfügung. Weitere zielgerichtete Substanzen, die neue Zielstrukturen auf Myelomzellen adressieren, befinden sich momentan in klinischer Prüfung.
Ein weiterer Umbruch der Myelomtherapie ist in naher Zukunft durch den Einsatz von CAR-T-Zellen und bispezifischen Antikörpern zu erwarten, wie der letzte Beitrag des Schwerpunkts erläutert. Die in klinischen Untersuchungen selbst bei stark vorbehandelten Patienten beobachteten hohen Gesamtansprechraten lassen zurecht große Hoffnungen aufkommen. Es sind aber Langzeitdaten nötig, um beurteilen zu können, ob CAR-T-Zell-basierte Therapien und bispezifische Antikörper tatsächlich zu langanhaltenden Remissionen oder zukünftig sogar zu einer Heilung in frühen Krankheitsstadien des Multiplen Myeloms führen können.
Ich bedanke mich bei den Senior-Autoren, die an diesem Schwerpunkt in Trillium Krebsmedizin mitgewirkt haben. Sie alle weisen eine langjährige Expertise in der Diagnostik und Therapie des Multiplen Myeloms auf. Sehr erfreulich ist es, dass junge Kollegen mit hoher Motivation dazu beitragen, die Behandlungsergebnisse für Patienten mit Multiplem Myelom weiter zu verbessern. Auch ihnen eine großes Dankeschön.